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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 571 / 20.4.2012

Transfergesellschaften: Süßes Gift für betriebliche Kämpfe

Wirtschaft & Soziales Unternehmen und Staat profitieren, nicht unbedingt die Belegschaft

Von Daniel Weidmann

Ende März scheiterte die Einrichtung einer Transfergesellschaft für die 11.000 mittlerweile fristlos gekündigten Schlecker-Kolleginnen am Widerstand der FDP. Was folgte, waren Wut und Zorn über die FreidemokratInnen und ihre väterlichen Ratschläge an die betroffenen Frauen, sich doch selbst um eine »Anschlussverwendung« zu kümmern. Die Wut über die Profilierungssucht der Turboliberalen auf Kosten der Schlecker-Belegschaft ist sicher gerechtfertigt. Ob eine Transfergesellschaft aber wirklich die beste Lösung für die Betroffenen gewesen wäre, lässt sich auch nicht mit Gewissheit sagen.

Auf den ersten Blick stellt sich eine Transfergesellschaft schlicht als arbeitsmarktpolitische Maßnahme dar. Sie ist definiert in zwei knappen Paragrafen des Sozialgesetzbuchs III. Demnach ist es bei drohenden Massenentlassungen unter engen Voraussetzungen möglich, von Kündigung bedrohte Beschäftigte in einer rechtlich selbstständigen Gesellschaft »aufzufangen«. Bis zu zwölf Monate können sie sich im Rahmen einer Transfergesellschaft mit Mitteln der Bundesagentur für Arbeit und des Europäischen Sozialfonds (ESF) auf ALG-I-Niveau umschulen oder weiterbilden lassen.

Auf den ersten Blick eine Art Win-Win-Situation für alle

Initiiert werden solche Auffanggesellschaften allerdings nicht von der Bundesagentur, sondern von einem Unternehmen, einem Betriebsrat oder einer Gewerkschaft. Hintergrund dafür ist die im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehene Pflicht der Arbeitgeberseite, im Falle einer drohenden Massenentlassung in einem Betrieb einen sogenannten Sozialplan abzuschließen. Dadurch sollen die Beschäftigten für den Verlust ihres Arbeitsplatzes ein Stück weit entschädigt werden. In der Regel geschieht dies in Form von Abfindungszahlungen. Sie kommen dem Unternehmen in der Regel in der Gesamtsumme ziemlich teuer zu stehen.

Solche Abfindungen können den Jobverlust de facto aber niemals ausgleichen. Viele Beschäftigte sind nach einer Kündigung unmittelbar von (Langzeit-)Erwerbslosigkeit bedroht. Deswegen einigen sich immer mehr Betriebsräte lieber mit dem Unternehmen auf die Einrichtung einer Transfergesellschaft und vereinbaren eine spürbare Aufstockung des von der Bundesagentur bereitgestellten Budgets mit Mitteln des Unternehmens, meist auf ca. 80 Prozent des letzten Lohns.

Laut Bundesagentur waren im September 2011 bundesweit rund 11.300 Menschen in 584 Auffanggesellschaften »beschäftigt«, Anfang 2010 waren es noch mehr als 35.000. So erweist sich der Transfersozialplan als Schnittstelle zwischen dem institutionalisierten Klassenkampf auf der arbeitsrechtlichen Mikroebene des Unternehmens und der sozialrechtlichen Makroebene der Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung.

Aus Sicht derjenigen, die sich für einen Sozialplan einsetzen, stellt sich die Transferlösung auf den ersten Blick als eine Art Win-Win-Situation dar. Betriebsrat und Gewerkschaft können Massenentlassungen mit rein rechtlichen Mitteln nicht verhindern. Deshalb sehen sie in einer Transfergesellschaft eine Möglichkeit, ihre Ohnmacht zu überwinden und ihren bedrohten KollegInnen wenigstens etwas zu bieten.

Die meist völlig verzweifelten Betroffenen klammern sich in ihrer Zukunftsangst oft an jeden Strohhalm und unterschreiben arglos den für den Wechsel in die Transfergesellschaft notwendigen Aufhebungsvertrag mit ihrem alten Arbeitgeber. Das Unternehmen spart sich einen Skandal und im Falle eines schlecht verhandelten Sozialplans zugleich auch einen Batzen Geld. Denn wegen der Aufhebungsverträge muss es nicht einmal die geltenden Kündigungsfristen beachten.

Die Bundesagentur vermeidet eine Menge Aufwand und kann ihre Arbeitslosenstatistiken schönen. Und schließlich erwirtschaftet sich die externe Firma, die eine Transfergesellschaft organisiert, ein hübsches Honorar. Vor allem diejenigen »Personaldienstleister«, die zugleich auch eigene Fortbildungsmaßnahmen anbieten, können sich darüber hinaus noch eine goldene Nase verdienen, indem sie ESF-Mittel für Qualifizierung einstreichen. Transfergesellschaftsanbieter, die parallel eigene Zeitarbeitsfirmen betreiben, können ihre Kundschaft zudem noch in die eigene Leihfirma shanghaien und sich dafür gegebenenfalls noch lukrative »Vermittlungsprämien« auszahlen lassen.

»Ruhigstelleffekt« Auffanggesellschaft

Die Kritik an dieser Massenabwicklungsmethode liegt auf der Hand. Eine Transfergesellschaft wirkt wie Morphium auf geschasste Belegschaften, die selbst nach gutbürgerlichem Dafürhalten alles Recht dazu hätten, gründlich aus der Haut zu fahren vor lauter Wut über ihren Hinauswurf. Statt aber das Verhalten des Unternehmens öffentlich zu skandalisieren, den Arbeitgeber mit einer Welle von Kündigungsschutzklagen zu überziehen oder sogar einen Arbeitskampf im Betrieb vom Zaun zu brechen, verschwinden die Betroffenen still und leise in der Auffanggesellschaft. Die Öffentlichkeit bekommt von alledem in der Regel überhaupt nichts mit. Nach außen bleibt der »soziale Frieden« hübsch gewahrt.

Bevor man dieses süße Gift aber in Bausch und Bogen verteufelt, muss man eines bedenken: Selbst hochorganisierte und arbeitskampfbereite Belegschaften können Massenentlassungen in aller Regel nicht verhindern, weder als KlägerIn vor dem Arbeitsgericht noch als Streikposten vor dem Werkstor. Dafür räumt die kapitalistische Rechtsordnung den Unternehmen bei ihren Restrukturierungsmaßnahmen viel zu große Handlungsspielräume ein. Also bleibt meist nur der Sozialplan.

Ein regulärer Abfindungssozialplan ist aber nur für diejenigen KollegInnen wirklich attraktiv, die binnen kurzer Zeit ohne fremde Hilfe einen neuen Job finden können. Wer später ALG II beantragen muss, kann mit einer Abfindung oft nicht viel anfangen. Der durch die Zeit in einer Transfergesellschaft effektiv um bis zu zwölf Monate verlängerte Schutz vor dem Zugriff des Jobcenters kann hier mitunter viel interessanter sein.

Wegen dieses Dilemmas haben einige GewerkschafterInnen schon Mitte der 1990er Jahre begonnen, K.O.-Kriterien für Transfersozialpläne zu entwickeln, allen voran der Bezirk Küste der IG Metall. Am »Ruhigstelleffekt« einer Auffanggesellschaft ändert das zwar nichts. Die oben beschriebenen Machenschaften mancher TransfergesellschaftsanbieterInnen lassen sich mit einem nach diesen Kriterien hart verhandelten Sozialplan aber ebenso effektiv verhindern wie die Pläne vieler Unternehmen, mit einer Transfergesellschaftslösung im Vergleich zu einem normalen Sozialplan auch noch einen Haufen Geld zu sparen.

So sehen die Empfehlungen der IG Metall z.B. die Vereinbarung vor, dass das Unternehmen eine Transfergesellschaft nicht aus dem Sozialplanbudget, sondern aus dem Betrag co-finanziert, den sich die Arbeitgeberseite dadurch spart, dass sie die regulären Kündigungsfristen der Betroffenen nicht beachten muss. Eine Zusammenarbeit mit TransfergesellschaftsanbieterInnen, die selbst Leiharbeit betreiben oder eigene Fortbildungsmaßnahmen anbieten, lehnt die Gewerkschaft kategorisch ab. Und auch zur Laufzeit einer Transfergesellschaft, zum Betreuungsschlüssel und zu vielen weiteren Qualitätsstandards macht die IG Metall detaillierte Vorgaben. (1)

Man kann nur spekulieren, ob die von ver.di befürwortete Schlecker-Auffanggesellschaft all diese Standards erfüllt hätte. Angesichts der Zahlungsunfähigkeit des Einzelhandelsriesen muss dies aber bezweifelt werden. Im Insolvenzfall fehlen die Mittel für einen guten Sozialplan, egal, welche Detailkonstruktion man wählt.

In einer schlecht alimentierten Auffanggesellschaft wären die Frauen immerhin ein halbes Jahr länger vor Hartz IV geschützt gewesen. Außerdem hätte sich ihr betriebspolitischer Zusammenhalt nicht über Nacht in Luft aufgelöst. Die allgemeine Wut auf die FDP ist daher sicher gerechtfertigt. Nun wird sich Anton Schlecker mit bis zu 11.000 Kündigungsschutzklagen auseinandersetzen müssen. Ob die im Einzelfall den gewünschten Effekt erzielen, steht aber ebenfalls in den Sternen.

Daniel Weidmann arbeitet als Rechtsanwalt in Berlin.

Anmerkung:

1) GewerkschafterInnen und Betriebsratmitgliedern sei hierzu dringend folgende Lektüre ans Herz gelegt: Uwe Zabel/Ulrike Bohnenkamp/Oliver Fieber/Heino Bade: Transfergesellschaft plus Abfindung, in: Arbeitsrecht im Betrieb 3/2010.