Breiter Widerstand gegen Zwangsräumungen in Spanien
International Die Afectados de la Hipoteca wehren sich gegen die Banken
Von Florian Kasiske
Ein Leben lang Miete zahlen müssen? Warum nicht gleich eine Wohnung kaufen? Und anstatt Miete jeden Monat Raten an die Bank zahlen, mit dem Ergebnis, dass einem die Wohnung irgendwann gehört? Diese Überlegungen trieben bis ins Jahr 2008 viele Menschen in Spanien dazu, einen Kredit für den Kauf einer Wohnung aufzunehmen. In Werbespots wurde behauptet, dass der Wert von Immobilien niemals fallen sondern nur steigen könne. Bis zum Beginn der Krise gab es in Spanien einen Bauboom: Im Jahr 2007 wurden dort so viele neue Wohneinheiten gebaut wie in ganz Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen. Der Bauboom war gleichzeitig die Voraussetzung für das spanische Wirtschaftswachstum. 20 Prozent der Wirtschaftsleistung entfielen auf den Bausektor und damit verbundene Industriezweige.
Das Platzen der Immobilienblase brachte, zusammen mit der weltweiten Wirtschaftskrise, verheerende soziale Konsequenzen mit sich. Die Arbeitslosigkeit stieg rasant. (siehe Kasten) Ohne Job konnten diejenigen, die einen Kredit für den Kauf einer Wohnung aufgenommen hatten, die Raten nicht mehr zahlen. Der Traum vom Eigenheim verwandelte sich seitdem für Hunderttausende Familien zum Alptraum. Wenn jemand die monatlichen Raten nicht mehr bezahlen kann, leitet die Bank ein Vollstreckungsverfahren ein, bei dem die Wohnung versteigert bzw. der Bank überschrieben wird - wegen der drastisch gesunkenen Immobilienpreise geschieht das zu einem Preis, der in der Regel bei 60 Prozent des ursprünglichen Wertes liegt.
Die Folge ist, dass die Betroffenen nicht nur aus ihrer Wohnung geschmissen werden, sondern auch auf einem Berg von Schulden sitzen bleiben, den sie niemals abbezahlen können. (In Spanien gibt es nicht die Möglichkeit der Privatinsolvenz mit Restschuldbefreiung.) Hinzu kommt, dass Bürgen in die Pflicht genommen werden, also meistens Familienangehörige oder enge Freunde. Mittlerweile sind Zwangsräumungen in Spanien zum Massenphänomen geworden. Allein im Jahr 2011 wurden 58.241 Haushalte auf die Straße gesetzt.
Der Widerstand begann in Barcelona
Um etwas gegen dagegen zu unternehmen, gründete sich im Jahr 2009 in Barcelona die Plataforma por los Afectados de la Hipoteca (PAH - Plattform für die Betroffenen der Hypothek). Hauptanliegen war es zunächst, Betroffene über juristische Hilfe und politischen Druck bei ihren Verhandlungen mit den Banken zu unterstützen. Mit der Zeit entstanden in vielen anderen Städten Kataloniens und ab 2011 in ganz Spanien lokale PAHs - inzwischen gibt es in über 50 Städten Plataformas. Vielerorts beschäftigen sich auch diverse andere Initiativen und Organisationen mit der Problematik.
Eine zentrale Forderung der PAH ist die Dación en pago - diese bedeutet, dass die Bank, bei der der Kredit aufgenommen wurde, die Wohnung überschrieben bekommt und dafür sämtliche Schulden erlassen werden. Außerdem sollen die betroffenen Familien zu einer Miete, die maximal 20 bis 30 Prozent ihres Einkommens entspricht, in der Wohnung wohnen bleiben können. Diese Forderung konnte durch die PAH in vielen Einzelfällen in Verhandlungen mit Banken durchgesetzt werden. Das Ziel ist aber, die Dación en pago gesetzlich festzuschreiben. Dafür hat die PAH eine Gesetzesinitiative gestartet - damit über den Gesetzentwurf im spanischen Parlament beraten wird, müssen bis November 2012 500.000 Unterschriften gesammelt werden. Das Ziel ist dabei vor allem, die Forderung in die Öffentlichkeit zu bringen und mit dem Einsammeln von einem Vielfachen der erforderlichen Unterschriften ein Zeichen zu setzen. Weiterhin fordert die PAH, dass sämtliche der mittlerweile fünf bis sechs Millionen leerstehenden Wohneinheiten in Sozialwohnungen umgewandelt werden - d.h. wie oben beschrieben einkommensabhängig vermietet werden. Zentrales Argument ist dabei, dass Wohnraum keine Ware sein darf, sondern ein Recht ist.
Ziviler Ungehorsam: Banken und Häuser werden besetzt
Ein wichtiges Mittel für die politische Arbeit der PAH ist der zivile Ungehorsam. So werden z.B. Banken besetzt, um bei Verhandlungen Druck auszuüben. Im November 2010 stellten sich in Barcelona das erste Mal Hunderte von UnterstützerInnen der Polizei in den Weg und konnten so die Räumung einer Familie verhindern. Auf diese Weise konnten mittlerweile mehr als 110 Räumungen in letzter Minute abgewendet werden. Die Reaktionen der Staatsmacht sind sehr unterschiedlich - während z.B. in Madrid die Polizei mittlerweile härter durchgreift, zieht sie sich in Katalonien häufig zurück.
Noch einen Schritt weiter gehen Betroffene in Barcelona und dem in der Nähe gelegenen Terrassa: Dort besetzten Familien, unterstützt durch die PAH, mehrere leerstehende Häuser. In Terrassa konnten für die BesetzerInnen mittlerweile Mietverträge zu Sozialwohnungskonditionen ausgehandelt werden. Von Bedeutung war auch das Auftauchen der Bewegung 15M, die ab Mai 2011, angelehnt an die arabische Revolution, überall im Land zentrale Plätze besetzte. Diese hat sich mittlerweile vielerorts in Stadtteil- bzw. Stadtversammlungen organisiert, die wichtige BündnispartnerInnen der PAH sind und einen Beitrag zu den Mobilisierungserfolgen bei der Verhinderung von Räumungen leisten.
Die PAH treibt Prozesse der Selbstermächtigung und der Organisierung von Leuten voran, die am krassesten von gesellschaftlichen Ausschlüssen infolge der Wirtschaftskrise betroffen sind. Ein großer Teil der in der PAH organisierten Afectados sind MigrantInnen, vor allem aus Lateinamerika, aber auch aus afrikanischen Ländern. Die Erfahrung von Solidarität und der Erfolg einer verhinderten Räumung führen dazu, dass viele weiter aktiv bleiben. Der erste Schritt ist oft die Einsicht, mit der eigenen Situation nicht alleine zu sein. Durch die Bewegung konnte der herrschende Diskurs verändert werden: Räumungen werden nicht mehr als selbstverschuldet wahrgenommen, sondern als Ergebnis des Betrugs und der Bereicherung der Banken. Betroffene überwinden das Gefühl von Machtlosigkeit und entwickeln ein kämpferisches Bewusstsein.
Florian Kasiske ist aktiv im Recht-auf-Stadt-Netzwerk in Hamburg.
Der Generalstreik war ein Erfolg
In Spanien spitzt sich die soziale Situation derzeit massiv zu. Die Arbeitslosigkeit stieg im Februar auf 23,6 Prozent - bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 50,5 Prozent! Die konservative Regierung unter Premierminister Rajoy verabschiedete vor ein paar Wochen ein Gesetzespaket, dass sie als Mittel gegen die steigende Arbeitslosigkeit ausgibt - das aber in Wirklichkeit Entlassungen deutlich erleichtert. So wird der Kündigungsschutz gelockert, Abfindungszahlungen werden gesenkt und Lohnkürzungen ermöglicht. Flankiert werden diese Maßnahmen von einem drastischen Sparvorhaben: 35 Milliarden Euro will die Regierung allein im Jahr 2012 einsparen, um das Haushaltsdefizit zu senken. Gegen diese Politik rief ein breites Spektrum aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen für den 29. März zum Generalstreik auf. Ab Mitternacht wurden im ganzen Land Betriebe blockiert und Hauptstraßen gesperrt. Die Polizei ging teilweise brutal gegen Streikposten vor; dabei kam es zu zahlreichen Verletzungen und Festnahmen. Tagsüber versammelten sich landesweit mehrere Millionen Menschen auf Demonstrationen. Gewerkschaften und linke Gruppen bewerten den Streik als Erfolg: Im Vergleich zu den beiden Generalstreiks der Vorjahre stieg die Beteiligung deutlich - Gewerkschaften sprechen von 77 bis 80 Prozent aller Beschäftigten. Und es wurden breite Bevölkerungsteile mobilisiert, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind: Studierende, Arbeitslose, Menschen aus Stadtteilversammlungen oder Initiativen gegen Zwangsräumungen oder Kürzungen im Gesundheitsbereich brachten sich mit eigenen Aktionsformen in den Generalstreik ein und unterstützten tatkräftig Streikposten und Straßenblockaden. Die nächsten größeren Mobilisierungen sind für den 12. und 15. Mai geplant, linke Gruppen und Basisgewerkschaften pochen auf einen weiteren Generalstreik noch vor der Sommerpause.