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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 571 / 20.4.2012

Staatsantifa reloaded

Rechte Der staatliche Verfolgungsdruck auf die Neonaziszene wächst

Von Maike Zimmermann

Während andere sich in Ostervorbereitungen ergingen, wurde im rheinländischen Stolberg blockiert. »Kein Platz für Nazis« hieß es am 7. April 2012, rund 100 Personen blockierten die Gleise der Euregiobahn. Die Nazis, die seit Jahren versuchen in Stolberg einen Märtyrer-Mythos zu konstruieren, liefen trotzdem. Doch der anhaltende Widerstand zeigt Wirkung: Gerade mal 250 Neonazis fanden den Weg in die Kleinstadt unweit von Aachen.

Allerdings dürfte bei diesem spärlichen Mobilisierungserfolg - im April 2008 waren es 800 Nazis - noch ein anderer Faktor eine Rolle gespielt haben. Neben dem Veranstalter Ingo Haller und der Kameradschaft Aachener Land war es Axel Reitz, der in Stolberg in den letzten Jahren als Organisator auftrat. Als Redner stand ihm wiederholt der Düsseldorfer Sven Skoda bei Seite. Beide sind nicht nur regionale Nazigrößen, sie sitzen auch seit März in Untersuchungshaft.

Generell weht der Wind momentan für Nazis deutlich schärfer. Bereits im Januar wurden auf Initiative der sächsischen Polizei insgesamt 44 Wohnungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg durchsucht. Neben Waffen und CDs wurden weiße Masken und Fackeln beschlagnahmt. Ähnliche Funde ergaben 17 Hausdurchsuchungen im März in Niedersachsen und Hamburg. Der Vorwurf lautet in beiden Fällen: Verstoß gegen das Versammlungsgesetz wegen der Teilnahme an einer nicht-genehmigten Demonstration.

Und in beiden Fällen nennen sich die, die im September 2011 im sächsischen Stolpen und im Dezember 2011 in Hamburg-Harburg nachts mit Fackeln durch die Straßen zogen, »Die Unsterblichen«. In dieser Form finden solche nächtlichen Kurzaufmärsche seit etwa einem Jahr in verschiedenen Städten in der Bundesrepublik statt. Das Erscheinungsbild ist dabei immer ähnlich: Mit weißen Theatermasken und Fackeln werden lautstark Parolen skandiert, nach wenigen Minuten ist der Spuk wieder vorbei. Diese Aufmärsche werden gefilmt, mit pathetischer Musik unterlegt und per Internet verbreitet. Gruselige, neonazistische Inszenierungen, die auf moderne Art und Weise die Verbindung zum historischen Vorbild - dem Nationalsozialismus - suchen.

Neonazis befürchten den »Volkstod«

»Damit die Nachwelt nicht vergisst, dass du Deutscher gewesen bist«, so das Credo der Internetfilmchen, denn: »Die Demokraten bringen uns den Volkstod«. Als Initiator dieser Kampagne gilt das Südbrandenburger Neonazinetzwerk Spreelichter. Bereits seit 2006 fällt das Netzwerk durch einen für das extrem Rechte Spektrum ungewöhnlichen Ideenreichtum auf. (1)

Auch in Nordrhein-Westfalen tauchen Die Unsterblichen seit Herbst letzten Jahres auf, so z.B. in Hamm oder Düsseldorf. Einer der Organisatoren der Märsche soll ausgerechnet Sven Skoda gewesen sein. Nun wird der 34-Jährige den Unsterblichen in naher Zukunft ebenso wenig zur Verfügung stehen, wie an Ostern den Nazis in Stolberg. Der Grund für seine Festnahme ist jedoch ein anderer.

Mit einem Großeinsatz hatte die Polizei am 13. März mehrere Häuser in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen durchsucht. Ermittelt wurde laut Staatsanwaltschaft Koblenz gegen 33 Personen. 24 Personen wurden im Zuge der Durchsuchungen festgenommen, 23 von ihnen sitzen nach wie vor in Untersuchungshaft. Die Aktion richtete sich insbesondere gegen das Aktionsbüro Mittelrhein und dessen Hauptakteure Christian Häger, Philip Neumann, Sven Lobeck und Sven Skoda. Das Aktionsbüro wird von den ermittelnden Behörden nach §129 als kriminelle Vereinigung eingestuft, der 28 Neonazis angehören sollen. Weitere fünf Nazis, unter ihnen Axel Reitz, Paul Breuer und Sebastian Ziesemann von der Kameradschaft Köln werden der Unterstützung beschuldigt. (2)

Die Neonazigruppe soll die linke Szene ausgespäht, AntifaschistInnen geoutet und so »ein Klima des Hasses geschaffen und Ängste geschürt« haben, so die Staatsanwaltschaft. (taz, 13.3.2012) Darüber hinaus seien die Neonazis »offen gewaltätig« gegen Linke vorgegangen. Beispielsweise wird der Gruppe vorgeworfen, an den Angriffen auf das linke Wohnprojekt Praxis in Dresden-Löbtau am 19. Februar 2011 beteiligt gewesen zu sein.

Auch dem Landesvorsitzenden der Berliner NPD, Sebastian Schmidtke, wird vorgeworfen, den politischen Gegner ausgespäht zu haben. Er steht unter Verdacht, Betreiber der Website des Nationalen Widerstands Berlin zu sein. Durch die hier veröffentlichten Adressen von Linken, PolitikerInnen, JournalistInnen und AnwältInnen sei unterschwellig zur Gewalt gegen die Betroffenen aufgerufen worden. (ND, 23.3.2012) Aus diesem Grund fanden am 23. März bei Schmidtke und in drei weiteren Berliner Wohnungen Durchsuchungen statt.

Nun ist man freilich wenig geneigt, den strafverfolgten Neonazis sonderlich viel Mitleid entgegen zu bringen. Zumal es sich größtenteils um den aktionistischen Teil der Szene handelt, der keineswegs vor tätlichen Übergriffen zurückschreckt. Trotzdem drängt sich die Frage auf, warum der Druck seitens der Behörden gerade jetzt erhöht wird. Eine naheliegende Antwort ist das Bekanntwerden der Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU).

Offensichtlich ist man sehr bemüht, Erfolge zu präsentieren. Und das fällt beispielsweise bei den Unsterblichen scheinbar leicht. Von strafrechtlicher Relevanz ist der Großteil des sichergestellten Materials - Masken, Fackeln, Fahnen, CDs - wohl kaum. Aber darum ging es auch nicht. »Die rechte Szene soll vor dem Hintergrund des für den 2. Juni angemeldeten Tag der Deutschen Zukunft aufgemischt werden«, schreibt Welt Online (2.3.2012) über die Razzien in Norddeutschland. Außerdem, so hieß es auf der diesbezüglichen Pressekonferenz in Hamburg, hätten die Durchsuchungen stattgefunden, weil man bisher keinen Einblick in die Szene habe. Von dem Vorgehen gegen Die Unsterblichen, erklärt Staatsschutzchef Detlef Kreutzer, erhoffe man sich eine »präventive Wirkung«.

Man hat also keine Ahnung. Und dass, obwohl doch über Jahre hinweg zig V-Leute in der rechten Szene tätig waren. Diese Ahnungslosigkeit liege jedoch daran, dass jene Gruppierungen anders als die berüchtigten Freien Kameradschaften nicht in festen Strukturen gebunden seien, aus denen V-Leute gewonnen werden können. (NDR, 2.3.2012) Eine ähnliche Argumentation liefert die Koblenzer Staatsanwaltschaft in Bezug auf das Aktionsbüro Mittelrhein. Die Ermittlungen seien deswegen »langwierig und äußerst schwierig« gewesen, weil sich die Mitglieder strikt nach außen abschotteten. (WDR, 13.3.2012)

Die Hinweise von AntifaschistInnen wurden ignoriert

Apropos V-Leute: Sogar bei Tino Brandt, dem früheren V-Mann aus Thüringen und Weggefährten des Nazi-Trios in Zeiten des Thüringer Heimatzschutzes, standen die BeamtInnen Ende März vor der Tür. Neben einem Strafverfahren wegen Versicherungsbetrugs wollte man laut ZDF bei Brandt nachsehen, ob bei ihm Waffen zu finden sind. Zutage kamen bei der Durchsuchung Macheten und eine Armbrust - »waffenrechtlich ohne Bedeutung«.

Aber zurück zum Aktionsbüro Mittelrhein. Mitte 2010 hätten sich bei den zuständigen Behörden erstmals die Hinweise verdichtet, dass es sich hierbei um eine »kriminelle Vereinigung« handele. AntifaschistInnen wussten das deutlich länger. Schon seit Jahren wiesen sie immer wieder auf die Aggressivität des Aktionsbüros hin.

Auch wenn es lange gedauert hat, NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) freut sich: »Heute ist es gelungen, Drahtzieher der rechtsextremistischen Szene dingfest zu machen. Wir halten Wort: Der Ermittlungsdruck auf die Neonazis wird deutlich erhöht.« (WDR, 13.3.2012) Damit spricht er Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) quasi aus dem Herzen: »Die heutige Aktion ist ein deutliches Zeichen, dass die Ermittler den Druck hoch halten«, sagte dieser zu den Durchsuchungen in Berlin eine gute Woche später. (ND, 23.3.2012) Zwischendurch hatte sich das Bundesinnenministerium über eine Aktion des Bundeskriminalamts gefreut. Nachdem man von der Linkspartei auf die Idee gebracht wurde, die Fahndungslisten bundesweit zu überprüfen, wurde festgestellt, dass mehr als 160 Nazis wegen Straftaten gesucht werden. Das war den Zuständigen vorher wohl irgendwie nicht aufgefallen. Dass bis März aber bereits 46 Neonazis festgenommen worden sind, ja, das ist doch mal ein »Erfolg«.

Es fällt schwer, diese geballte Freude zu teilen. Im Jahr 2000 rief der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder den »Aufstand der Anständigen« aus. Man wollte die Zivilgesellschaft stärken, Initiativen gegen Rechts erhielten staatlichen Förderungen. Heute werden diese Förderungen durch die sogenannte Extremismusklausel zurück genommen. Stattdessen setzt man offenbar auf sicherheitspolitische Lösungen für gesellschaftliche Probleme. Doch auch mit noch mehr Law and Order hören Nazis nicht einfach auf, Nazis zu sein.

Anmerkungen:

1) Ausführlich hierzu: Vorbildlicher Volkstod. Das Neonazi-Netzwerk »Spreelichter«. In: Antifaschistisches Infoblatt, Nr. 92/2011.

2) Vgl. Das Spiel ist aus?! Staatsanwaltschaft Koblenz vs. »Aktionsbüro Mittelrhein«. In: Lotta. Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen, Nr. 47/2012.

Keine Zeit für Nazis!

Die rechte Szene bekommt vor dem Hintergrund des »Tag der Deutschen Zukunft« am 2. Juni in Hamburg nicht nur Ärger mit den Behörden. Gegen den Aufmarsch der Nazis mobilisiert auch ein breites Bündnis zu Demonstrationen und Blockaden: www.keine-stimme-den-nazis.org.