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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 572 / 18.5.2012

Tatort als Karstadt des Kulturbetriebs

Kultur Der Streit um das Urheberrecht ist neu entbrannt. Meist geht er an der Sache vorbei

Interview: Ingo Stützle

Nicht erst seit sich der Element-of-Crime-Sänger Sven Regener im Bayrischen Rundfunk über die Mitnahmementalität der Jugend Ende März 2012 aufgeregt hat, sind Internettauschbörsen, die Qualität von Kultur und das prekäre Dasein von KünsterInnen Thema. Seit den Wahlerfolgen der Piratenpartei sind Internet und Urheberrecht Dauerthema und die Debatte wird hitzig geführt - eigentlich wichtige Fragen gehen dabei schnell unter. Darüber sprach ak mit dem Künstler und Literaturwissenschaftler Florian Cramer.

Warum sollte man sich überhaupt für den Urheberrechtsstreit interessieren?

Florian Cramer: Aus mehreren Gründen. Erst jetzt begreift eine breite Öffentlichkeit, dass Digitalisierung und Internet nicht nur etwas für Geeks sind, Computer nicht nur bessere Schreibmaschinen und das Internet mehr als E-Mail und Online-Bestellungen. Und dass das freie Kopieren von Daten keine Kinderkrankheit dieses Mediums ist, sondern schlicht dessen technische Grundlage.

Das bedeutet?

Das ist eine ebenso radikale Medienumwälzung wie die Erfindung des Buchdrucks. Jeder und jede hat die elektronische Druckerpresse jetzt zuhause. Und es wird nicht mehr klassisch reproduziert, sondern digital geklont, ohne Unterschied von Kopie und Original und deshalb auch ohne Qualitätsverlust bei der Kopie von der Kopie von der Kopie.

In Deutschland erleben wir jetzt, bildlich gesprochen, den letzten Aufstand der Kalligrafen und Klosteräbte, deren Skriptorien durch die neue Technologie ihr Massengeschäft verlieren. Was damals mit dem handgeschriebenen Buch passierte, passiert nun mit dem gedruckten: Es wird vom Gebrauchsgegenstand zum Kunstgewerbeobjekt für ein kleineres Publikum.

Hinzu kommt noch ein nationalökonomischer Aspekt. In Deutschland sitzen große, traditionelle Medienkonzerne wie Bertelsmann und Holtzbrinck, die mit ihren Internetabenteuern wie AOL und StudiVZ grandiosen Schiffbruch erlitten haben. Aber erst jetzt sehen die nicht nur ihr Onlinegeschäft, sondern auch ihr analoges Stammgeschäft durch die neuen Medienkonzerne Google, Apple, Amazon und Facebook bedroht, die nunmal allesamt in den USA sitzen. Das Internet bedeutet Globalisierung der Medienindustrie, in jeder Hinsicht.

Gibt es noch weitere Gründe, warum das Thema alle interessieren sollte?

Ja, es gibt noch Gründe, die viel weiter reichen. Seit der Auslagerung materieller Produktion nach Asien definieren sich die westlichen Ökonomien als sogenannte Wissensökonomien, mit den sogenannten kreativen Industrien als Schlüsselbranche. Das Geschäftsmodell ist, dass man in Europa und Amerika die Ideen für Produkte entwickelt, die man in China billig herstellen lässt. Nike und Apple sind die besten Beispiele dafür. Sogenanntes geistiges Eigentum wird dann zum einzig verbleibenden Kapital des Westens. Dieses Kapital wird mit allen Mitteln verteidigt. Wer das angreift, wird zur Bedrohung.

Das Urheberrecht ist nur ein Teil dieses Spiels. Mindestens ebenso wichtig sind Patente, Marken, Geschmacksmuster und Geschäftsgeheimnisse. Abkommen wie ACTA werden gemacht, um zu verhindern, dass China und Indien mehr als nur Werkbänke des Westens werden.

Der Streit hat ja mehr als nur eine Konfliktlinie und mehr als nur zwei Interessensparteien. Könntest du kurz das sehr unübersichtliche Spielfeld skizzieren?

Ich lebe seit mehr als einem halben Jahrzehnt in den Niederlanden und kriege die deutsche Debatte nur am Rande mit. Was sich momentan in den klassischen Nachrichtenmedien abspielt, riecht doch verdächtig nach einer orchestrierten Kampagne gegen die Piratenpartei. Insofern ist das vielleicht übersichtlicher, als man denkt.

Die deutsche Piratenpartei scheint mir ein ziemlich naiver Haufen von eigentlich unpolitischen Informatikern zu sein. Sie beziehen sich auf Konzepte von Open Source, freier Kultur und der Wissensallmende, die von Vordenkern wie Lawrence Lessig und Volker Grassmuck stammen, zum Teil auch von aktivistischen Bloggern wie Felix von Leitner und Markus Beckedahl. Das vermischen sie mit einem unkritischen Gebrauch kommerzieller Social-Media-Dienste wie Twitter.

Von Kulturpolitik und Kreativwirtschaft haben die Piraten, abgesehen von der Internet- und Softwarebranche, keine Ahnung. Deshalb machen sie sich perfekt angreifbar für Kritik aus der alten Medienindustrie, dass sie nur nützliche Idioten der neuen Medienindustrie sind. Sie sind da gut mit den Grünen vergleichbar, die ja Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik auch nur als Marke haben und in Wahrheit nie sachkompetent vertreten konnten. Da verhält sich die Piratenpartei zum Chaos Computer Club wie die Grünen zu Greenpeace. Oder, neuerdings, eher als politischer Arm von Transparency International. Immerhin haben die Grünen ihren symbolischen Markenkern des Atomausstiegs gehalten, während die Piraten beim Urheberrecht im publizistischen Gegenwind schon jetzt einknicken.

Das hört sich alles etwas vereinfacht an.

Die Fronten sind natürlich nicht schwarzweiss. Neben den Industrielobbys und ihren Gegnern gibt es auch Künstler, die im alten System besser leben konnten. Dafür gab und gibt es bildungsbürgerliche Nischen. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum Beispiel, in der Quersubventionierung der Verlage oder durch die Abrechnungsschemata der GEMA. Ein Bestseller von Umberto Eco machte dann einen Lyrikband von Oskar Pastior möglich und der Lokalteil das Feuilleton.

In der Musik, habe ich mir sagen lassen, gibt es eine wirtschaftliche Nische für zeitgenössische Opernkomponisten, weil die GEMA Opern am höchsten vergütet. Kein Wunder, dass diese Künstler nun Angst bekommen, selbst wenn niemand ihre Werke im Internet kopiert. Mit den Journalisten und Tatort-Autoren verhält es sich ebenso. Die trompeten für ihre jetzigen Arbeitgeber aus purer System- und Existenzangst, obwohl noch nie ein Exemplar der Süddeutschen oder FAZ und kaum ein Tatort auf der Internettauschbörse Pirate Bay aufgetaucht ist.

Genau das ist wahrscheinlich der wahre Grund ihrer Panik. Nicht, dass kopiert wird - sondern dass sich keiner mehr für sie interessiert. Dem gehobenen bürgerlichen Mittelmaß, im Niemandsland zwischen Sub- und Massenkulturen, stirbt das Publikum langsam weg. Nach Leuten wie Grass kräht ja anderswo kein Hahn mehr. Ansonsten kann Lady Gaga auch im Internetzeitalter Multimillionärin werden, und Avantgardemusik und Undergroundfilme bringen immer noch nichts ein, erreichen aber jetzt auf ubu.com viel mehr Leute als früher.

Seit Bourdieu ist ja bekannt, dass sich moderne Klassengesellschaften immer auch kulturell reproduzieren. Das Argument, über das Urheberrecht das Niveau der Kultur halten zu wollen, ist also nur kulturell verkleideter Klassenkampf und die gegenwärtige Auseinandersetzung auf dem kulturellen Feld das, was in den letzten Jahren bei Karstadt und Opel diskutiert wurde? Das Wegbrechen der Mittelschicht?

Ja, genau! Dem stimme ich in allen Punkten zu. Sven Regener und Tatort sind Opel und Karstadt der Kreativwirtschaft.

Für mich sind allerdings weniger die klassischen Urheber als gewöhnliche Nutzer die Ausgebeuteten. Die Idee partizipativer, von Nutzern gemachter Medien wurde von Google, Facebook und Co. zum Alptraum pervertiert. Die sozialen Netzwerke mit ihren selbst ausgefüllten Profilen, Bewegungs- und Beziehungsdaten sind die wahre Stasi 2.0. Auch das spielt in das Debattenchaos hinein, in dem sich die Twitterdeppen der Piratenpartei und Mediengestrigen jeglicher politischer Couleur aneinander hochziehen. Wobei sich auf beiden Seiten Halbwissen immer mal wieder mit Funken berechtigter Kultur- und Medienkritik mischt.

Welche Konsequenz ziehst du daraus?

Man muss zum Ausgangspunkt der Debatten über Copyleft und Open Access zurück, nämlich einer zeitgemäßen Definition von Öffentlichkeit. Aller sogenannten Strukturreformen zum Trotz gibt es immer noch öffentlich finanzierte Künste, Universitäten und öffentlich-rechtliche Medien. Sie alle sollten als Gegenleistung ihrer öffentlichen Alimentation auch alle ihre Erzeugnisse ohne Wenn und Aber öffentlich zur Verfügung stellen. Und das heißt heute: unbegrenzt download-, kopier- und nutzbar.

Ich kann nur kotzen, wenn ich mir die heutigen Nutzungsbedingungen öffentlich-rechtlicher Radio- und Fernsehproduktionen ansehe oder den arroganten Blödsinn von Wissenschaftlern lese, die glauben, dass es zu ihrer Forschungsfreiheit gehöre, Verlagen exklusive Publikationsrechte für ihre öffentlich finanzierte Forschung einzuräumen. Auf diesem Gebiet vertreten die Piraten übrigens gute Positionen.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Begriff »Netzgemeinde«, den Tatort-Autoren und andere immer wieder in diese Debatte werfen. Wenn man wie ich in den Niederlanden wohnt, wo neunzig Prozent der Bevölkerung Hochgeschwindigkeitsinternet nutzen, ist der geradezu unfassbar.

Um den Vergleich mit Gutenberg wieder zu bemühen: Man stelle sich vor, man würde jeden Tag auf der Straße handgeschriebenen Flugblättern entgegenkommen, auf denen Kalligrafen der »Buchdruckgemeinde« vorhalten, dass sie das industrielle Teufelszeug massenreproduzierter Bücher und Zeitungen lesen, einander ausleihen und dafür sogar öffentliche Bibliotheken unterhalten!

In der Debatte geht es meist nur um die Verteilung bzw. den Zugang zu Kultur, aber nur selten um die Produktion. Was bedeutet das für das Kunstverständnis?

Das Problem der Piratenpartei und vieler Netzaktivisten ist Blindheit für diese makroökonomischen Fragen. Insofern ist der neoliberale Begriff der Kreativwirtschaft besser als der bildungsbürgerliche Begriff Kulturbetrieb, weil er die Frage nach der Produktion und Teilhabe wenigstens impliziert. Die Kritik der Frankfurter Schule an der Verdinglichung der Kunst durch die Kulturindustrie ist dagegen idealistisch und geht an den alltäglichen Produktionsbedingungen der Künste völlig vorbei. In den Diskussionen ums Auskommen von Künstlern geht's eigentlich nur um zwei Modelle: Das des freien Markts, das neben wenigen Superstars Künstler auf Hartz-IV-Einkommensniveau produziert, und das der genossenschaftlichen Organisation. Unter Letzteres fallen sowohl GEMA, als auch Kulturflatrate. Alle Genossenschaften, wie progressiv sie einmal gewesen sein mögen, haben die Tendenz zur Abschottung nach Zünfte- und Ständeart. Oft wird dann Künstlern Arbeit im offiziellen System völlig verunmöglicht.

Und jetzt?

Ich wäre froh, wenn ich die gute ökonomische Lösung wüsste. Aber wir sehen auch in Community Art und Social Design, wie Künstler höchst interessant außerhalb der klassischen Kreativ- und Medienindustrien arbeiten können. Hier in Rotterdam ist die Projektkünstlerin Jeanne van Heeswijk eine Pionierin auf diesem Gebiet. Unter anderem hat sie in einem migrantischen Wohnbezirk ein Schneideratelier für türkische Brautsmode gegründet, in dem Frauen aus der Nachbarschaft lukrativ arbeiten. Die Kleider sind nicht billig und haben einen eigenen Rotterdamer Stil.

Ich arbeite zur Zeit mit zwei Community-Experimentalfilmern aus Los Angeles, die Workshopfilme mit Jugendlichen aus Ghettobezirken entwickeln, die sie zu Filmemachern ausbilden. Sie finanzieren sich zum größten Teil aus Spenden und Stiftungsgeldern für soziale Initiativen.

Aus meiner Sicht ist das Konzept der autonomen Kunst überholt - also auch der Unterschied von Kunst, Design und sozialem Aktivismus. Diesen Standpunkt vertraten übrigens schon die progressiven Kunstavantgarden des 20. Jahrhunderts, vom russischen Konstruktivismus über das Bauhaus bis hin zu Fluxus und Situationisten. Mit heutiger, pseudokritischer White-Cube-Konzeptkunst à la Liam Gillick und Hito Steyerl ist das wieder in Vergessenheit geraten. Es liegt auch an den Künstlern, sich vom Spitzweggeschäftsmodell des armen, aber künstlerisch autonomen Poeten zu verabschieden.

Florian Cramer

von Hause aus Literaturwissenschaflter, lebt und arbeitet in Rotterdam als Direktor des Zentrums Creating 010 an der Fachhochschule Rotterdam und Willem de Kooning-Kunstakademie, das Praxisforschung zu neuen Medien, wirtschaftlicher Selbstorganisation und kultureller Diversität in Kreativberufen betreibt. Seit den späten 1980er Jahren ist er mit wechselnder Intensität im Neoismus aktiv, einem Anti-Copyright-Netzwerk subkultureller AktionistInnen, zu dessen Ausläufern auch das Medienphantom Luther Blissett mit dem Roman »Q« gehörte. Seit den 1990er Jahren ist Cramer GNU/Linuxer und gehörte zur ersten Generation von AktivistInnen, die freie Software, Copyleft und Künste zusammenzubringen versuchten.

Urheberrecht, geistiges Eigentum und Kulturflatrate

Geistiges Eigentum ist der Oberbegriff für die Rechtsbereiche Urheberrecht, Patentrecht, Markenschutzrecht etc. Beim Urheberrecht geht es um die geistigen Schöpfungen im künstlerischen und wissenschaftlichen Bereich, beim Patentrecht hingegen um technische Erfindungen. Entdeckungen, wissenschaftliche Theorien oder mathematische Methoden fallen meist nicht unter das Patentrecht. Allerdings ist die Grenzziehung umstritten. Daneben gibt es u.a. noch das Halbleiterschutzgesetz zum Schutz der Topografie eines Chips, das Geschmackmustergesetz zum Schutz ästhetischer Darstellungen etc. Das Urheberrecht, Patentrecht etc. sind die Mittel schlechthin, Immaterielles in den je spezifischen Bereichen (künstlerische Leistung, Erfindungen etc.) zu Eigentum zu machen. Als solches ist geistiges Eigentum eine Institution ganz im Kontext der bürgerlichen Eigentumsordnung. Dass die genannten Rechtsformen immer wieder einem Wandel unterworfen sind oder infrage gestellt werden, ist Ergebnis der Dynamik der kapitalistischen Vergesellschaftungsweise und der damit einhergehenden Machtverhältnisse und Interessen der unterschiedlichen Akteure.

Als Kulturflatrate bezeichnet man Konzepte einer Pauschalabgabe, die an die Rechteinhaber digitaler Güter (Musik, Film etc.) verteilt werden sollen. Im Gegenzug soll es allen möglich sein, legal digitale Kopien zu beziehen. Viele sehen die Kulturflatrate als Teil einer umfassenden Reform des Urheberrechts.

Zum Weiterlesen:

Sabine Nuss: Copyright & Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus. Münster 2006.

ÜberLeben in den »Creative Industries«: Zwischen Lust und Last des Informellen. Dokumentation der internationalen Konferenz unter www.rosalux.de/event/19825/ueberleben-in-den-creative-industries.html.