Die Liga der Postgenderhörnchen
Deutschland Die Piratenpartei debattiert über Feminismus - ihre Antwort heißt »Equalismus«
Von Sandra Laczny
Schalten wir zurück ins Jahr 2010. Feminismus ist ein No Go in der Piratenpartei, genauso wie eine Mailingliste für Frauen oder sich »Piratin« nennen. Generisches Maskulinum ist das beste Maskulinum, und einige Frauen erklären unter der Überschrift »Vielfalt statt Grabenkämpfe - Offener Brief an diePiratinnen«, Frauen seien zwar in vielen Bereichen weiterhin benachteiligt, doch läge die Aufgabe vielfach auch bei den Frauen selbst. Nachdem die Feministinnen der 1970er und 1980er Jahre den Weg geebnet hätten, müsste die gesetzlich geschaffene Gleichstellung nun genutzt werden und die Frauen selbst für ihr gleichberechtigtes Dasein kämpfen. Wer zwischen Mann und Frau unterscheide, diskriminiere und bediene schlicht alte Klischees. Die Verfasserinnen des Briefs, allen voran die offen antifeministischen Elle Nerdinger und Mela Eckenfels sowie die sich heute als Feministin bezeichnende Julia Schramm, erhielten für ihre Absage an den Feminismus breite Unterstützung.
In jenem Jahr 2010 ist in der Piratenpartei das Private nicht politisch. Diskriminierende Gesellschaftsstrukturen werden ignoriert, die Verantwortung für tatsächliche Benachteiligung von Frauen auf individuelle (Fehl-)Entscheidungen geschoben. Aber Inhalte sind schnell vergessen, und später werden einige erklären, die Initiatorin der innerparteilichen Genderdebatte, Leena Simon, die mit diesem offenen Brief in ihre Schranken gewiesen wurde, habe sich einfach »ungeschickt angestellt«.
Im Mai 2011 wird der Bürgermeister von Heidenheim auf dem Bundesparteitag für die Anrede »Piratinnen und Piraten« ausgebuht. Darauf reagiert die »Liga der Transsexuellen Eichhörnchen« mit einem Manifest, das Respekt für Selbstbezeichnungen einfordert. Viele von ihnen seien Frauen, die sich Pirat nennen, froh, einen Begriff zu haben, der sie nicht in eine Geschlechterschublade stecke. Die Mehrheit bestimmt die Sprache bei den Piraten, und diese Mehrheit ist männlich.
Die Geburtsstunde des Piratenfeminismus ist ein Podcast mit Julia Schramm, Miriam Lakemann, Sebastian Westermayer und Benjamin Stöcker. Sie stoßen damit eine Diskussion darüber an, was Piraten unter Feminismus verstehen. Während sich Lakemann mehr Diversität bei den Piraten wünscht und Westermayer in der Unterrepräsentation von Frauen in der Politik ein gesamtgesellschaftliches Problem erkennt, kommen Schramm und Stöcker schnell auf die unvermeidliche »Was ist mit den Männern«-Frage.
Schramm erklärt, Feministinnen hätten sich zu sehr auf Frauen konzentriert. Sie fordert männliche Kritik an männlichen Stereotypen, befindet den Marlboro-Mann zum »größten Sexismus auf dem Planeten«, beklagt Männerbenachteiligung wie früheres Sterben, schlechtere Gesundheit und dass Männer der Prinz sein müssten. Stöcker hält Männer für »die Gearschten« der Rollenbilder. Schramm wünscht sich, dass die Piraten ein Gegengewicht zu den »unsäglichen Maskulisten« stellen, relativiert dies aber, nachdem Stöcker »überzogene« feministische Positionen im Strauß-Kahn-Fall und Benachteiligung von Männern beim Sorgerecht beklagt: Sie habe nicht den Maskulismus grundsätzlich gemeint. Schramm setzt auf Postgender zum Überwinden von Klischees. Westermayer meint, Postgender sei ein Strohmann, um der Debatte aus dem Weg zu gehen. Beim Piratenfeminismus scheint von Anfang an etwas Antifeminismus durch - und mehr als ein bisschen Sexismus.
Als nach der Berliner Abgeordnetenhauswahl das Frauenproblem der Piraten auf breites Interesse stößt, wendet sich im September 2011 der Kegelklub - das mittlerweile gegründete Genderkompetenzteam der Piraten - mit einem Aufruf an die »am etablierten Politikbetrieb geschulte« Presse und erklärt, dass negative Berichterstattung das Frauenproblem zu einem großen Teil generiere und viele interessierte Frauen abschrecke. Und auf eine verdrehte Art haben sie damit Recht. Denn ohne die Medien wären Frauen in der Partei kein Thema.
»Die Einführung von Quoten in Politik und Wirtschaft schafft Gleichberechtigung«. Diese Aussage sollen die BewerberInnen für die Berliner Landesliste im Februar 2011 bewerten. 15 Piraten verneinen, darunter Fabio Reinhard. Er veröffentlicht die Antworten der Fraktion kurz nach dem Einzug ins Abgeordnetenhaus in seinem Blog »15 Nein«. »Die Einführung von Quoten schafft Ungleichberechtigung«, erklärt Simon Kowalewski dort. »Quoten sind diskriminierend, da sie nach äußeren Merkmalen entscheiden«, findet Susanne Graf. Julia Schramm, die sich nun selbst als Feministin in den Kommentaren zu Wort meldet, macht für diese Wissenslücken einen Feminismus verantwortlich, der sich weigere, niedrigschwellig zu sein. Sich FeministIn nennen ist im Oktober 2011 kein Problem mehr bei den Piraten. Gleichstellungspolitik bleibt allerdings auch weiter eins.
Equalismus als postideologischer Container
In einem Workshop auf der Open Mind 2011 stellt Schramm ein Konzept namens »Equalismus« vor - den »Kampf für die Emanzipation und Entdiskriminierung des Einzelnen bei Beibehaltung aller individuellen Merkmale, die man sich selber zuschreiben möchte«. Equalismus sei ein Begriff, den sie sich »quasi ausgedacht« habe, weil sie fand, es gebe »viele gute Ideen beim Feminismus und viele berechtigte Ansätze bei der Männerrechtsbewegung«. Bei letzterer werde jedoch »leider das Rechts manchmal größer geschrieben ... als einem das lieb ist«. Sie wolle eine Möglichkeit finden, die weibliche und männliche Sicht zu integrieren. Dies sei bisher am Begriff gescheitert.
Weiter sollten die Piraten eine Position »zum Feminismus bzw. dann zu der Männerbewegung, zum Maskulismus (sic), erarbeiten«. Equalismus soll als neues Label eingeführt werden, da für viele schon das Wort Feminismus triggernd sei und Beißreflexe auslöse. Statt nun zu zeigen, dass das F-Wort nicht das ist, was viele Piraten angeblich fürchten, wird weiter tabuisiert, indem man antifeministische Ressentiments bedient. Dies mit der klaren Ansage, Inhalte aus Feminismus und Maskulismus verbinden zu wollen.
Versuchen wir also, uns das Konzept durch die Hintertür zu erschließen, und schauen, was die AnhängerInnen vertreten. Julia Schramm, selbstbezeichnete (Postgender-)Feministin und Provokateurin, zeichnet sich dadurch aus, dass sie in Bezug auf »Vergewaltigungswitze« aus ihrem Umfeld erklärt, ohne Humor und Gelassenheit bringe man es zu nichts. Sie scheint peinlich darauf bedacht, sich von anderen Feministinnen abzugrenzen. Hierfür scheuen sich Piratenfeministinnen nicht, antifeministische Vorurteile zu bedienen, um sich zur regelbestätigenden Ausnahme zu machen. Sie perpetuieren Rape Culture und Victim Blaming, indem sie etwa erklären, Frauen müssten klarstellen, keinen Sex zu wollen.
Schramm berichtet in einem Interview im Oktober 2011 von Piraten als sich vom Feminismus verarscht fühlenden Nerds mit Nice Guy Syndrom (»stets die besten Freunde, nie die Liebhaber«). Männer sollen sich, so Schramm, gegen klassische Rollenbilder, etwa die Ernährerrolle, wehren. Bei den Piraten herrsche eine »wahnsinnig tolle Sensibilität für Sexismus«.
Equalist Benjamin Stöcker ist laut seinem Blog ein von Alice Schwarzer traumatisierter Antifeminist, der es sexistisch findet, wenn im Café nicht zuerst seine Begleiterin um Bezahlung angegangen wird, und der einmal von einer Frau sexistisch angeschaut worden sei, weil er lila Glitzerponies cool findet. Tim Weber meint, Feminismus sei nicht »gescheit definiert«, und lehnt die Unterdrückung von Männern ab. Sylvia Poßenau zieht den Equalismus dem »Elfenbeinturmfeminismus« vor, dem sie den Standpunkt »Männer sind scheiße« zuschreibt. Benjamin Siggel lehnt die Frauenquote als »unmittelbar diskriminierend« ab und meint, sie stärke als scheinbar bequeme Überholspur Sexismus.
Equalismus soll ein »Hack« sein, um die Piraten von feministischen Ideen zu überzeugen und, im Unterschied zum Feminismus, alle mitzunehmen. Wie glaubwürdig ist das in einer Partei, die Postideologie zum Ideal erklärt, Postgender zum Ende geschlechtsspezifischer Diskriminierung, Feminismus zur Ideologie und Equalismus als im Unterschied zum Feminismus für alle offen? Postideologie tritt bei den Piraten immer wieder vor allem in Verbindung mit politischer Unbedarftheit und Geschichtsvergessenheit in Erscheinung, sei es durch unzureichende Abgrenzung nach rechts, oder, wie hier, als eine Feminismus-Strömung, die konservativ und heterosexistisch ist und Feminismus neben Antifeminismus vertritt.
Aber nicht alle Piraten werden dem postideologischen Motto »Nicht links, nicht rechts, sondern vorne« gerecht. Die Jungen Piraten wandten sich im April unter Federführung der 19-jährigen Laura Schmalenbach mit einem offenen Brief an die Partei, in dem sie Rassismus, Sexismus und weitere Diskriminierung kritisierten. Und nachdem diskriminierende Vorfälle in der Partei immer wieder als Einzelfälle abgetan wurden, gibt es jetzt einen »Einzelfälle« Tumblr-Blog, der diese sammelt. Solche Aktionen stoßen bei den Piraten nicht nur auf Zustimmung. Dass echtes Engagement gegen Diskriminierung dem Image der Partei mehr nützt als Abstreiten und untaugliche Hacks, müssen sie erst noch lernen.
Sandra Laczny schreibt auf ihrem anti*istischen Empörungsblog (sanczny.wordpress.com) u.a. über Feminismus.
Piraten auf Wachstumskurs
Die Piratenpartei ist inzwischen in Berlin (8,9%), dem Saarland (7,4%), Schleswig-Holstein (8,2%) und Nordrhein-Westfalen (7,8%) in Landesparlamenten vertreten. Gleichzeitig wachsen die Mitgliederzahlen. Bis zur Europawahl im Mai 2009 gab es noch keine 2.000 PiratInnen. Mit dem Wahlkampf zur Bundestagswahl Ende 2009 stieg die Zahl auf über 10.000, und mit dem Einzug der Piraten ins Berliner Abgeordnetenhaus im Januar 2012 verdoppelte sich die Zahl der ausgestellten Parteibücher in wenigen Wochen.
Das Durchschnittsalter lag bei den Piraten im April 2012 bei 40 Jahren (Grüne: 42; FDP: 51; CDU: 56,8; SPD: 58; DIE LINKE: 65). 2009 lag das Durchschnittsalter der Piraten noch bei 30 Jahren, damit ist auch bei der jungen Partei in den letzten zweieinhalb Jahren eine Alterung um zehn Jahre festzustellen. Der Frauenanteil in der Piratenpartei ist nicht bekannt, da er nicht erfasst wird.
Auf dem Parteitag in Neumünster Ende April 2012 stand die organisatorische und politische Funktionsfähigkeit der Partei im Mittelpunkt. Die wachsende Partei erweiterte ihren Vorstand. Zudem wurde der Blinker bereits Richtung Regierungsbeteiligung gesetzt. Das bedeutet, dass die Piraten sich in Zukunft dem politischen Diskurs der Regierungsfähigkeit unterwerfen. Da sind die Piraten noch nicht - aber sie arbeiten dran.
Ingo Stützle