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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 572 / 18.5.2012

Immer wieder fünf vor zwölf

Diskussion Die Fixierung auf Katastrophenszenarien verfestigt den Status Quo kapitalistischer Naturaneignung anstatt ihn aufzubrechen

Von Jana Flemming, Beate Friedrich und Tobias Schmitt

»Es ist 5 vor 12!« Meist dann, wenn die ökologische Krise mal wieder an die mediale Oberfläche gelangt, wird das Bild einer ablaufenden Uhr bemüht. Die Grenzen des Wachstums seien erreicht, der Planet würde »uns« um die Ohren fliegen, wenn »wir« nicht endlich handelten! Durch den Klimawandel würde »uns« bald das Wasser bis zum Hals stehen und andere ungemütliche Wetterereignisse würden die bürgerliche Vorortidylle trüben. Gleichzeitig würde das Trinkwasser knapp: Wüstenbildung allerorten, die Versteppung Mitteleuropas sei absehbar. Peak Oil sei erreicht - nie wieder würden »wir« so viel Öl aus der Erde holen können. Es würden Kriege um die letzten Tropfen des fossilen Energieträgers entbrennen.

Wenn eine bevorstehende Katastrophe ausgemalt wird, soll das erschrecken, aufwecken und Betroffenheit verursachen. Wirkmächtige Bilder wie der halb geflutete Kölner Dom (1) oder der einsame Eisbär auf der Eisscholle werden eingesetzt, um je nach AbsenderIn und Zielgruppe Regierende zum Handeln aufzufordern, Menschen zu Widerstand zu bewegen oder Unterstützung für die eigene Kampagnenarbeit zu erhalten. Die Ängste von Menschen zu mobilisieren, gilt dabei als legitimes Mittel.

Aber entsteht dadurch tatsächlich Handlungsfähigkeit? Vielmehr wird ein lähmendes und fatalistisches Gefühl von »Endzeitstimmung« vermittelt. Zudem kann ein Gewöhnungseffekt eintreten. So lebte die Anti-AKW-Bewegung jahrelang von dem Schreckensszenario eines Super-GAU. Doch als nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl das Leben - zumindest in Mitteleuropa - mehr oder weniger »normal« weitergehen konnte, war die Erleichterung groß. Zwar wurde weiterhin lautstark Kritik an der Atomenergie vorgetragen, doch konnten Atomreaktoren und deren Störfälle in die Vorstellungen von Normalität integriert werden. Und Fukushima? Die absolute und gefühlte Entfernung ließen uns emotionsloser auf die Bildschirme blicken, da mit Tschernobyl die Katastrophe ja bereits einmal durchlebt worden war.

Damit soll die Auswirkung von Reaktorkatastrophen - insbesondere für die Menschen in deren Umgebung - keineswegs relativiert werden. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Lehren aus den Normalisierungstendenzen von Katastrophen zu ziehen sind. Braucht es dramatische Bilder von ausgetrockneten Landschaften und abgeschmolzenen Gletschern, um Handlungsfähigkeit zu erhöhen? Oder verstellt der Blick auf zukünftige Katastrophen nicht vielmehr den Blick auf die gegenwärtig katastrophale Naturaneignung und ihre strukturellen Muster? Schließlich ist die Katastrophe der alltäglichen Naturaneignung insbesondere bei vielen Menschen im globalen Süden längst angekommen.

Politik des Zeitdrucks

Katastrophenszenarien sollen Druck aufbauen. Angesichts eines sich radikal verändernden Weltklimas genügt es nicht mehr, einen Apfelbaum zu pflanzen und ein paar Solarzellen aufs Dach zu schrauben. Dieser Handlungsdruck kann sich jedoch auch gegen herrschaftskritische Positionen richten, wie es sich zum Beispiel in den Debatten um die Green Economy oder den Green New Deal äußert. Aufgrund der Dringlichkeit der Lage bleibe - so die ökologischen ModernisiererInnen - nicht die Zeit, noch grundsätzliche und langwierige Projekte wie eine sozial-ökologische Umgestaltung voranzutreiben oder »zuerst noch die Verteilungsfrage zu klären« (2).

Demokratische und emanzipatorische Prozesse werden so gegen ein schnelles und konsequentes Handeln ausgespielt: Wenn der Planet noch gerettet werden solle, müsse dies mit möglichst effizienten Mitteln geschehen. Effizientes Handeln sei gerade nicht durch grundsätzliche Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen, sondern durch den Einsatz von Technik und marktförmigen Instrumenten möglich. Heraus kommen Lösungsansätze, die ökologisches Wirtschaftswachstum oder Kohlenstoffeinspeicherung propagieren und somit den dominanten AkteurInnen ein »weiter wie bisher« hinter modernisierter Fassade erlauben.

Drohende Katastrophen zu beschwören birgt die Gefahr, dass die aktuellen krisenhaften und ausbeuterischen gesellschaftlichen Naturverhältnisse zwar als problematisch wahrgenommen werden, aber in Bezug auf das Bevorstehende als relativ besser und somit als akzeptabel erscheinen. Die Fixierung auf Katastrophen verfestigt so tendenziell den Status Quo, anstatt bestehende Herrschaftsverhältnisse aufzubrechen. Außerdem werden Kämpfe gespalten und gegeneinander ausgespielt: der Kampf für die Natur gegen den Kampf für ein besseres menschliches Leben - Naturschutz gegen Arbeitskämpfe. Dabei könnten und müssten diese Kämpfe eng miteinander verbunden sein. Beispielsweise wurden im italienischen Porto Marghera bereits in den 1960er und 1970er Jahren Kämpfe in der Fabrik auf andere Lebensbereiche ausgedehnt und auch der herrschende Umgang mit der Natur in Frage gestellt. (3)

Von Grenzen und Gleichgewichten

Das Beschwören aufkommender Naturkatastrophen ist an die Vorstellung von fixen Grenzen der Natur gekoppelt: Klimatische Grenzwerte würden erreicht, Peaks überschritten und wesentliche Ressourcen seien bald erschöpft. Die Natur biete uns als Gesellschaft nur einen bestimmten Raum und gebe unserem Handeln klare Grenzen vor. Damit ist häufig die Vorstellung eines natürlichen Urzustandes verbunden, der gerade zerstört wird, oder eines Gleichgewichtszustandes, der endgültig kippt.

Nicht berücksichtigt wird dabei erstens, dass diese bedrohte Natur immer schon eine vergesellschaftete Natur ist. Zweitens lässt dieses Argument außer Acht, dass die Grenzen nicht (nur) von der Natur, sondern von gesellschaftlichen AkteurInnen und ihren Interessen gesetzt werden. Beispielsweise kann die Rede von angeblich natürlichen Grenzen des Verbrauchs ein Element von Klassenkämpfen sein: Hinter der Aussage, »wir« würden zu viel verbrauchen, verbirgt sich oft die Aufforderung an die aufmüpfigen Subalternen, doch gefälligst geringere Ansprüche zu stellen.

Drittens wird oftmals ignoriert, dass die Folgen sozial-ökologischer Krisen global sehr ungleich verteilt sind: Veränderungen, die für uns im Norden noch erträglich scheinen, können für andere Menschen lebensbedrohlich sein. Die »zukünftige« Katastrophe - sei es Wassermangel, Teuerung von Nahrungsmitteln oder Ausbreitung neuer Krankheiten - ist für viele Menschen schon längst realer Alltag. Viertens ist Natur keine Ressource, die vom Menschen genutzt werden kann und dann irgendwann aufgebraucht ist. Ressourcen und der Zugang zu ihnen sind immer abhängig von gesellschaftlichen Bedingungen, von Bedürfnissen, Technologien und Produktionsweisen. Ohne industrielle Revolution gäbe es keine Ressource Erdöl, ohne Mobiltelefone keine Ressource Coltan, ohne Patente oder andere Formen geistiger Eigentumsrechte keine Ressource »Biodiversität«.

Damit bleibt auch die These von einem natürlichen Gleichgewichtszustand der Natur fragwürdig. Wenn bedauert wird, dass Eisbären aussterben, oder geflucht wird, dass sich Moskitos ausbreiten, dann liegen diesen Aussagen gesellschaftliche Wertungen zugrunde, die nicht auf ein »gut« oder »schlecht« in der Natur selbst zurückzuführen sind. Wenn als Auswirkung des Klimawandels beklagt wird, dass Gletscher abschmelzen, der Meeresspiegel ansteigt oder die Wüstenbildung zunimmt, stehen dahinter handfeste Interessen und Probleme bestimmter gesellschaftlicher Gruppen. Aber es ist nicht etwa »die Natur«, die da aus den Angeln geraten wäre. Krisenhaft - und gleichzeitig krisenverursachend - sind in erster Linie Siedlungsstrukturen, Anbaumethoden, Produktionsweisen und bestimmte Arten der Bedürfnisbefriedigung (Stichwort »imperiale Lebensweise«).

Bevorstehende Katastrophen in den Mittelpunkt zu stellen birgt die Gefahr, die (vermeintlich) rein naturwissenschaftliche Beschreibung von Phänomenen zu akzeptieren und sie isoliert von gesellschaftlichen Verhältnissen zu betrachten. Wenn die Uhr auf fünf vor zwölf gestellt wird, muss jedoch immer danach gefragt werden, wer diese Uhr stellt und für wen. Für welche Art von Mobilität gibt es ein Peak Oil, für welche Art des Konsums ein Ende des Wachstums? Für welches Gesellschaftssystem kann es so nicht mehr weitergehen? Welche Art der Nahrungsmittelproduktion ist gefährdet? Für wen ist es bereits fünf nach zwölf?

Fünf vor zwölf für wen?

Wenn wir die Konzentration auf Katastrophen kritisieren, wollen wir damit nicht dazu auffordern, die Augen vor bestehenden Problemen zu verschließen. Die Naturaneignung des gegenwärtigen kapitalistischen Wirtschaftens ist zerstörerisch und hat katastrophale Auswirkungen. Doch es gibt Verantwortliche für diese Zerstörungen, und Widerstand dagegen ist möglich und notwendig. Bloße Effizienzsteigerungen oder andere technische Innovationen können aus sich selbst heraus Zerstörungen nicht unterbinden oder verhindern. Sie dienen meist den herrschenden AkteurInnen und vergrößern deren Macht sowie Zugriffs- und Zerstörungsmöglichkeiten.

Gesellschaftskritik und eine kritische Perspektive auf gesellschaftliche Naturverhältnisse gehören zusammen. Natur besteht nicht einfach nur »da draußen«, sondern ist in vielfältige gesellschaftliche Prozesse eingebunden. Daher halten wir es für wichtig, die Prozesse der Naturaneignung und die Herrschaftsverhältnisse in einer Gesellschaft als miteinander vermittelt zu begreifen. In den Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Verhältnisse sollten immer auch die Formen der Naturaneignung reflektiert werden - und Natur nicht unabhängig von (gesellschaftlichen) Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnissen betrachtet werden.

Eine differenzierte Analyse der Beziehungen zwischen Gesellschaft und Natur ist häufig nur schwer durchzuhalten, wie überhaupt differenziertes Denken mühsam werden kann und nicht unbedingt Schwung in die nächste Kampagne bringt ... Wir halten eine solche Analyse dennoch für unabdingbar, um Zusammenhänge und Verantwortlichkeiten erkennen und Widerstandsmöglichkeiten beschreiben zu können.

Jana Flemming, Beate Friedrich und Tobias Schmitt sind aktiv im BUKO-Arbeitsschwerpunkt Gesellschaftliche Naturverhältnisse (GesNat).

Anmerkungen:

1) SPIEGEL-Titelblatt 33/1986.

2) Zitat eines Vertreters der NGO Germanwatch.

3) Vgl. den Dokumentarfilm »Porto Marghera - Die letzten Feuer« aus dem Jahr 2004.

Katastrophale Argumente

Von 20.-22. Juni 2012 findet der sog. Rio+20-Gipfel statt. Im Vorfeld diskutierte der BUKO-Arbeitsschwerpunkt Gesellschaftliche Naturverhältnisse in den vergangenen ak-Ausgaben das Konzept der Green Economy. Dieses Mal wirft er einen Blick auf die problematische Beschwörung von Endzeitszenarien in der Klimadebatte.