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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 572 / 18.5.2012

»Against the bosses, against the blacks«

Rechtspopulismus Die Alltagserfahrungen im Neoliberalismus bilden einen Resonanzboden für rechte Argumentationen

Von Christina Kaindl

Seit dem Übertritt der europäischen Sozialdemokratie zum Neoliberalismus konnte die extreme Rechte in zwei Bereichen punkten: im Namen der Freiheit gegen den Sozialstaat und den zentralen, multiethnischen Nationalstaat; im Namen der »guten alten Arbeit« gegen die Zumutungen der Globalisierung, für die sie MigrantInnen und multinationale Konzerne verantwortlich machte.

Noch in den 1980er Jahren hatten die Parteien der extremen Rechten überwiegend neoliberale Positionen vertreten und gemeinsam mit neoliberalen Konservativen die Hegemonie der Sozialdemokratie und deren Verteidigung des Wohlfahrtsstaates kritisiert. Inhaltliche Berührungspunkte waren dabei u.a. Staatskritik, Demokratieverachtung und sozialdarwinistische Argumentationen. Mit dem Schwenk der Sozialdemokratie auf eine Politik, die innerhalb neoliberaler Rahmenbedingungen »sozialverträgliche« Alternativen suchte, zerfiel die Front von Neoliberalen und extremer Rechter. Letztere nahm ab den 1990ern zunehmend Globalisierungs- und Kapitalismuskritik in ihre Programme auf. Eine wichtige Funktion war dabei immer, Klassenfraktionen, die von den neuen Wendungen des Kapitalismus nichts zu gewinnen hatten, dem neuen Projekt beizuordnen.

Protektionismus plus Neoliberalismus

Die argumentativen Muster sind dabei nicht allzu vielfältig: Für Großbritannien in den 1970er und 1980er Jahren hat Stuart Hall die Funktion des »autoritären Populismus« aufgezeigt: Die »Unteren« werden in Stellung gebracht gegen einen scheinbar verschwenderischen Staat, der sorglos Reichtümer verteile, die die Nation nicht erarbeitet habe und der damit die Selbstständigkeit der kleinen Leute untergrabe. Dadurch wird ein diskursiver Gegensatz zu WohlfahrtsempfängerInnen konstruiert, die »auf Kosten der Gesellschaft« leben, ohne etwas dafür zu tun - hier hat die protestantische Ethik eine späte Wiederkehr. Gleichzeitig werden diese Personen »fremden Kulturen« zugeordnet, die nicht »unsere Werte« teilten. Mit der Abgrenzung »nationaler« von »fremder Kultur« gelingt es, solidarische Positionen (»against the bosses, for the blacks«) umzuwandeln in »against the bosses, against the blacks« und auf »einfache, bedrängte Leute« zu setzen. (1)

Etwas später, Mitte der 1990er, werben die Republikaner in Deutschland dafür, dass weniger Arbeitslosigkeit durch bessere »Rahmenbedingungen« zu erreichen sei - etwa durch die Erweiterung der Zumutbarkeitsregeln, die Beseitigung »verkrusteter Tarifautonomie« und die Reformierung des Sozialstaats »gegen Größenwahn und Maßlosigkeit«. Die Begrifflichkeiten scheinen (z.T. wörtliche) Vorboten neoliberaler - im Falle der BRD rot-grüner - Arbeitsmarktreformen zu sein - und das in einer Zeit, in der diese Debatten zwar von konservativer Seite geführt, jedoch nicht gegenüber der Bevölkerung durchgesetzt werden konnten. Ähnlich setzte die FPÖ in Österreich auf die ungehinderte Verbreitung von Privateigentum und Leistungsprinzip, indem sie die Entlohnung grundsätzlich den Regeln des Marktes unterwerfen und ein anreizbezogenes Sozialversicherungssystem errichten wollte.

Die widersprüchliche Verbindung von Protektionismus und Neoliberalismus sollte später der Anknüpfungspunkt sein für die Umorientierung rechtspopulistischer Formationen auf eine Antiglobalisierungshaltung und die »Sorgen der Menschen«. Widersprüchliche Bestrebungen innerhalb des rechten Lagers sind dabei nicht unbedingt ein Hindernis, sondern können sogar hilfreich sein, weil nur so verschiedene Interessenlagen zusammenzubringen sind. (2)

Erst mit dem Aufkommen von New Labour und vergleichbaren neoliberalen Repositionierungen der europäischen Sozialdemokratie in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ist es gelungen, neoliberaler Politik - in Form von weitgehenden Einschränkungen des Wohlfahrtsstaates, Absenkungen der Reallöhne und dem Diskurs um Eigenverantwortung, Zumutbarkeit, Beschäftigungsfähigkeit etc. - Hegemonie zu verschaffen. Dass dabei entstehende soziale Probleme vom Neoliberalismus nicht gelöst werden oder bei einem großen Teil der Bevölkerung keine Zufriedenheit oder aktive Unterstützung für den Neoliberalismus anzutreffen sind, muss nicht gegen den Befund der Hegemonie sprechen - solange eine Alternative als nicht denkbar oder unrealistisch empfunden wird und solange Krisen und Probleme innerhalb neoliberaler Paradigmen bearbeitet werden.

Gegen Globalisierung, für die »gute alte Arbeit«

Diese Lücke der Repräsentation konnte die extreme Rechte für sich nutzen - nicht mit dem neoliberalen Programm der 1980er Jahre, sondern gerade mit der Kritik an den Auswirkungen der neoliberalen Globalisierung auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen. Die Programme der extremen Rechten versuchen dabei am Wohlfahrtsstaatsbewusstsein der Menschen anzuknüpfen, indem Ansprüche verteidigt und Anforderungen problematisiert werden, denen sich Menschen in der neuen Produktionsweise ausgesetzt sehen. Zentrale Mobilisierungspunkte sind dementsprechend: gegen Globalisierung, Liberalismus und Sozialabbau, für eine Verteidigung der »guten alten Arbeit« und der Arbeiterrechte.

Gleichzeitig sind diese Argumentationen eingebunden in Konzepte von völkischen Solidargemeinschaften. Diese wollen die Frage von Arbeitsplätzen und Sozialleistungen auf Kosten von so genannten Ausländern oder sozial Schwachen lösen und sich gleichzeitig »nach oben« abgrenzen, gegen die »Manager und Bosse« sowie die PolitikerInnen, die allesamt zu viel bezahlt bekämen. Die dagegen gestellte »Homogenität« des Volkes, die es (zurück) zu gewinnen gelte, ermöglicht hingegen eine imaginäre Vergemeinschaftung, die die real erfahrenen sozialen Spaltungen bewältigen lässt. (3)

Demnach bilden die Alltagserfahrungen im Neoliberalismus - in Bezug auf Arbeit, Sozialstaat, sinkende Kaufkraft und schwindende soziale Infrastruktur - einen Resonanzboden für rechte Argumentationen. Eine Verschiebung neoliberaler Hegemonie ist bislang nicht in Sicht. Zwar hat die deutsche Regierung in der Hochzeit der Krise 2008/09 schnell »Handlungsfähigkeit« demonstriert und in einer Art fordistischer Reminiszenz eine kurze Neuauflage des Korporatismus geschaffen (Kurzarbeitergeld, Abwrackprämie, Bailout für Banken und Automobilindustrie). Damit ließ sie (nicht nur) den Diskurs der rechten KritikerInnen des neoliberalen Finanzkapitalismus (NPD: »Mammonismus«) in den Hintergrund treten.

Doch die neoliberale Kürzungspolitik unter dem Deckmantel der »Austerität«, die Stärkung undemokratischer Entscheidungsfindungen (unter anderem) auf europäischer Ebene sowie die Ausgrenzungsforderungen und Schuldzuweisungen an Bevölkerungen anderer Länder öffnen rechten Diskursen neue Spielräume und verstärken die Resonanzen. Ob es langfristig und über nationale Grenzen hinaus gelingen kann, die Bearbeitung der Gerechtigkeitslücke den rechten Politikprojekten zu entreißen und in emanzipatorische, solidarische Perspektiven einzubinden, wird deshalb letztlich davon abhängen, ob es den Linken gelingt, Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung jenseits der autoritären und nationalen Bezüge des Fordismus in einem neuen Projekt globaler Solidarität aufzuheben.

Christina Kaindl ist Redakteurin der Zeitschrift »Luxemburg«.

Anmerkungen:

1) Vgl. Stuart Hall: Popular-demokratischer oder autoritärer Populismus. In: W.F. Haug u.a.: Internationale Sozialismusdiskussion, Bd. 2: Neue soziale Bewegungen und Marxismus, Hamburg 1982, S. 104-124.

2) Vgl. Alex Demirovic/ManuelaBojadzijev: Konjunkturen des Rassismus, Köln 2002, S. 13.

3) Vgl. Albert Scharenberg: Brücke zum Mainstream - Mainstream als Brücke. Europäische Rechtsparteien und ihre Politik gegen Einwanderung, in: Thomas Greven/Thomas Grumke (Hrsg.): Globalisierter Rechtsextremismus? Die extremistische Rechte in der Ära der Globalisierung, Wiesbaden 2006, S. 78.