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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 572 / 18.5.2012

Europa nach dem Ende von »Merkozy«

International Auch mit François Hollande ist kein Politikwechsel in Sicht

Mit Nicolas Sarkozys Abwahl hat auch das informelle europäische Führungsduo »Merkozy« zu existieren aufgehört. Doch kaum gewählt, reist der neue französische Staatspräsident François Hollande nach Berlin. Die symbolträchtige Eile, die er bei seinem Zusammentreffen mit Angela Merkel an den Tag legt, hängt mit der Zuspitzung der griechischen Krise nach der dortigen Parlamentswahl vom 6. Mai zusammen. Hollande steht also schon unmittelbar nach seiner Amtseinführung im Zentrum der europäischen Krisenpolitik. Zum einen, weil Frankreichs Mitwirkung beim Umgang mit den widerspenstigen Griechen gefragt sein wird. Zum anderen aber auch, weil Hollande aus Sicht der deutschen Regierung selbst ein unsicherer Kantonist ist: Im Wahlkampf hat er versprochen, er wolle den am 2. März dieses Jahres vereinbarten »Fiskalpakt« mit seiner strengen »Schuldenbremse« neu verhandeln; 25 der insgesamt 27 Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten (ohne Großbritannien und Tschechien) hatten damals zugestimmt. Am 1. März hatte Hollande dieses Ziel bei einem Wahlkampfauftritt in Lyon ausgegeben: »Eine Stimme für mich wird eine Stimme dafür sein, dass dieser von Frau Merkel durchgesetzte Vertrag revidiert wird.« Das war nicht misszuverstehen.

Mehrfach bereits hat die deutsche Bundesregierung erklärt, es komme »nicht in Frage«, zu verändern, »was zwischen 25 Staaten vereinbart worden ist«. Und tatsächlich dreht sich die Debatte inzwischen auch nicht mehr wirklich darum, den Fiskalpakt mit seinen Obergrenzen für die Staatsschulden und den automatischen Sanktionen gegen »sündige« Länder noch einmal zur Diskussion zu stellen. Dieses Anliegen ist de facto bereits vom Tisch. Längst hat auch Hollande den »Imperativ« akzeptiert, die Schuldenaufnahme des Staates auf Null zu reduzieren - Nicolas Sarkozy sagte während des Wahlkampfs, er wolle die totale »Schuldensperre« bis 2016 greifen lassen; laut Hollande soll das bis 2017 erreicht sein. Diskutiert wird nur noch, ob oder wie dem »Fiskalpakt« mit seinen Sparzwängen ein zusätzliches Kapitel »für Wachstumsziele« hinzugefügt werden soll. Prinzipiell scheinen sich alle zentralen Akteure einig zu sein: Der neue Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, sprach sich am 25. April dafür aus - worauf Hollande in der Schlussphase des Wahlkampfs verwies. Auch die EU-Kommission neigt dem zu. Die deutsche Bundesregierung könnte ebenfalls einem Formelkompromiss zum Thema zustimmen. Allerdings bleibt noch fraglich, was jeder der Protagonisten mit »Wachstumszielen« meint.

Mario Draghi nämlich versteht darunter vor allem »Strukturreformen« etwa auf dem Arbeitsmarkt, ähnlich den Hartz-Gesetzen in Deutschland, und einen Abbau der »Lohnkosten« sowie die Steigerung von »Wettbewerbsfähigkeit«. Dem würde sich Berlin nicht entgegenstellen. Nur warnte Merkel am 10. Mai im Bundestag: Ein Wachstum durch »Strukturreformen« (im oben genannten Sinne) sei »wichtig und notwendig«, »aber Wachstum auf Pump lehnen wir ab. (...) Wir wollen es nicht tun, wir werden es nicht tun.« Dies bedeutet, die deutsche Bundesregierung will keine Investitionen der öffentlichen Hand, im Namen der Steigerung des Wachstums.

Bis zur französischen Parlamentswahl im Juni wird François Hollande sicherlich auch weiter die Pläne der Bundesregierung und der EU-Kommission kritisieren. Mittelfristig zeichnen sich aber durchaus mögliche Kompromisslinien ab. Italiens Regierungschef Mario Monti etwa regte an, die von Merkel verfolgten Ziele einer »Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit« durch »Reformen des Arbeitsmarkts« mit einer Strategie zu kombinieren, bei der strategische »Zukunftsvisionen« - die der ideelle Gesamtkapitalist im Interesse des Systemerhalts tätigen würde - bei der Berechnung der Staatsverschuldung ausgeklammert werden.

Bernhard Schmid