Demonstrative Ankündigung
Aktion Blockupy war ein Erfolg und Ausdruck einer neuen Form von Politik
Interview: Ingo Stützle
»Blockupy Frankfurt war nur ein Anfang. Ein Anfang aber ist das, was augenblicklich wiederholt werden kann, immer wieder neu.« So nüchtern erklärt die Interventionistische Linke (IL) den Erfolg von Blockupy. Mitte Mai wollten bei den europäischen Aktionstagen in Frankfurt am Main mehrere Tausend AktivistInnen das Finanzzentrum lahmlegen - eine massive Polizeipräsenz kam zu Hilfe. Über den Charakter des Erfolgs und die Politik, Plätz zu besetzen, sprach ak mit Publizist Michael Jäger.
ak: In eurem Buch geht es viel um Radikalität und was radikale Politik ausmacht. War Blockupy radikal? Warum?
Michael Jäger: Wir haben Radikalität zweifach definiert. Einmal natürlich im Wortsinn und mit Marx als »an die Wurzel« eines Problems rührendes Verhalten. Das ist die objektive Seite. Zum andern aber subjektiv als Haltung freier Menschen, »die sich mit dem Ganzen ihrer Existenz einer Wahrheit verpflichtet haben« und ihr auch dann mit »Entschiedenheit« folgen, wenn das für wahr Gehaltene dem eigenen Begehren widerspricht.
Blockupy war in beiden Hinsichten radikal. Objektiv, weil der Herd der europäischen Schuldenkrise eben nicht Griechenland, sondern das Frankfurter Bankenviertel mit Deutscher Bank und EZB ist. Blockupy hat versucht, das sichtbar zu machen. Subjektiv unter anderem deshalb, weil sich auch militante Gruppen nicht zur Gewalt haben provozieren lassen, die der Sichtbarkeit der politischen Botschaft nicht gut getan hätte.
Aus deiner Sicht war Blockupy demnach trotz Verboten und einer unvergleichlichen Einschränkung der Grundrechte ein Erfolg?
Auf jeden Fall war das ein Erfolg. Die Frankfurter Stadtverwaltung und auch etwa die FAZ, die ihr Schützenhilfe geleistet hatte, standen ja wegen der Verbote in der Öffentlichkeit ziemlich dumm da, nachdem Blockupy so selbstbewusst friedlich über die Bühne gegangen war. Es war ein sehr großer Erfolg, dass Blockupy kurzfristig die Schlagzeilen beherrschte. So war es beispielsweise bei tagesschau.de die erste Meldung. Es war ein Erfolg, dass niemand glauben konnte, die Occupybewegung sei wegen der Räumung von Occupy Frankfurt im Niedergang.
Ich selbst hatte einen möglichen Erfolg von Blockupy zunächst angezweifelt. Schließlich war es eine Aktion, auf die sich die Polizei in aller Ruhe und in aller Form vorbereiten konnte - es war ja klar, dass sie aufmarschieren würde. Aber alle Verhinderungsaktivitäten der Polizei liefen ins Leere, weil Blockupy ohnehin mehr eine Ankündigung oder deutliche Ansage als schon der letzte Ernstfall gewesen ist. Das Bankenviertel müsste besetzt werden! Hier ist der Ort der Auseinandersetzung, und hier geht sie weiter! Die Botschaft kam rüber und wird im Gedächtnis bleiben.
Was ist neu an der Occupypolitik?
Neu ist, dass Politik nicht mehr nur der Versuch ist, Einsichten oder Interessen zu kommunizieren, zu welchem Zweck man sich organisierte Strukturen gibt, sondern darüber hinaus der Versuch ist, Plätze zu besetzen. Genauer gesagt liegt das Neue darin, dass Betriebe nicht mehr der einzige Platz sind, den man unter Umständen besetzt. Bestimmte zentrale Plätze in den Metropolen, in denen sich die Staatsmacht symbolisch repräsentiert, sind ebenso wichtig geworden, ja waren es eigentlich, wie David Harvey jüngst gezeigt hat, schon immer.
Ob Turin nach dem Ersten Weltkrieg oder Paris 1871, in den großen Kämpfen musste es immer darum gehen, die Hegemonie über die ganze Stadt, ihre Orte, Bewohner und Funktionsträger, zu erringen. Es ist gut, wenn für eine politische Botschaft demonstriert wird, aber eine Demo ist schnell vorbei. Occupy ist der Versuch, zu bleiben. Wer sich auf einem Platz festsetzen will, zeigt, dass er oder sie bereits um die Macht zu kämpfen beginnt - siehe Kairo.
Ohne organisierte Strukturen wäre Blockupy nicht möglich gewesen oder desaströs ausgefallen. Für viele, die einfach so, d.h. unorganisiert, nach Frankfurt gefahren sind, war aber oft unklar, wer eigentlich was wo entscheidet. Ist das Spannungsverhältnis zwischen mobilisierter Masse und organisierten Kernen aufzulösen?
Vielleicht sollte man es gar nicht auflösen wollen. Wenn man sich auf die Losung »Wir sind die 99 Prozent« einlässt, wird man, wenn man zu den organisierten Kernen gehört, gerade daran arbeiten, dass die Vielen sich selbst artikulieren können. Thomas und ich sind in unserm Büchlein von dieser Prämisse ausgegangen. Dabei hofft man, dass immer mehr Leute dazukommen, die nicht sowieso immer schon richtig fanden, was die Organisierten sagen. Die würden gar nicht darauf warten, dass andere etwas für sie entscheiden, glaube ich.
In einem Film von Thomas Heise habe ich folgenden Satz aufgeschnappt: »Wir wollten selbst denken, statt gedacht zu werden«. Er handelt von der DDR, gilt aber doch auch in der Bundesrepublik. Die Organisierten stellen Strukturen bereit, ansonsten sind sie einfache Teilnehmer, die aber etwas einzubringen haben, weshalb sie vor allem Meister im Kommunizieren, auch gute Zuhörer sein müssen.
Michael Jäger
ist Publizist und Redakteur der Wochenzeitung der freitag. Dort führt er das Blog »Die andere Gesellschaft«. Mit Thomas Seibert veröffentlichte er gerade die Flugschrift »alle zusammen. jede für sich. die demokratie der plätze« (VSA Verlag), die in ak 572 besprochen wurde.