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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 573 / 15.6.2012

Aufgeblättert

Gutes Leben für alle!

Mit seiner neuen Publikation zur Kritik an der herrschenden Wachstumslogik und zur Suche nach alternativen Formen guten Lebens liegt das Informationsbüro Nicaragua im Trend der gegenwärtigen linken Debatten. Die Aufsätze reichen von Themen wie Klimagerechtigkeit, Wohlstandsmessung und der Frage nach dem Recht auf Stadt bis hin zu konkreten Lösungsansätzen wie der verstärkten Selbstversorgung in der Postwachstumsökonomie, Guerilla-Gardening und der Nutzung von öffentlichen und Gemeinschaftsgütern. Dabei beziehen sich die AutorInnen stark auf lateinamerikanische Debatten - insbesondere auf das Konzept des Buen Vivir (»Gutes Leben«), wie es seit einigen Jahren von indigenen Bewegungen in Bolivien und Ecuador vertreten wird. Dieses richtet sich explizit gegen individualistische und materialistische westliche Wohlstandsvorstellungen und betont ein harmonisches Verhältnis mit der Natur. Leider gelingt es dennoch auch in dieser Publikation nur zum Teil, Ansätze aus dem globalen Süden ernsthaft mit in die Debatte einzubringen: Zum einen liegt weiterhin ein thematisches Übergewicht auf westlichen Konzepten, zum anderen kommen so gut wie keine AutorInnen des Südens zu Wort. Trotzdem ist das Buch eine gelungene Einführung in die aktuellen Debatten. Die Texte sind knapp gehalten, wurden in vielen Fällen von den wissenschaftlichen ProtagonistInnen der jeweiligen Themen verfasst und sprechen zentrale Thesen an.

Susanne Brehm

Informationsbüro Nicaragua (Hg.): Her mit dem guten Leben! Gegenentwürfe zur globalen Krise. Nahua Script 14, Wuppertal 2011. 112 Seiten, 4 EUR.

Riot, don't diet!

Das Potenzial zum »Manifest einer feministischen Partei« sieht das Bücher-Magazin in Laurie Pennys Streitschrift »Fleischmarkt«. Die britische Journalistin zeigt darin am Beispiel von Sexualität, Essstörungen, geschlechtsspezifischem Kapital und Hausarbeit, wie weibliche Körper im Kapitalismus entmachtet und kontrolliert werden. Dabei streift sie auch die Themen Pornografie und Sexarbeit, garniert mit Zitaten von Shulamith Firestone, Jean Baudrillard oder Nina Power. Das Ganze ist in einem schrillen Tonfall gehalten, der die Lektüre eher anstrengend macht - etwa wenn Penny von der »kapitalistischen Abscheu vor dem menschlichen Fleisch« fabuliert oder die »Verleugnung der schmutzigen, strotzenden weiblichen Kraft« anprangert. Dabei wäre das Thema auch ohne eine solche Rhetorik interessant und »skandalös« genug. Pennys Rede von »der weiblichen Macht«, die durch die Zurichtung von Frauenkörpern unterdrückt werden soll, erinnert bisweilen stark an den Feminismus der 1970er Jahre. Dass sie dennoch weniger essenzialistisch denkt als ihre Vorgängerinnen, wird in dem Abschnitt über Transsexualität deutlich. Dort grenzt sie sich deutlich von transphoben Feministinnen ab und fordert eine »schwesterliche Allianz zwischen Cis-Feministinnen und der Transsexuellen-Bewegung«. Insofern ist »Fleischmarkt« eine feministische Empörungsschrift, keine tiefergehende Analyse. Nur wer letzteres erwartet, dürfte enttäuscht werden.

Sarah Lempp

Laurie Penny: Fleischmarkt - Weibliche Körper im Kapitalismus. Edition Nautilus, Hamburg 2012. 128 Seiten, 9,90 EUR.

Chilenische Veteranen

Luis Sepúlveda widmet seinen Roman »Der Schatten dessen was wir waren« den »Gefährtinnen und Gefährten, die gestürzt und wieder aufgestanden sind, ihre Wunden versorgt und ihr Lachen bewahrt, sich ihren Frohsinn erhalten und weiter den Weg unter die Füße genommen haben«. All das gilt auch für Sepúlveda, einen mittlerweile 63-jährigen chilenischen Linken, der nach dem Putsch 1973 viele Jahre im Exil lebte - und für die Protagonisten seiner ebenso anrührenden wie skurrilen Geschichte. Vier linke Veteranen treffen sich 35 Jahre nach dem Putsch, um einen Schatz zu heben. Er befindet sich in einem Versteck, das 1925 schon bei einem Banküberfall in Santiago de Chile benutzt wurde - von vier Anarchisten, darunter der legendäre Buenaventura Durruti, der den Bankangestellten verkündete: »Das Geld, das wir mitnehmen, wird die Verdammten dieser Erde beglücken.« Auch mehr als 80 Jahre später geht es den »Räubern« nicht um persönliche Bereicherung - denn der Koffer, den sie bergen wollen, enthält vor allem Dokumente, die Verbrechen hoher Militärs der Pinochet-Diktatur belegen. Spannender noch als die Kriminalgeschichte, in der auch ein abgeklärter Inspektor und seine junge Kollegin eine Rolle spielen, sind die politischen Exkurse: ironische Seitenhiebe auf das absichtsvoll »vergessliche« heutige Chile, aber auch auf linke Flügelkämpfe und Sektierereien. Luis Sepúlveda ist ein Roman gelungen, der Witz und Tiefgang verbindet.

Jens Renner

Luis Sepúlveda: Der Schatten dessen was wir waren. Roman. Rotpunktverlag, Zürich 2011. 156 Seiten, 19,50 EUR.

NS-Zwangsarbeit

Lisa Grow und Günter Siedbürger beschreiben in einem gut lesbaren Band einen Stadtrundgang der Geschichtswerkstatt Göttingen zum Thema NS-Zwangsarbeit. Ausgangspunkt ist die Göttinger Innenstadt am ehemaligen Zigarrengeschäft Zapfe. Über die Rote Straße geht es zum Albaniplatz, dann über die Stadthalle zum Café »Cron und Lanz« in der Fußgängerzone; Endstation ist der Bahnhof. Zu den Arbeitgebern, die von der Zwangsarbeit profitierten, gehörten auch das Deutsche Theater, das frühere Stadtkaffee und Gebhards Hotel. Auf der Fahrradtour kommen noch einige stadtauswärts gelegene Einrichtungen hinzu: die Messtechnik-Firma Mahr (früher »Feinprüf«), die ehemalige Wäscherei »Schneeweiß«, die ehemalige Firma »Winkel-Zeiss«. Vorgestellt werden auch der Standort des »Ostarbeiterlagers« auf dem Schützenplatz und das Gräberfeld für ZwangsarbeiterInnen auf dem Stadtfriedhof. Die Betriebe, Gaststätten und Gemeinden, die ZwangsarbeiterInnen beschäftigten, verhalten sich bis heute teilweise recht unkritisch oder überhaupt nicht zu ihrer eigenen Vergangenheit. Grow und Siedbürger listen immer wieder ähnliche Vorgänge auf: die Zwangsdeportation der »Fremdarbeiter« nach Deutschland, ihre katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen mit ständigem Hunger, Ausgrenzung und der dauernden Gefahr, für Geringfügigkeiten im KZ zu landen. Einige von ihnen werden in längeren biografischen Porträts am Ende des Buches gewürdigt.

Martin Block

Geschichtswerkstatt Göttingen (Hg.): Von der Konditorei zur Messtechnik: NS-Zwangsarbeit in Göttingen. Ein Stadtrundgang zu Fuß und mit dem Fahrrad. AktivDruck Verlag, Göttingen 2011. 140 Seiten, 8,50 EUR.