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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 573 / 15.6.2012

Klimadoktoren öffnen die Büchse der Pandora

Diskussion Geo-Engineering - Lösung der Klimakrise oder technokratischer Größenwahn?

Von Georg P. Kössler

Die Reduzierung anthropogener Treibhausgasemissionen kommt nur stockend voran, und die Regierungen der Welt können sich selbst auf kleine Änderungen ihres wachstumsbasierten Wirtschaftens nicht einigen. Die Wahrscheinlichkeit, die sogenannten »Kipppunkte« im Klimasystem zu überschreiten, steigt mit jedem Tag. Stehen wir nicht eigentlich bereits kurz vor dem globalen ökologischen Kollaps? In dieser Situation scheint es wie ein Lichtstreif am Horizont, dass mit Geo-Engineering endlich konkret etwas gegen die globale Erwärmung gemacht werden kann. Doch was verbirgt sich wirklich dahinter?

Unter Geo-Engineering versteht mensch die bewusste und großtechnische Veränderung der Erdsysteme, um dem menschgemachten Klimawandel zu begegnen. Dies ist nicht mit der klassischen Manipulation des Wetters zu verwechseln, die es seit Jahrzehnten gibt und die bis heute - z.B. vor großen Sportereignissen - Anwendung findet. Bei Geo-Engineering geht es nicht nur um schönes Wetter oder Dauerregen zur Kriegsführung - letzteres übrigens seit 1978 durch einen UN-Vertrag verboten (1) -, sondern um eine angebliche Medizin gegen die existenzielle Klimakrise.

Grundsätzlich kann zwischen zwei Arten des Geo-Engineering unterschieden werden: einmal die künstliche Verringerung des aufgrund des Menschen zuletzt rapide angestiegenen CO2-Levels in der Atmosphäre durch sogenannte »Carbon Dioxide Reduction« (CDR). Zum anderen ist es theoretisch möglich, durch »Solar Radiation Management« (SRM) den Strahlungsantrieb der Sonne (2) und damit die Wärmezufuhr in das Erdsystem zu begrenzen. Letztere Methode zielt direkt auf eine Verringerung der globalen Erwärmung ab, würde jedoch nichts am steigenden CO2-Level ändern.

BefürworterInnen von Geo-Engineering sehen größtenteils auch ein, dass sie keine Lösung gegen die Wurzel des Problems haben, sondern lediglich die Symptome bekämpfen. Eine gesellschaftliche Diskussion über Nutzen und Gefahren dieser globalen Aspirintabletten ist daher dringend nötig. Bisher haben sich Politik und Zivilgesellschaft in Deutschland dieser Frage aber noch nicht stellen wollen.

Duale Strategie mit einer Vielfalt an Methoden

Kurz vor der Gründung der UN-Klimarahmenkonvention brach im Jahr 1991 der Vulkan Pinatubo auf den Philippinen aus und wirkte wie eine Aspirintablette für den Planeten: Durch den in die Luft geschossenen Staub, v.a. Schwefelaerosole, verdunkelte sich die Atmosphäre global, weniger Sonnenstrahlen trafen auf die Erde. Es kam zu einer durchschnittlichen Abkühlung von fast 0,2 Grad Celsius, die einige Monate anhielt. 2006 stellte Paul Crutzen schließlich die These auf, dass ein künstlicher Vulkan sinnvoll wäre, um der globalen Erwärmung zu begegnen. Mittlerweile gibt es hierzu Hunderte Abhandlungen, und die »Aerosolsprühung« ist eine der beliebtesten und meistbeachteten Methoden des Geo-Engineering. Allerdings haben alle SRM-Ideen den Nachteil, dass sie zwar die Temperaturen sinken lassen könnten, aber die Versauerung der Meere außer Acht lassen, die ebenfalls durch hohe CO2-Level hervorgerufen wird. Zudem haben sie ein Terminationsproblem: Wie kann eine jahrzehntelange Sprühorgie beendet werden, ohne dass es rückläufige Klimaeffekte gibt?

Der Charme dieser Idee liegt v.a. in der schnellen Wirksamkeit bei vergleichsweise niedrigen Kosten. Neben vielen weiteren Risiken und Nebenwirkungen ist aber genau das eine große Gefahr: Einzelne Staaten oder gar private Akteure könnten, im Weltrettungswahn oder aus strategischen Interessen, diese Methode ganz alleine anwenden. Ein globaler Schockmoment - z.B. das Abschmelzen des westantarktischen Eisschildes oder ein Stopp des indischen Monsuns - könnte zudem ausreichen, um einen Notwendigkeitsdiskurs los zu treten, der zum Einsatz von Geo-Engineering-Methoden führt. Diese Büchse der Pandora ließe sich wohl nicht wieder schließen; negative Auswirkungen würden ein »naming and blaming«, nicht aber einen Stopp der Eingriffe auslösen. Die Klimaverhandlungen lassen grüßen. Jana Flemming, Beate Friedrich und Tobias Schmitt haben diese Kehrseite des Katastrophismus in ak 572 treffend analysiert.

Während bei sämtlichen SRM-Methoden den Akteuren eine gesunde Portion Größenwahn unterstellt werden darf, ist das bei CDR schwieriger, da dies eine Art »weiches Geo-Engineering« darstellt. Die beliebtesten Methoden orientieren sich nah an natürlichen CO2-Ablagerungsprozessen oder bauen auf die - in Deutschland bereits politisch abgelehnte und zudem unwirtschaftliche - Strategie der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS - Carbon Dioxide Capture and Storage).

Derzeit konstruieren Forscher wie der Harvard-Professor David Keith »Air Capture«-Maschinen, welche das CO2 direkt aus der Luft abscheiden können, obwohl es dort in 300mal geringerer Konzentration vorkommt als in Kraftwerksemissionen. Unabhängig von der Langsamkeit, dem hohen Energieaufwand, den Kosten und Speicherproblemen ist dies zumindest ein denkbarer Weg, um das CO2-Level in der Atmosphäre wieder zu senken. Natürlichere Alternativen wie Wiederaufforstungen werden in der Diskussion zwar auch genannt, lassen sich aber nicht so leicht in die Verwertungslogik pressen. Die Verhinderung von CDR erscheint zudem schon heute schwierig angesichts der sich in Fachkreisen verbreitenden Ansicht, dass angesichts derzeitiger Emissionslevel und der Verzögerungen im Klimasystem das CO2 später auch wieder aus der Atmosphäre heraus geholt werden muss.

Als das deutsche Forschungsschiff »Polarstern« sich 2009 zu seiner letztlich recht erfolgsarmen Forschungsreise in den Südatlantik aufmachte, um mittels Düngung des Meeres dessen natürliche Aufnahme von CO2 zu beschleunigen, war auch dies ein Versuch von Geo-Engineering. Patente auf diese »Technologie« sind bereits vergeben, und so ist es nicht unwahrscheinlich, dass weiterhin versucht wird, aus den Meeren die CO2-Müllkippe der Erde zu machen. Der Komplexität ökologischer Prozesse steht der Mensch arrogant gegenüber und wird auch weiterhin an ihr scheitern. Denn »je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen«, bemerkte schon Dürrenmatt.

Wenn Doktoren zum Problem werden

Eine ethische und gesellschaftliche Betrachtung des Klimaproblems ist daher dringend notwendig. Geht es hierbei einigen um die moralisch-theologisch begründete Skepsis gegenüber dem Anspruch, »Gott zu spielen«, so können auch humanistische Denktraditionen ausreichende Gründe anführen für eine Abneigung bis hin zur offenen Bekämpfung von Geo-Engineering. Das wichtigste Argument dabei lautet, dass sich durch den Fokus auf Geo-Engineering eine prinzipielle Abwendung von der derzeitigen kapitalistisch-fossilistischen Unordnung weiter verzögert. Die Empirie spricht hier für sich, auch wenn die Wortführer - mit einigen Ausnahmen (3) - die primäre Notwendigkeit von Emissionsvermeidung (nicht aber einer grundlegenden Transformation) stetig beteuern. Die in allen zentralen Kommissionen und Artikeln eingebundene »Geo-Engineering-Clique« spielt außerdem herunter, wie sehr Geo-Engineering globale Ungerechtigkeiten verstärkt, obwohl gerade diese »Rettung« des Klimas zu massiven Verwerfungen, z.B. im Wasserhaushalt südlicher Regionen, führen kann. Angesichts der globalen Klimabedrohung sollen die »aufmüpfigen Subalternen« gefälligst geringere Ansprüche stellen (Flemming et al.).

Die eben erwähnte Clique ist zudem eng mit dem militärisch-industriellen Komplex vernetzt. (4) BefürworterInnen von Geo-Engineering spielen außerdem oft das »slippery slope«-Problem herunter - demzufolge die Erforschung einer Technologie sehr wahrscheinlich zu ihrem Einsatz führt - oder verdrehen es pfiffigerweise gerade als Begründung für staatliche Investitionen in verstärkte Forschung (zur »ergebnisoffenen Gefahrenerkennung«). Dass es sich bei der Geo-Engineering-Clique ausschließlich um weiße Männer rund um David Keith (Harvard) und Ken Caldeira (Stanford) handelt, bestärkt nur die Interpretationsweise eines hochtechnisierten Machtstrebens, welches in einer alle Menschen heimsuchenden »Bestäubung« der Meere und »Besprühung« des Himmels gipfeln könnte.

Die Linke hat in den vergangenen Jahren im Kampf gegen die sog. »false solutions« der Klimapolitik v.a. den Emissionshandel ins Visier genommen. Auf die Gelder aus solch einem Mechanismus (neben massiven Subventionen) wären viele CDR-Ansätze angewiesen und ebnen so der Verbindung zweier Glaubenslehren den Weg. Die Effizienz des Marktes durchdringt somit auch die technokratischen Geo-Engineering-Ansätze und bildet einen weiteren - unsicheren - Pfeiler für den Emissionshandel, während die angebliche Weltrettung vollends dem Spiel von Angebot, Nachfrage und Spekulation ausgeliefert wird.

Konvergenz der Kämpfe

Bisher hat sich Widerstand nur punktuell innerhalb der UN-Arena (5) oder in lokalen Aktionen nach dem Sankt-Florians-Prinzip (6) widergespiegelt. Dies führte zwar zu strengen Auflagen im Rahmen der UN-Biodiversitätskonvention, praktisch sind dennoch die »Klimadoktoren« (Deutschlandradio) auf dem Vormarsch. Es ist daher umso wichtiger für die Linke, sich endlich dem eigenen Verhältnis zum Fortschrittsoptimismus zu stellen und dann effektive Gegendiskurse zu entwickeln. Der Kampf - diskursiv zu allererst einer um Namen (»Geo-Engineering«, »Climate Engineering« oder doch lieber »Climate Remediation«, also »Klimaheilung«?) - muss angegangen werden, um die gesellschaftlichen Naturverhältnisse vom »Pathos des Tragischen« (Konrad Ott) zu befreien.

Hier spielen viele NGOs durch Beschwören einer Weltuntergangsstimmung oder Ignoranz gegenüber dem Thema der Geo-Engineering-Clique in die Hände. Auch eine Spaltung der KritikerInnen, u.a. durch den Versuch der Unterscheidung in hartes und weiches Geo-Engineering, zeichnet sich bereits ab. (7) Um sich nicht einer globalen Schockdoktrin unterwerfen zu müssen - sich also nicht in Abhängigkeit von plötzlich unabwendbar scheinenden Konzepten der Klimadoktoren zu begeben -, muss diese fundamental ethische Frage außerhalb technokratischer Modelle beantwortet werden. Das Ringen um den Diskurs hat begonnen!

Georg P. Kössler ist aktiv im BUKO-Arbeitsschwerpunkt Gesellschaftliche Naturverhältnisse (GesNat) und hat für die Heinrich-Böll-Stiftung die Broschüre »Geo-Engineering - Gibt es wirklich einen Plan(eten) B?« geschrieben.

Anmerkungen:

1) UN Convention on the Prohibition of Military or Any Other Hostile Use of Environmental Modification Techniques (ENMOD).

2) Der Strahlungsantrieb (gemessen in Watt pro m2) ist die Wirkung von Klimagasen auf den Energiehaushalt der Erde. Ein negativer Strahlungsantrieb durch die Ruckstrahlung kurzwelliger Sonnenstrahlung (Albedo) bedeutet, dass der Erde Energie entzogen wird; es kommt somit zu einer Abkühlung der Atmosphäre. Ein positiver Strahlungsantrieb (Reflektion langwelliger Strahlung, welche die Atmosphäre also nicht verlassen kann) führt folglich zu einer Erwärmung.

3) Aus der klimaskeptischen Ecke kommende Gruppen um Björn Lomborg oder rechtskonservative Think Tanks können sich ebenfalls für Geo-Engineering erwärmen, werden doch dadurch bestehende Hegemonien weiter zementiert.

4) So leistet der Erfinder der Wasserstoffbombe, Edward Teller, am berüchtigten Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien Vorarbeit für Geo-Engineering. Auch Lowell Wood, in den 1980ern beteiligt an Ronald Reagans »Strategic Defense Initiative«, ist Teil der o.g. Clique.

5) Hier v.a. im Rahmen der Biodiversitätskonvention (CBD). Allerdings hat der UN-Weltklimarat 2011 unter dem Potsdamer Professor Ottmar Edenhofer auch ein relativ unkritisches Geo-Engineering-Gutachten erstellt.

6) Im englischen Norfolk wurde, sehr zum Unverständnis vieler TechnokratInnen, ein Experiment zur Sprühung von Aerosolen in obere Atmosphärenschichten auf Grund lokaler Proteste abgebrochen.

7) Der WWF hat sich auf Nachfrage bereits geäußert und möchte nicht prinzipiell alle CDR-Techniken ausschließen: »Any GE we support must be linked to safe and permanent greenhouse gas removal from the atmosphere, based on sustainable land use policies, protection of biodiversity and have no other negative impacts.« (Stephan Singer, Director Global Energy Policy)

Rio+20: Falsche Lösungen

Von 20.-22. Juni 2012 findet in Brasilien der Rio+20-Gipfel statt. Dessen zentrales Konzept »Green Economy« beleuchtete der BUKO-Arbeitsschwerpunkt Gesellschaftliche Naturverhältnisse in den letzten Ausgaben kritisch. Zum Abschluss der ak-Serie zu Rio+20 diskutiert Georg Kössler Geo-Engineering als eine weitere »false solution« der Klimakrise.