Der Euro ist kein Wünsch dir was
International Griechenland in der Teufelsmühle Kapitalismus
Ein Gespenst geht um in Europa, und es ist schon wieder nicht der Kommunismus, sondern bloß der »Grexit« - der Exit Griechenlands aus der Eurozone. Während die deutsche Bevölkerung laut Umfragen die Griechen am liebsten raus aus dem Euro hätte, diskutiert der ökonomische Sachverstand noch heftig die Vor- und Nachteile eines solchen Schrittes. Dies zeigt vor allem eins: Die Debatte ist erfolgreich auf die Frage »Drachme oder Euro?« verengt worden.
Wie konnte es so weit kommen? Das griechische Linksbündnis SYRIZA lehnt die Sparauflagen für Griechenland ab. Gewinnt es die Wahlen Mitte Juni, so will es die Auflagen abschwächen. Die Gläubiger - EU und Internationaler Währungsfonds (IWF) - lehnen dies ab und drohen mit dem Entzug der Hilfsgelder für Griechenland. In diesem Falle ginge Athen wohl Anfang Juli das Geld aus. Es hätte keine Euro mehr, um seine Rechnungen zu bezahlen, müsste wieder eine eigene Währung einführen und gleichzeitig die Bedienung seiner Euroschulden einstellen. Damit aber, so droht SYRIZA der EU, verschärft sich die Eurokrise; die Spekulation wird sich gegen Länder wie Spanien oder Portugal richten und die Eurozone zerstören.
So weit die gegenseitigen Erpressungsversuche von EU und Athen. Für die deutschen Medien steht der Schuldige fest: »Griechenland erpresst seine Geldgeber mit der eigenen Pleite«, schreibt die FAZ (7.1.2012), und Die Welt (18.5.2012) schimpft: »Linksradikaler Tsipras erpresst die Euro-Zone mit Finanzkollaps«.
In dieser Situation gibt es nun Stimmen, die Griechenland den Euro-Austritt nahelegen. Zum Beispiel bei der notorisch griechenlandfeindlichen Bild (2.6.2012). Bevor man sich nun die Frage stellt, ob eher der Euro oder die Drachme das Problem Griechenlands löst, sollte man sich fragen: Welches Problem? Dafür muss man zurück an den Ausgangspunkt.
Mit der Einführung des Euro erhielt Griechenland eine neue Währung, die international angesehen war und hinter der einige der potentesten kapitalistischen Nationen standen. Durch die Ablösung der Drachme durch den Euro hatte Griechenland auf einmal das, was in heutigen Zeiten zählt: Kredit. Folge: Das Land konnte sich in Euro verschulden, den die Banken ihm gerne liehen. Der Staat, die Unternehmen und die privaten Haushalte erhielten damit breiten Zugang zu Krediten mit niedrigen Zinsen.
Die Folge war ein kreditgetriebener Aufschwung, vor allem am Bau - also eine allgemeine Spekulation auf ein Wirtschaftswachstum, das sich am Ende nicht in dem Maße einstellte wie erhofft. Die Wirtschaftsleistung stieg zwar, aber parallel zu ihr stiegen auch die staatlichen Schulden. Dies ging so bis zur Finanzkrise. Ab dem Jahr 2008 kamen an den Finanzmärkten Zweifel auf, welche Staaten eigentlich noch gute Schuldner sind und welche nicht.
In diesem Vergleich der Anlagesphären des Finanzkapitals schnitt Griechenland am schlechtesten ab. Athen erhielt in der Folge von den »Märkten« kein Geld zu bezahlbaren Zinsen mehr, musste sich daher von den Eurostaaten Geld leihen im Gegenzug für harsche Sparauflagen, die die griechische Wirtschaft schrittweise ruinieren. Dagegen wendet sich nun SYRIZA und fordert eine Abschwächung der Sparauflagen, was die EU ihrerseits ablehnt.
Wie könnte nun eine »Lösung« für die Menschen in Griechenland aussehen? Rein theoretisch bietet sich natürlich die Abschaffung des Profitsystems an, das auf dem Kredit als Wachstumshebel beruht und damit auf der Kreditwürdigkeit eines Landes. Aber das steht derzeit auf keiner politischen Agenda.
Innerkapitalistisch wird die Alternative »Drachme oder Euro?« aufgemacht und damit die Frage, wie Griechenlands Kredit wieder hergestellt werden kann - eher mit einer nationalen Währung oder mit einer supranationalen? Dabei ist es letztlich aber gar nicht diese Alternative, die über Wohl und Wehe der griechischen Wirtschaft entscheidet. Sondern die Frage: Wie stellen sich EU und IWF zu Griechenland - egal, ob mit Drachme oder Euro? Denn darauf kommt es an, nicht auf die Währung.
Ein alternatives Szenario
Deutlich wird dies, wenn man Wünsch dir was spielt: Am schönsten für den griechischen Kapitalismus wäre es, wenn
- die Schulden Griechenlands vollständig gestrichen und auf den Rest der Eurozone verteilt würden. So wäre Athen schuldenfrei und die GläubigerInnen - unter anderem griechische Banken - erlitten keine Verluste.
- die Sparprogramme in den Papierkorb wanderten.
- die Eurozone eine komplette Finanzierungsgarantie für Griechenland für die nächsten Jahre übernähme.
- die Eurozone und die Europäische Zentralbank (EZB) sich - sollte die Drachme wieder eingeführt werden - als Garantiemacht hinter die neue Währung und ihren Wert stellten, ähnlich wie sich die USA 1948 hinter die neue D-Mark stellten. Damit wäre die Drachme kein staatliches Notprogramm, sondern ein vollwertiges Kreditmittel.
- die Eurozone ein massives Aufbauprogramm in Griechenland startete: über Mittel der Europäischen Investitionsbank, über »Projektbonds« und über die EU-Strukturfonds.
Solch ein Memorandum (»Geld her, Schulden weg«) wäre das Gegenstück zu den Sparauflagen, die die EU von Griechenland für ihre Unterstützung verlangt. Zu bedenken ist aber, dass dieses Wünsch-dir-was-Programm letztlich das gleiche Ziel hätte wie das deutsche Programm: Griechenland wieder kreditwürdig zu machen, damit es diesen Kredit einsetzt, um ein weltmarktmäßig konkurrenzfähiger Standort für Kapitalanlagen zu werden und so den genommenen Kredit rechtfertigt. Stichwort »Wettbewerbsfähigkeit«. Mit Entschuldung und neuen Krediten könnte die Spekulation auf ein griechisches Wachstum von vorn beginnen.
Auf verlorenem Posten
Für einen Erfolg dieser Spekulation sind die Voraussetzungen allerdings denkbar schlecht. Denn Griechenland gehört zu den VerliererInnen der Weltmarktkonkurrenz. Dazu ein paar Fakten: Als Billiganbieter einfacher Produkte wie Textilien, Lederwaren, Agrargütern oder Rohmaterialien leidet Griechenland stark unter der Konkurrenz aus Asien. Seit der Osterweiterung der EU steht das Land zudem unter Druck aus den Nachbarländern in Osteuropa, die mit Niedrigsteuern und -löhnen das Kapital anziehen.
Gleichzeitig profitiert Griechenland - anders als Deutschland - kaum von der wachsenden Güternachfrage aus Asien. Seit 1999 ist sein Anteil am Weltexport (ohne Ölexporteure) um 10 bis 15 Prozent geschrumpft und liegt unter 0,5 Prozent (Deutschland: 10%). Der Warenexport macht gerade mal knapp zehn Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung aus (Deutschland: 40%, Irland: fast 60%). Wirtschaftlich bedeutsam ist vor allem der Tourismus - also das Geschäft mit den natürlichen Gegebenheiten des Landes. Damit steht Griechenland quasi auf derselben Stufe wie ein Rohstoffexportland.
An dieser Situation lässt sich so leicht nichts ändern. Denn für die Weltmarktkonkurrenz ist Griechenlands Wirtschaft schlecht gerüstet. Sie besteht zum Großteil aus Kleinunternehmen - Griechenland ist das einzige Industrieland, das mehr Selbstständige und UnternehmerInnen hat als Angestellte. Kapitalstarke Global Players gibt es kaum. Die Produktion ist nur halb so kapitalintensiv wie die deutsche; das gleiche gilt für die industrielle Wertschöpfung pro Kopf. Griechenlands Industrie basiert daher auf niedrigen Löhnen: Der Stundenlohn inklusive Sozialabgaben liegt mit 16 Euro nicht mal halb so hoch wie in Deutschland. (1)
Man sieht: Griechenlands hohe Staatsschulden sind nicht nur eine schlechte Voraussetzung für eine wirtschaftliche Erholung. Sie sind vor allem ein Ergebnis, ein Ergebnis einer im Weltmarktvergleich unproduktiven Ökonomie. Eine Entschuldung oder eine simple Währungsumstellung auf Drachme löst all diese Probleme nicht.
Verarmen für das Kapital
Unter kapitalistischen Bedingungen - auch mit zusätzlichen Krediten von EU und IWF - bleibt Griechenland daher nichts weiter übrig, als über die weitere Verarmung und verschärfte Ausbeutung seiner Bevölkerung seine Fähigkeit zum Wettbewerb mit überlegenen Konkurrenten auszubauen und auf diesem Wege in den Augen der Finanzmärkte wieder kreditwürdig zu werden. Ob dies mit dem Euro oder mit der Drachme besser gelingen kann, ist per se nicht zu beantworten. Dass in der Politik diese Debatte dennoch läuft, hat einen anderen Grund: Sie ist Ausdruck eines Machtkampfes bzw. des Versuchs der gegenseitigen Erpressung.
Ebenso wenig zu beantworten ist die Frage, ob es für die griechischen ArbeitnehmerInnen besser wäre, Drachmenkapital zu verwerten statt Eurokapital. Klar ist hingegen die Funktion, für die sie vorgesehen sind: Da die griechische Wirtschaft nicht rentabel genug ist, muss die Arbeit verbilligt werden. Die Sozialausgaben müssen sinken, um den Anteil »nicht-investiver« Staatsausgaben zu drücken. Und der griechische Staat muss sich weiter verschlanken, um die Landeswährung zu stabilisieren - ob sie nun Drachme oder Euro heißt.
Noch einmal zurück zum Wünsch-dir-was-Programm für Griechenland: Einfacher wäre es für den Kapitalstandort Griechenland und die von ihm abhängigen ArbeitnehmerInnen natürlich, wenn die EU die Sparauflagen milderte, am besten ganz auf sie verzichtete und massiv Geld in das Land pumpte, idealerweise nicht in Form von Krediten, sondern als simple Transferleistung.
Dies ist allerdings illusorisch. Nicht, weil es zu teuer wäre - Griechenland macht gerade mal zwei Prozent der Wirtschaftsleistung der Eurozone aus -, sondern weil Griechenland für den Hauptkreditgeber Deutschland kein nationales Aufbauprojekt ist - anders als Ostdeutschland nach der Wende. (2) Noch ist Griechenland wie die anderen Eurostaaten formal souverän und fällt nicht unter den deutschen Machtbereich - eine Tatsache, die sich künftig durch die »stärkere Integration Europas« schrittweise ändern soll. Weitergehende Hilfen gibt es laut Bundesregierung nur, wenn die Europartner den »Nachweis« erbringen, dass sie zu einer »Aufgabe nationaler Souveränität bereit sind. Die Grundsatzfrage ist relativ einfach: Wollen die Partner wirklich mehr Europa - oder einfach nur deutsches Geld?, sagte ein Regierungsvertreter in Berlin.« (Reuters, 3.6.2012)
Nick Sinakusch schrieb in ak 569 über die Finanztransaktionssteuer.
Anmerkungen:
1) Das ist aber immer noch mehr als in Portugal, das Unternehmen mit Stundenlöhnen von zehn Euro anlockt. Volkswagen wie auch Mercedes lassen daher dort produzieren, was Portugals Exporte in jüngster Zeit stark steigen ließ.
2) »Die Situation in der Ägäis dürfte aus volkswirtschaftlicher Sicht mit derjenigen der neuen Bundesländer in Deutschland vergleichbar sein. Die Parallelen sind bei genauerer Betrachtung frappant ... Bis heute sind die neuen Bundesländer auf Transferzahlungen angewiesen.« (VP Bank Investment Views, Juni 2012)