Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de
ak bei facebook

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 573 / 15.6.2012

Schottern ist und bleibt legitim!

Deutschland Stand der Verfahren gegen UnterstützerInnen von »Castor? Schottern!«

Von Hanna Spiegel

Die schwarz-gelbe Bundesregierung verlängerte im Jahr 2010 die Laufzeit der AKW. Die Wut und Empörung darüber waren nicht nur in der Antiatombewegung zu spüren, sondern auch weit darüber hinaus. Die Kampagne »Castor? Schottern!« hatte sich schon vor der Laufzeitverlängerung zusammengefunden; der Zuspruch einer sympathisierenden Öffentlichkeit verstärkte sich aber in dieser politischen Situation. Die Sympathie wurde vor allem durch die Unterschriften unter der Absichtserklärung 2010 sichtbar, die man öffentlich auf der »Castor? Schottern!«-Website unterzeichnen konnte. Die bundesdeutschen Verfolgungsbehörden registrierten das mit Argwohn und verkündeten in den Medien, dass Schottern eine Straftat sei, die sie gnadenlos verfolgen würden, und drohten mit hohen Geldstrafen und Gefängnis bis zu drei Jahren.

Ganz unabhängig davon, dass bisher nicht ein einziges Mal juristisch geklärt wurde, ob Schottern tatsächlich eine Straftat darstellt, lautete der Vorwurf in den daraufhin eingeleiteten 1.565 Ermittlungsverfahren »Öffentlicher Aufruf zu einer Straftat«. Von diesen vielen Ermittlungsverfahren wurden (und werden) unserer Kenntnis nach nur sieben vor Gericht gebracht. Alle Ermittlungsverfahren gegen die Personen, die 2010 auf der Website »Castor? Schottern!« die Absichtserklärung unterschrieben und auf die Beschuldigtenanhörungsbögen der Polizei nicht reagiert haben, wurden oder werden nach unseren Recherchen eingestellt.

22 Beschuldigte haben sich nach Angaben der niedersächsischen Landesregierung von ihrer Unterschrift distanziert. In diesen Fällen wurden die Verfahren ohne Auflagen eingestellt. Zwölf weitere haben sich zur Unterzeichnung der Erklärung bekannt. Ihnen wurde von der Staatsanwaltschaft die Einstellung gegen eine Spende an den Verein »Kinder von Tschernobyl« in Höhe von 50 bis 250 Euro angeboten. Bei Jugendlichen wurden die Verfahren mit der Aussprache einer Ermahnung eingestellt. Des weiteren liefen Verfahren gegen zehn Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, die ein Einstellungsangebot gegen eine Spende von 500 Euro an die »Kinder von Tschernobyl« bekommen haben. Sieben Abgeordnete haben das Angebot angenommen und gleichzeitig ihre Solidarität mit allen SchotterInnen durch eine Spende über 500 Euro an unsere Antirepressionskasse bekundet. Drei Abgeordnete wollen vor Gericht »ein für alle Mal den haltlosen Vorwurf der Strafbarkeit der Schottererklärung juristisch klären lassen«. Ein weiteres Ermittlungsverfahren läuft gegen eine fraktionslose Abgeordnete im niedersächsischen Landtag, die auch das Einstellungsangebot gegen eine Spende von 500 Euro abgelehnt hat. Die Aufhebung ihrer Immunität ist im niedersächsischen Landtag noch nicht beschlossen worden.

Die Kampagne »Castor? Schottern!« unterstützt alle, die sich entschieden haben, die Prozesse politisch zu führen. Ihnen gilt unsere ganze Solidarität. Konkret liefen bisher drei Gerichtsverhandlungen und es kam zu vier Verurteilungen.

Öffentlicher Aufruf zu Straftaten oder ...

Den Anfang machte Gotthilf Lorch Mitte März 2012, der das Einstellungsangebot gegen Spende ablehnte und vom Amtsgericht Lüneburg zu 15 Tagessätzen à 25 Euro wegen seiner Unterschrift unter die Absichtserklärung verurteilt wurde. Die Verurteilung liegt wahrscheinlich nicht zufällig unter der Grenze, ab der das Landgericht eine Berufung auch ablehnen kann, dennoch hat Gotthilf Lorch Berufung eingelegt.

Danach folgte der Prozess gegen zwei Mitglieder der Linkspartei in Wilhelmshaven, in dem es um das Aufhängen von »Castor? Schottern!«-Plakaten im Jahr 2011 ging. Bereits 2010 wurden in Wilhelmshaven »Castor? Schottern!«-Plakate, die in der Öffentlichkeit gezeigt wurden, beschlagnahmt und daraufhin sogar Hausdurchsuchungen durchgeführt. Die damaligen Ermittlungsverfahren wurden eingestellt, und das OLG Oldenburg erklärte die Hausdurchsuchung für rechtswidrig. Doch der gleiche Sachverhalt aus dem Jahr 2011 wurde nun vom Amtsgericht Wilhelmshaven mit je 70 und 30 Tagessätzen à 30 Euro bestraft. Die beiden Verurteilten werden selbstverständlich Rechtsmittel gegen dieses skandalöse Urteil einlegen.

Ende Mai war wieder Lüneburg Ort der Aufführung. Olaf Meyer wurde zu 16 Tagessätzen à 20 Euro verurteilt. Er hat im November 2010 auf einer Kundgebung in Lüneburg folgende Worte gesagt: »... zum Castor, zu Gorleben, zum Atomausstieg ist alles gesagt. ... Aber jetzt ist es daran, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Wir müssen alle gemeinsam mit unterschiedlichsten Aktionen den Castor aufhalten. Atomausstieg ist Handarbeit! In diesem Sinne: Castor Schottern.« Olaf Meyer wird gegen dieses Urteil keine Rechtsmittel einlegen, um sich eine weitere Farce vor Gericht zu ersparen und um seine Kraft dem Widerstand zu widmen.

Unseres Wissens stehen im Moment noch vier Prozesse an. Am 18. Juni wird vor dem Amtsgericht Lüneburg der Prozess gegen Hermann Theissen stattfinden. Auch er hat die Absichtserklärung unterschrieben, der Einstellung gegen Spende nicht zugestimmt und will vor Gericht die Legitimität von Schottern gegen die menschenverachtende Atomenergie verteidigen. Die Bundestagsabgeordneten der Linkspartei haben noch keinen Prozesstermin.

In dem ganzen Vorgehen wird deutlich, dass die Staatsanwaltschaft versucht hat, die Massenverfahren abzuwenden. Ihr öffentlich betonter Verfolgungswille stellt sich im Nachhinein vor allem als Hetze und Einschüchterungsversuch dar. Insbesondere, da die Staatsanwaltschaft gegenüber der Presse kürzlich bekannt gegeben hat, dass sie gegen die Unterschriften unter der Solidaritätserklärung zu »Castor? Schottern!« aus dem Jahr 2011 keine Ermittlungsverfahren einleiten werde.

... einfach nur schottern?

Als Ausblick lässt sich sagen: Im Dschungel der Bezeichnungen kann man sich leicht verirren. Ist Schottern nun eine Straftat, ziviler Ungehorsam oder Massenmiltitanz? Von verschiedenen Seiten gibt es Versuche der Etikettierung. Es wird wahlweise kriminalisiert oder vereinnahmt - dabei ist es einfach nur Schottern. Solange die Politik und die Konzerne über die Interessen der Bevölkerung hinweggehen, so lange Atomanlagen weltweit die Lebensgrundlage und die Gesundheit unzähliger Menschen zerstören, so lange ist Schottern legitim!

Hanna Spiegel ist aktiv in der Kampagne »Castor? Schottern!«

Kommt zum Prozess

gegen Hermann Theissen! 18. Juni 2012, 12:30 Uhr, Amtsgericht Lüneburg, Am Ochsenmarkt 3, 21335 Lüneburg. »Castor? Schottern!« wird die Verfahren juristisch und finanziell begleiten. Spenden dafür sind bitter nötig! Kontodaten und weitere Infos zu den Prozessen sind zu finden unter www.castor-schottern.net. Meldet euch, wenn bei euch Prozesse anstehen, die wir bisher nicht mitbekommen haben: schottern-rechtshilfe@riseup.net.