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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 573 / 15.6.2012

Volltreffer

Aktion Die Krisenproteste in Frankfurt waren nur erfolgreich, wenn sie ein Anfang gewesen sind

Von Christoph Kleine

Vier Tage lang war Frankfurt im Ausnahmezustand. Das Bankenviertel fast menschenleer, die U-Bahnhöfe geschlossen, Straßenbahnlinien unterbrochen, Geschäfte vernagelt und überall Polizei mit dem Auftrag, jede Versammlung einzukesseln und aufzulösen. Der Ermittlungsausschuss zählte 1.430 Ingewahrsamnahmen. Szenen wie aus einem Science-Fiction-Film über einen absurden Sicherheitsstaat.

Aus Furcht vor den Blockupy-Aktionen hatten sich das hessische Innenministerium und die Stadt Frankfurt entschieden, die Totalblockade des Finanzdistrikts selbst herbeizuführen. Dass dies kein überlegen-souveräner Schritt war, die Proteste ins Leere laufen zu lassen, sondern einen hohen Preis gekostet hat, war in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu lesen: »Frankfurt ist das Reich der Banker. An diesem Wochenende mussten sie es räumen - zum allerersten Mal. Das tut weh.« (FAS, 20.5.2012)

Nach der Abschlussdemonstration mit ca. 30.000 Menschen war sich die bürgerliche Presse ziemlich einig: Blockupy hat gewonnen, Stadt und Polizei sind blamiert, der Massenprotest gegen die europäische Krise findet auch in Deutschland statt. Den entscheidenden Anteil an diesem Erfolg hatten die ca. 3.000 AktivistInnen, die von Mittwoch bis Freitag dem Verbot aller Versammlungen mutig trotzten. Sie haben dies unter schwierigsten Bedingungen getan. Im Ergebnis haben die Aktionen stattgefunden wie angekündigt, kleiner zwar, aber mit einer großen Entschlossenheit, sich das Recht auf die Straße und die Plätze nicht nehmen zu lassen.

Dass sich dabei der Fokus zeitweise auf die Verteidigung des Versammlungsrechts verlagert hat, ist nur auf den ersten Blick eine Ablenkung von der Kritik an EZB und Bundesregierung. Denn zur Empörung über das europäische Krisenregime tragen nicht nur die massive Verarmung und ökonomische Hoffnungslosigkeit von Millionen Menschen bei, sondern ebenso die Politik der Entdemokratisierung, Entmündigung und Erpressung zur Durchsetzung der Spardiktate. Mit den Versammlungsverboten von Frankfurt hat sich diese autoritäre Krisenpolitik selbst entlarvt.

Eine Erklärung für das im Nachhinein absurd restriktiv erscheinende Totalverbot aller Versammlungen mag die Provinzialität von Deutschlands Bankenhauptstadt sein, der angesichts der paar zerstörten Fensterscheiben bei der M31-Demo die liberale Schminke vom Gesicht gebröckelt ist. Die Angst der Mächtigen vor der Wut und Empörung der Leute ist vielleicht diffus, aber alles andere als irrational. Denn in Regierungen und Bankzentralen weiß man sehr wohl, dass die gegenwärtige Krise sehr tief und nicht wirklich beherrschbar ist. Und sie ahnen, dass die - in ihrer eigenen Kapital- und Machtlogik unvermeidlichen - massiven Angriffe auf die Lebensbedingungen so vieler Menschen Widerstand und Aufruhr hervorrufen müssen.

In diesem Sinne war Blockupy also ein Volltreffer: Die EZB und das Frankfurter Bankenviertel waren die richtigen Ziele, die staatliche Reaktion hat die Botschaft noch verstärkt, und das gewünschte Zeichen eines europäischen, internationalisierten Widerstandes, der auch in dem scheinbar ruhigen Machtzentrum Deutschland stattfindet, ist weit über Frankfurt hinaus wahrgenommen worden. Zu diesem Erfolg gehört auch die Teilnahme von vielen Hunderten aus Italien, Frankreich, Portugal oder Griechenland an den Aktionen und der Großdemonstration.

Als Mobilisierung war Blockupy ohnehin ein Wagnis: als selbst gesetztes Ereignis ohne Gipfeltreffen oder anderen äußeren Anlass und in einem für ungehorsame Massenaktionen neuen Aktionsfeld. Von den Verboten und dem massiven Polizeieinsatz ist das Blockupy-Bündnis kalt erwischt worden. Niemand hatte damit gerechnet, dass es überhaupt keine legalen Sammlungspunkte geben könnte. Die dadurch entstandene Verunsicherung, auch in der Frage, wo die AktivistInnen unter diesen Bedingungen die Nächte verbringen sollten, hat massiv demobilisiert - in allen Spektren. Daraus werden Schlüsse zu ziehen sein.

Das grundlegende Konzept ungehorsamer Massenaktionen, wie es sich nach Heiligendamm 2007 entwickelt hat, ist durch Blockupy noch einmal bestätigt worden. Es geht um kollektive Aktionsfähigkeit auf der Straße, die Schaffung von Vertrauen und Transparenz unter den AktivistInnen durch Aktionsvereinbarungen und darauf aufbauend um ein gesellschaftliches Ringen um Legitimität und Deutungsmacht. In Frankfurt hat Blockupy diese Auseinandersetzung für sich entschieden.

Im Blockupy-Bündnis gegen den Druck gerichtlich bestätigter Verbote und drohender Kriminalisierung an den Aktionstagen festzuhalten, war keine Selbstverständlichkeit. Unter seinen zentralen Trägern - DIE LINKE, attac und IL - ist dadurch das gegenseitige Vertrauen weiter gewachsen. Bemerkenswert auch die solidarische Kooperation unter den großen linksradikalen Bündnissen Um's Ganze, IL und 3a, die ungeachtet fortbestehender inhaltlicher Differenzen gemeinsam Verantwortung für den Antikapitalistischen Block auf der Demonstration übernommen haben.

Trotz der medialen Fokussierung auf die Gewaltfrage ist es gelungen, die geforderte Distanzierung zu verweigern. Entscheidend war dabei das Festhalten am Aktionskonsens. Er war aber gerade keine Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols: Denn den Charakter unserer Aktionen bestimmen wir selbst, und wir schließen davon kein Spektrum der Linken aus. Für den Moment der Blockupy-Tage war die bewusste Verweigerung der polizeilichen Eskalationsversuche tatsächlich das Subversivste, was die AktivistInnen tun konnten. Dieses Ausmaß an Duldsamkeit darf und wird aber kein Vorbild für künftige Auseinandersetzungen sein.

Blockupy war erfolgreich, wenn es ein Anfang gewesen ist. Ein Anfang von ungehorsamen und radikalen Krisenprotesten auch bei uns im Herzen der Bestie, aber ohne alle Illusionen, dass sie über Nacht und ohne materielle Basis auch in Deutschland eine Massenbewegung werden könnten. Ein Anfang vor allem einer gemeinsamen europäischen Bewegung, die allen Nationalismen und den Spaltungsversuchen eine klare Absage erteilt und perspektivisch dem europäischen Krisenregime eine Gegenmacht von unten entgegenstellen kann.

Christoph Kleine ist aktiv bei Avanti - Projekt undogmatische Linke und der Interventionistischen Linken (IL).