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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 573 / 15.6.2012

Modernisierung statt Meuterei

Copyriot Die Piraten als Katalysatoren der aktuellen Urheberrechtsdebatte

Von Sabine Nuss und Ingo Stützle

»Ich kann vor allen Dingen die ganzen asozialen Leute nicht mehr hören, die immer sagen: Ja, wieso ... diese Künstler ... das sind doch sowieso alles Nutten, wenn sie es für Geld machen!« So wütete im März 2012 dieses Jahres der Element-of-Crime-Sänger Sven Regener im Bayrischen Rundfunk. Eigentlich wollte der Sender nur ein kurzes Statement zum Urheberrecht einholen - und traf einen Nerv. Regener wetterte fünf Minuten gegen die viel gescholtene Umsonstkultur im Internet, gegen Youtube und die Piratenpartei, gegen die Haltung, dass KünstlerInnen, die sich für das Urheberrecht einsetzen, uncool seien. Dies sei »im Grunde genommen nichts anderes, als dass man uns ins Gesicht pinkelt!«

Das Radiostatement ging als »Wutrede« in die Diskussionsforen des Internet ein. Jeder Satz wurde kommentiert, kritisiert, seziert - ein wahres Eldorado jener Trollkultur, die Internetforen so unerträglich macht. Kurze Zeit darauf spien 51 Tatort-AutorInnen einen nicht minder polemischen offenen Brief aus, überschrieben mit: »Liebe Grüne, liebe Piraten, liebe Linke, liebe Netzgemeinde!« Darin kritisieren die DrehbuchschreiberInnen, dass der ganze Diskurs über das Netz und seine UserInnen »die Banalität von Rechtsverstößen kaschiert oder gar zum Freiheitsakt hochjazzt.«

Vergiftete Debatte

Auch offline äußern sich KünstlerInnen empfindlich genervt. So antwortete Ende Mai die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff im Interview mit der Berliner Zeitung (24.5.2012) auf die Frage, was sie denn bei einer Reform des Urheberrechts im Sinne der Piratenpartei fürchten würde: »Da ist ein grauenhaft egoistischer Wahn im Spiel, alles möglichst umsonst zu bekommen und sich einen Dreck darum zu scheren, womit andere Leute ihr Geld verdienen sollen. Wie wär's, den Abgeordneten der Piraten ihre Gehälter zu entziehen?« Herzlich Willkommen zu einer weiteren Folge der Urheberrechtsdebatte.

Schon vor anderthalb Jahrzehnten provozierte die Musiktauschbörse Napster Diskussionen um »geistiges Eigentum in Zeiten des Internet«. Die Reform des Urheberrechts als Reaktion auf den technologischen Wandel wurde bereits Mitte der 1990er Jahre auf internationaler Ebene mit den sogenannten Internetverträgen der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) angestoßen - begleitet von kontroversen Auseinandersetzungen. Neu ist sie also nicht, die Debatte um Copyright. Aber vergifteter denn je.

Ausschluss Dritter

Den gesellschaftlichen Zank ums Urheberrecht gibt es nicht erst seit dem Internet. Seit der Durchsetzung des geistigen Eigentums Ende des 18. Jahrhunderts ist diese spezifische Rechtsform umkämpft. Die Konjunkturen der Auseinandersetzung hängen u.a. von den jeweiligen Entwicklungsschüben bei den Träger- und Transportmedien ab: Wie leicht ist es technisch möglich, Musik, Filme, Bilder oder Texte in hoher Qualität zu reproduzieren und zu verbreiten und vor allem: wer alles kann dies tun? Das ist die Gretchenfrage. Schon bei der Reform des Urheberrechts 1965 war zu lesen: »In den letzten Jahren haben nun neue Erfindungen einschneidende Änderungen auf dem Gebiet der Vervielfältigungsverfahren gebracht und damit Probleme aufgeworfen, die für das Urheberrecht von weittragender Bedeutung sind«. (1)

Gemeint waren damals Erfindungen wie beispielsweise das Magnettongerät oder die verbesserte Fotokopie. Mit den Informations- und Kommunikationstechnologien hat sich aber etwas Wesentliches verändert. Durch die Digitalisierung geistig-kreativer Schöpfung kann beispielsweise ein Musikstück ohne Qualitätsverlust kopiert werden. Durch die weltweite Vernetzung von Computern und aufgrund der relativen Erschwinglichkeit von mobilen und immobilen Datenträgern können die Inhalte von allen beliebig oft reproduziert und verbreitet werden. Die Kreativen und ihre VerlegerInnen haben die Kontrolle über die Zirkulation ihrer Schöpfungen verloren. Damit jedoch ist eine ganz zentrale Funktion des Privateigentums verletzt: Die Fähigkeit, andere vom Zugang auszuschließen.

Neue Geschäftsmodelle

Die aktuelle Auseinandersetzung scheint eine weitere Zuspitzung zu sein. Die Gründe sind vielfältig. Nicht nur gegenwärtige, umstrittene oder viel diskutierte Gesetzesvorhaben, wie beispielsweise auf internationaler Ebene das Urheber- und Patentrechts-Handelsabkommen ACTA oder aber auf bundesdeutscher Ebene, das »Dritte Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft« bringen das Thema ins öffentliche Bewusstsein. Auch die prekären Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Kreativen verschärfen die Situation. Insbesondere letztgenanntes ist Resonanzboden für das Grundsatzprogramm der Piratenpartei.

Die Reform des Urheberrechts ist eines der zentralen Anliegen der Piraten. Die Piraten wollen das Recht auf Privatkopie festschreiben und sie wollen Kopierschutzmaßnahmen und digitale Rechteverwaltung abschaffen. Die politische Vertretung der Generation Internet verängstigt mit ihrem kometenhaften, parlamentarischen Aufstieg jene, die mit geistig-kreativer Schöpfung ihren Lebensunterhalt verdienen. Zwar beteuern die RebellInnen mit der Augenbinde immer wieder, dass sie doch gar nicht vorhätten, das Urheberrecht abzuschaffen. Ihre alternativen Ratschläge, wie sich Kreative ihren Lebensunterhalt in Zeiten des Internet und freien Informationsflusses verdienen sollen, klingen jedoch wenig vertrauenserweckend.

Wenn beispielsweise Christopher Lauer, Mitglied der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, den KünstlerInnen rät, sie sollen doch mit ihren InhalteanbieterInnen darüber reden, auf welchen Plattformen ihre Werke legal zum Kauf angeboten werden könnten. Nun, selbst wenn man allen Content (Medieninhalt) im Netz via Micropayment kaufen könnte, würden daneben voraussichtlich immer noch Wege des kostenlosen Downloads möglich sein. Wie hoch die Verkaufszahlen dann wären, obliegt dann dem guten Willen und natürlich der Zahlungsfähigkeit der KonsumentInnen. Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass die PiratInnen auch das Grundeinkommen zu ihrem Anliegen zählen. Ganz sicher scheinen sie sich nicht zu sein, ob man in ihrer Wunschwelt mit geistig-kreativer Schöpfung noch existenzsichernd Geld verdienen kann.

Der Erfolg der Piraten ist Katalysator der aktuellen Urheberrechtsdebatte. Aber selbst wenn sich die öffentliche Aufgeregtheit wieder legt: Die Auseinandersetzungen um geistiges Eigentum werden kein Ende finden und das liegt nicht an den Piraten, sondern an der spezifischen Rechtsform immaterieller Güter in einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft. Eigentum ist ein soziales Verhältnis, welches darüber bestimmt, in welchem Grad einE EigentümerIn andere Menschen vom Zugang ausschließen kann.

Konfuses Konfliktfeld

Bei geistig-kreativer Schöpfung nimmt dieses Verhältnis allerdings eine eigene Dynamik an, da solcherart immaterielle Produkte sich im Gegensatz zu materiellen Gütern im Gebrauch nicht verbrauchen: Wenn ich einen Apfel esse, verschwindet er. Wenn ich ein Musikstück höre, können es andere - können es viele andere - nochmal hören und das nicht nur ein Mal. Soll Nicht-Stoffliches eine Ware sein, ist die Vergabe von Nutzungsrechten statt einer vollständigen Eigentumsübertragung daher die adäquate Rechtsform. Nun dienen »immaterielle Güter« nicht nur der Konsumtion, sondern auch der Produktion. Kein geistig schaffender Mensch kreiert Neues aus dem Nichts - sei es in der Kunst oder in der Forschung und Wissenschaft. Gesamtgesellschaftlich gibt es daher ein großes Interesse an niedrigschwelligem Zugang zu geistiger Schöpfung als Voraussetzung für weitere Produktion und für Innovation. Genau aus diesem Grund wird der privat-exklusive Charakter der Eigentumsform im immateriellen Bereich wiederum aufgeweicht, etwa durch Begrenzung der Schutzfristen oder Ausnahmeregelungen. Es existiert also ein ständiges Spannungsfeld zwischen dem Einschluss und der Offenheit von Wissen.

In diesem Feld agieren eine Vielzahl von AkteurInnen mit höchst unterschiedlichen, sich widerstreitenden Interessen, die der Gesetzgeber durch komplizierte Aushandlungsprozesse und Gesetzgebungsverfahren austarieren muss. Ganz abgesehen von der riesigen sogenannten Kreativindustrie, die auf die Verwertungsmöglichkeit von geistiger Arbeit angewiesen ist, gibt es die Geräteindustrie, die Abgaben auf ihre Vervielfältigungsgeräte (Kopiergeräte, Brenner etc.) erheben muss. Diese wiederum werden an die Verwertungsgesellschaften (VG Wort, VG Bild, u.v.a.m.) gezahlt, die sie wiederum als Kompensation an die UrheberInnen (und RechteverwerterInnen) ausschütten. Um die Höhe dieser Abgaben wird ebenso gestritten, wie über die konkrete Ausgestaltung der Abgaberegelungen.

Wie scharf die gesellschaftlichen Konflikte ausgetragen werden, hängt dabei auch von der Unsicherheit der ökonomischen Lage ab: Je prekärer die Verhältnisse, je ärmer die Leute, je niedriger die Einkommen, je weniger Kaufkraft, je kleiner die Gewinnmargen, je weniger Geschäftsmöglichkeiten, desto bedrohlicher die PiratInnen, desto schärfer der Ton, desto vergifteter die Atmosphäre. Gegenwärtig spielt sich ein Kampf um Verdienstmöglichkeiten ab. Alternative Geschäftsmodelle, wie Micropayment, werbebasierte Webangebote, Pay-Per-Click-Verfahren, Kulturflatrate, und was nicht alles in der Diskussion steht, soll das aus den Fugen geratene Setting wieder den herrschenden Verkehrsformen anpassen. Dieser Prozess wird mit all den damit einhergehenden Friktionen noch eine ganze Weile Objekt von sich widerstreitenden Interessen bleiben.

Wohnraum zum Download?

Aber sind die Interessen gleich Interessen? Die aktuelle Debatte hat es wieder einmal geschafft, den Konflikt dort aufzumachen, wo er für die Linke kaum progressiv geführt werden kann - zwischen ProduzentInnen, d.h. Unternehmen mit samt den von ihnen »abhängigen Kreativen« auf der einen Seite sowie KonsumentInnen auf der anderen Seite. Eine linke Perspektive müsste hingegen eine Diskussion über die Logik und die Form der Produktion selbst eröffnen - gerade vor dem Hintergrund einer der tiefsten Krise des Kapitalismus seit Jahrzehnten. Eine Krise, die nicht von einem Mangel gekennzeichnet ist, sondern nur durch einen Mangel an profitablen Anlagemöglichkeiten für das Kapital. So steht in den USA oder in Spanien immer mehr Wohnraum leer, während immer mehr Menschen kein Dach über den Kopf haben. Auch hier wird der Zugang zu Waren künstlich und durch »polizeigestützte« Räumungen verknappt, weil der vorherrschende Zweck der Produktion nicht die Bedürfnisbefriedigung, sondern die Verwertung von Kapital ist. Hier wie dort müsste es darum gehen, die Warenförmigkeit der Produktion zu hinterfragen.

Die gesellschaftliche Logik der »Profitmacherei« wird allerdings in den aktuellen Debatten von kaum einer der streitenden Seite hinterfragt. Der Kampf der Piraten für »freien Informationsfluss« läuft daher schlicht darauf hinaus, die geistig-kreative Sphäre der Kapitalverwertung gefügig zu machen, ohne dass die technischen Möglichkeiten und Machbarkeiten behindert werden. Heraus kommt dabei ein fortschrittsgetragener, informationeller Kapitalismus, der ein paar althergebrachte Verdienstmöglichkeiten über Bord wirft: Modernisierung statt Meuterei.

Sabine Nuss ist Autorin von »Copyright & Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus« (Münster 2006). Ingo Stützle ist Mitglied der ak-Redaktion.

Anmerkung:

1) Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht (1/2004).

2) Parteiprogramm der Piraten, wiki.piratenpartei.de/Parteiprogramm.