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Aktion Der »Tag der deutschen Zukunft« endete an Massenblockaden - die Polizei machte den Weg frei
Von Maike Zimmermann
»Hamburg bekennt Farbe«, hieß es am 2. Juni vor dem Rathaus der Stadt. »Ganz viele Hamburger auf dem Rathausmarkt, die bunt und fröhlich demonstriert haben«, meint Joachim Lenders und zieht eine leicht holzschnittartige Bilanz des Wochenendes: »Auf der einen Seite wirklich friedlicher, fröhlicher, toller Protest, den man nur begrüßen kann. Und gewaltbereite, schlimme, linksautonome Chaoten, die in Wandsbek einen Stadtteil in Schutt und Asche gelegt haben.«
Was der Landesvorsitzende von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) hier beim Lokalsender Hamburg 1 skizziert, deckt sich weitgehend mit dem Tenor der Berichterstattung von Mopo, Bild und Spiegel. Dass 500 Neonazis durch den Hamburger Stadtteil Wandsbek marschiert sind, gerät bei der Rede von den »extremistischen Gewalttaten« leicht in den Hintergrund. Seit 2009 veranstalten Neonazis von NPD und Freien Kameradschaften nun schon den »Tag der deutschen Zukunft« in wechselnden norddeutschen Städten. (Siehe ak 572). Und so wollten die Neonazis um Thomas Wulff und Christian Worch auch in Hamburg ein »Signal gegen Überfremdung« setzen. Zunächst bestand dieses Signal allerdings für sie hauptsächlich aus Warten - Warten auf die Kameraden, Warten darauf, dass die Polizei ihnen die Strecke freiräumt.
Und gerade letzteres Warten verdanken die Neonazis eben nicht den 10.000 Menschen, die auf dem Rathausmarkt bunte Karten in die Luft gehalten haben, sondern den vielen tausend Menschen, die in Wandsbek die Aufmarschroute immer wieder aufs Neue blockierten. Vielfältige Aktionen sorgten dafür, dass die Neonazis ihre angemeldete Route nicht laufen konnten. Und auch ihre mit der Polizei vereinbarte Ersatzroute musste stark verkürzt werden - ganze 1.500 Meter ging es die Hasselbrookstraße herunter und die Marienthaler Straße wieder hinauf.
2.000 Menschen stellten und setzten sich den Nazis an der Marienthaler Straße in den Weg. Die Polizei entschied sich, zu räumen. »Die Polizei hat die Ersatzroute der Nazis durchgeknüppelt, statt rechtliche Möglichkeiten für ein Verbot der Nazi-Demo zu nutzen«, so Olaf Harms vom Hamburger Bündnis gegen Rechts (HBgR). »Nazis konnten andere Menschen angreifen und für ihre menschenverachtende Politik werben.«
Zwar war die Polizei mit über 4.000 BeamtInnen vor Ort, doch direkt am Aufmarsch der Neonazis fiel die Begleitung teilweise eher dürftig aus. Neonazis durchbrachen Polizeiketten und machten sich in einem Park neben der Route auf die Jagd nach AntifaschistInnen. Nur wenige Meter weiter prügelte die Polizei den Nazis die Straßenkreuzung frei - fast eine Stunde lang.
Parlamentarisches Nachspiel
Bereits am Vormittag waren mehrere hundert Menschen von der Polizei nördlich des Eilbekkanals eingekesselt worden. Über fünf Stunden dauerte diese Neuauflage des »Hamburger Kessels«. Ein Vorgehen, für das sich die Polizei noch wird erklären müssen. Grüne und Linkspartei sehen aber nicht nur hier parlamentarischen Klärungsbedarf. Auch der Einsatz von Reiterstaffeln an Sitzblockaden und übertriebene Härte beim Abräumen von Blockaden werden in nächster Zeit in der Hansestadt noch Thema sein.
Apropos Sitzen: Für Kopfschütteln sorgte ein Interview im Freien Senderkombinat (FSK) mit einem Polizeisprecher am Abend des 2. Juni. In Bezug auf eine kleine Sitzblockade in der Seumestraße fragt der Moderator des freien Radios, »warum man gegen am Boden sitzende Menschen so massiv vorgeht, mit Wasserwerfern und mit der Polizeipferdestaffel«. Dies sei geschehen, so der Polizeisprecher, weil die Personen sich trotz Aufforderung nicht freiwillig entfernt hätten. »Das hat nichts mit zivilem Ungehorsam zu tun, sondern das war schon ein Gegenprotest, in der Form, dass er gewalttätig war und so mussten wir Maßnahmen ergreifen.« Auf den Einwand hin, dass Sitzen gemeinhin nicht gewalttätig ist, bricht der Beamte das Gespräch ab und legt auf.
Aber selbst Pferde und Wasserwerfer reichen so manchen Polizisten offenbar nicht, um der »gewalttätigen Sitzblockaden« Herr zu werden. Gummigeschosse müssen her, meint Rainer Wendt von der DpolG gegenüber der Bildzeitung. Derzeit fehle es der Polizei an einer Waffe, die die Lücke zwischen Reizgas und scharfer Munition schließen könne. Gummigeschosse seien hier ein probates Mittel. Zum Glück finden solche absurden Ansichten bislang nur wenig Zustimmung. »Der Einsatz von Gummigeschossen bzw. die Beschaffung solcher Möglichkeiten für die Polizei (...) könnte eine Gewaltspirale weiter in Gang setzen - staatlicherseits«, so Gerhard Kirsch von der Hamburger Gewerkschaft der Polizei (GdP) im NDR Fernsehen.
Die Nazis sind am 2. Juni durch Hamburg marschiert - da fällt es schwer, wirklich von einem Erfolg zu sprechen. Es ist allerdings das erste Mal, dass das Konzept der Massenblockaden in der nördlichen Elbmetropole ausprobiert wurde - und das durchaus an vielen Stellen erfolgreich. Freilich läuft da nicht alles reibungslos. Ein solidarisches Nebeneinander kommt in den seltensten Fällen ohne Diskussionen und Auseinandersetzungen aus. Es ist wichtig, zu erklären, dass ein solidarischer Umgang auch bedeutet, andere Aktionsformen zu respektieren und eben keine Steine auf Sitzende zu werfen - auch wenn das eigentliche Ziel ein anderes ist und man schlicht nicht weit genug werfen kann. Aber genauso muss man anderen erklären, dass es keinen Grund zur Panik gibt, nur weil ein Mülleimer brennt. Die Wut, die sich hier kanalisiert, resultiert eben nicht aus Aktionismus oder Langeweile, sondern daraus, dass Neonazis ihre rassistische Hetze auf die Straße tragen können. Das Problem sind die Nazis und nicht die Mülleimer.
Der Aufmarsch in Hamburg hat nicht zuletzt deshalb stattgefunden, weil er stattfinden sollte. Möglichkeiten hätte es für die Polizei etliche gegeben, die Neonaziveranstaltung abzubrechen. Das war jedoch offensichtlich politisch nicht gewollt. Vielleicht weil man als Polizei zeigen wollte, dass man sich das Heft nicht aus der Hand nehmen lässt. Vielleicht auch damit die Worte von Bürgermeister Olaf Scholz nicht konterkarriert werden: »Wir achten das Demonstrationsrecht. Aber wir verachten die Rechtsradikalen, die heute in unserer Stadt aufmarschieren.« Hätte ja auch nicht gut ausgesehen, wenn zeitgleich andere den Aufmarsch verhindert hätten.
Wichtig ist ein solidarisches Mit- und Nebeneinander
Die Trennung in »gut« - farbenfroher Protest in der Innenstadt - und »böse« - linksautonome Randalierer in Wandsbek - ist an sich ein alter Hut. Auch die Auffassung, dass »richtiger Protest« weit ab des eigentlichen Geschehens stattzufinden habe, ist alles andere als neu. Darüber mag man sich ärgern, zu lange aufhalten sollte man sich hieran jedoch nicht. Durch das Setzen von Zeichen allein wird man Nazis auch zukünftig nicht vom Marschieren abhalten können.
Am 2. Juni war die Auschwitz-Überlebende Esther Bejerano auf dem Rathausmarkt. Aber sie richtete sich auch an diejenigen, die andernorts protestierten: »Das Bedeutsamste und Kostbarste aus deutscher Geschichte ist und bleibt der antifaschistische Widerstand. Der Nazihölle entronnen, dem sogenannten Tausendjährigen Reich, das für uns tatsächlich wie tausend Jahre war, jede Stunde, jeden Tag den Tod vor den Augen. Wir wünschen uns, dass ihr, weil es ja so bitter nötig ist, in Zukunft Widerstand leistet, wie damals die Widerstandskämpfer gegen den Hitlerfaschismus, für ein Leben in Frieden und Freiheit für alle Menschen auf dieser Welt.«