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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 573 / 15.6.2012

Meinung

Widersprüche sind auszutragen

Kann der Linken egal sein, was mit und bei der Linkspartei passiert? Wie soll es einem halbwegs freundlich gesinnten Menschen egal sein, ob Studierende das Studium nicht fortsetzen können, weil die Studiengebühren nicht bezahlbar sind? Wie kann es gleichgültig sein, ob die Residenzpflicht für Flüchtlinge aufgehoben wird, oder wie kann ich darüber hinweg sehen, dass der Eintritt in das städtische Schwimmbad wegen eines Sozialpasses günstiger als der Normalpreis ist? Diese Fragen muss ich bei meiner Bewertung der Ergebnisse von parlamentarischer Arbeit der LINKEN einbeziehen, wenn ich mir die Frage nach dem Stellenwert der Sinnhaftigkeit von Engagement (in) der Linkspartei stelle.

Wer allerdings die gesellschaftlichen Verhältnisse gründlich verändern will, kann die Erwartungen nicht am »Machbaren« messen, nicht an dem, was im Parlament verhandelbar ist. Trotz anderslautender Bekundungen ist dies der wohl entscheidende Unterschied zwischen radikalen BewegungsaktivistInnen und Linken, die sich in der Linkspartei organisieren.

Der Grund für die Orientierung von Parteilinken auf das »Vernünftige« und »Machbare« liegt in der Struktur des Parlamentarismus und ebenso an den entsprechenden Erwartungen des Wahlvolks. Die Verparlamentarisierung des Denkens und Handelns ist zwangsläufig, wenn auf jeden Verwaltungsakt reagiert werden muss und jede Sitzung im Unterausschuss des Ortsbeirats sachgerecht vorbereitet sein will. Dass die kleinsten parlamentarischen Errungenschaften zu großen Erfolgen umgedeutet werden, um für die potenziellen WählerInnen attraktiver zu erscheinen, ist zwangsläufig.

Sich diesem Druck entgegen zu stellen, würde erfordern, sich vor die Kameras zu stellen und die eigene Hilflosigkeit, die Schwäche oder auch die radikale Verneinung angesichts der realen Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft zu bekunden. Wer immer den Mut dazu aufbringen würde, wäre innerparteilich blitzschnell abserviert und spätesten beim nächsten Wahlakt abgestraft. In einigen Ländern Lateinamerikas entwickeln soziale Bewegungen gerade ein Verhältnis zu linken Parteien, die Staatsregierungen stellen. Die Auswirkungen auf die sozialen Bewegungen, selbst organisierte Projekte und Genossenschaften werden ambivalent beschrieben. So ist es für AktivistInnen leichter möglich, in einer lokalen oder regionalen Verwaltung gehört zu werden. Vor allem vor Wahlen wird auch beschränkt finanzielle Unterstützung gewährt. Auf der anderen Seite ist der Umgang mit linken Parteien eher von Erwartungslosigkeit und freundlicher Distanz geprägt.

Als vor 30 Jahren die Grünen als Bewegungspartei die Zwänge des parlamentarischen Systems zu überwinden versuchten, entwickelten sie das Konzept vom Spielbein (Parlament) und Standbein (außerparlamentarische Bewegung) gekoppelt mit dem Modell der Abgeordnetenrotation. Auch damals wurde die Eigendynamik parlamentarischer Erfordernisse unterschätzt oder im Kampf der Strömungen bewusst eingesetzt. Die gegen die Anpassung errichteten Schutzmauern fielen schon bei der ersten Wahlniederlage auf Landesebene noch Mitte der 1980er Jahre.

Nun erarbeiten Linke in und neben der Linkspartei ein Kooperationsmodell von sozialen Bewegungen und Partei, das die Erfahrungen aus Lateinamerika und die negativen Erfahrungen der grün-alternativen Wahlbewegung versucht in ein neues Konzept einzuarbeiten. In diesem Konzept wird Widersprüchlichkeit und Verschiedenheit als ein positives Kennzeichen einer zukünftigen mosaikartigen Zusammenarbeit hineingedacht. Diese Widersprüchlichkeit ist allerdings nicht einfach ein positiv zu wertendes diskursives Element, sondern in ihr werden konkrete Lebensbedingungen entschieden.

Die VertreterInnen einer imaginierten Mosaiklinken sollten sich dazu bekennen, dass Widersprüche als solche auch zwischen der LINKEN und radikaler Bewegung auszutragen sind. In vielen praktischen Kampagnen können Partei- und Bewegungsmenschen gut zusammenarbeiten, ohne diese Widersprüche aus den Augen zu verlieren.

Dass auf dem Göttinger Parteitag der LINKEN mit Katja Kipping und Bernd Riexinger zwei VertreterInnen einer bewegungsorientierten Partei gewählt wurden, ist erfreulich. Leider wird das an der Verparlamentarisierung der Partei nichts ändern können. Letztendlich entschieden wird eben von den ParlamentarierInnen der unterschiedlichen Ebenen. Zur Not mithilfe der bürgerlichen Presse.

Michael Barg

Michael Barg ist »organischer Intellektueller« (Gramsci) in Köln-Kalk und aktiv in der Interventionistischen Linken (IL).