Schattenland der Völkerfreundschaft
Rostock-Lichtenhagen Rassismus und Neonazismus in den ostdeutschen Bundesländern
Von Liane Richter und Klaus Niebuhr
Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen? Eine Folge der Wendewirren. Neonazis? Ein aus dem Westen importiertes Problem. Bis heute wird in Ostdeutschland die eigene Geschichte von Rassismus und Neonazismus gern geleugnet.
Die Freundschaftsrhetorik gegenüber jenen »Völkern, deren Länder einen sozialistischen Entwicklungsweg gehen« (1), war fester Bestandteil der ritualisierten Agitation von Jugendlichen in der DDR. Seit den 1960er Jahren bemühte sich diese um die Anwerbung von »Vertragsarbeitern« aus ihr politisch nahestehenden Trikontstaaten. Die zeitlich befristete Aufnahme unter anderem von Menschen aus Kuba, Angola und Vietnam verstand die DDR als praktischen Beitrag zur antiimperialistischen Solidarität.
Doch solcher Altruismus war nicht die Haupttriebkraft der realsozialistischen Politik der Arbeitsmigration. Vielmehr brauchte das Land für seine personalintensive Wirtschaft dringend Arbeitskräfte. Die Regularien zielten denn auch nicht auf die gesellschaftliche Integration der VertragsarbeiterInnen, sondern auf ihre Qualifizierung und Indienstnahme für die DDR-Wirtschaft. VertragsarbeiterInnen lebten von der Bevölkerung isoliert in Wohnheimen; individuelle Freundschaften waren nicht gern gesehen. Vertragsarbeiterinnen, die in der DDR schwanger wurden, mussten das Land sofort verlassen.
In den 1980er Jahren waren VertragsarbeiterInnen vermehrt rassistischer Schikane ausgesetzt. Nicht selten wurde ihnen die schlechte Versorgungslage angelastet. Rassistische Klischees von »den Fitschies, die uns alles wegkaufen«, waren weit verbreitet. Der Hetze gegen PolInnen, die in Betrieben offen als »arbeitsscheu, asozial und diebisch« verunglimpft wurden, setze die DDR-Führung nichts entgegen, da antipolnische Ressentiments Sympathien für eine unabhängige Gewerkschaftsbewegung fernhalten sollte.
Rassismus wird als »Rowdytum« verharmlost
Ab Mitte der 1980er Jahre häufen sich in den Lagebildern von Polizei und Staatssicherheit Berichte über rassistisch motivierte Angriffe auf VertragsarbeiterInnen. Schauplätze sind Volksfeste und Diskotheken. So auch in der Nacht vom 19. auf den 20. September 1987 in Stassfurt (Bezirk Magdeburg, heute Sachsen-Anhalt). Der Mosambikaner Carlos ConceiÇao wird von deutschen Jugendlichen in der Disko rassistisch angepöbelt, dann geschlagen. Schließlich ertränken die Täter ihr Opfer in der nahegelegenen Bode. Ein rassistischer Mord, den die DDR-Behörden erfolgreich vor der Öffentlichkeit vertuschen. Die Täter werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgeurteilt, die Freunde des Opfers bei Strafe der Ausweisung zum Stillschweigen gezwungen. (2) Zwar verfügen VertragsarbeiterInnen in der DDR über das aktive und passive Wahlrecht, doch da die Wahlen einer Farce gleichkommen, ist das Recht wertlos.
Ab Mitte der 1980er Jahre befindet sich die Neonaziszene der DDR im Aufstieg. Skinheads brüsten sich vor Gericht, mit ihren Gewalttaten gegen Polen und Vietnamesen den Willen des Volkes zu exekutieren. (3) Die Kriminologin Lonie Niederländer wertet im Auftrag des ZK der SED hunderte Akten von Strafprozessen gegen junge Neonazis vor Bezirks- und Kreisgerichten der DDR aus, sie besucht Prozesse, spricht mit Staatsanwälten und Richtern. In ihrem damals nicht veröffentlichten Bericht kritisiert sie die Praxis der DDR-Justiz, rassistisch motivierte Gewalttaten unter dem Straftatbestand des »Rowdytums« zu verharmlosen und die Täter bei systemkonformer Sozialprognose allzu milde zu behandeln.
In der Öffentlichkeit der DDR sind Rassismus und Rechtsextremismus Tabuthemen. Nach dem Motto »Das gibt es bei uns nicht« sind Rassismus und Rechtsextremismus nur dann Thema in den DDR-Medien, wenn es um Westdeutschland geht. Doch in den Untergrundzeitschriften der DDR-Opposition finden sich durchaus ungeschminkte Berichte über die gesellschaftliche Reichweite rassistischer Einstellungen.
Für Aufsehen sorgt 1988 ein von dem Bürgerrechtler Konrad Weiss in der Oppositionszeitschrift Kontext veröffentlichter Aufsatz unter dem Titel »Die neue alte Gefahr - Junge Faschisten in der DDR«. (4) Schonungslos geht Weiss darin mit dem erstarrten Antifaschismus der DDR und seinen Tabus ins Gericht. Für den Aufstieg einer neonazistischen Szene in der DDR macht er den alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringenden Autoritarismus im Land verantwortlich. In drastischen Schilderungen prangert er zudem die Lage der VetragsarbeiterInnen an. Als Weiss' Text in der westdeutschen Wochenzeitung Die Zeit nachgedruckt wird, kontert die FDJ-Tageszeitung Junge Welt mit einer wüsten Attacke gegen Weiss und die DDR-Opposition, der sie vorwirft, selbst mit den Faschisten im Bunde zu stehen.
Schikanen gegen VertragsarbeiterInnen
Die ersten Opfer der Kollapsphase der DDR-Betriebe sind ab Sommer 1990 die ehemaligen VertragsarbeiterInnen. Sie waren als erste von den Massenentlassungen betroffen, verloren durch die Kündigung der Verträge mit ihren Herkunftsstaaten ihren Aufenthaltsstatus und fanden sich als BittstellerInnen gegenüber jenen DDR-Betrieben wieder, die ihnen Lohnzahlungen schuldeten. Zuvor hatte die Modrow-Regierung im Frühjahr 1990 die rassistische Diskriminierung verschärft, indem sie Einkaufsbeschränkungen bei Konsumgütern für VertragsarbeiterInnen erließ, um die angespannte Versorgungslage zu entschärfen. So kam es in Kaufhallen und Fachgeschäften zu entwürdigenden Ausweiskontrollen und rassistischen Schikanen. (5) Die Rechtsnachfolgerin der DDR, das »wiedervereinigte« Deutschland, mühte sich um eine rasche »Rücknahme« von ehemaligen VertragsarbeiterInnen. Rabiate Abschiebungen und soziale Abstürze jener, die ein Bleiberecht erwirken konnten, waren die Folge.
Ihre nahtlose Fortsetzung fanden die Angriffe nach der »Wiedervereinigung« in der steigenden Zahl von Übergriffen gegen nunmehr in der ehemaligen DDR untergebrachte AsylbewerberInnen. Begünstigt wurde die epidemische Ausbreitung rassistischer Gewalt zu Beginn der 1990er dadurch, dass der rapide Autoritätsverlust der DDR-Institutionen nicht bruchlos durch den Strukturaufbau der bundesrepublikanischen Pendants aufgefangen wurde. Insbesondere Polizei und Justiz waren weder willens noch in der Lage, die extrem rechte Repräsentanz in die Schranken zu weisen.
Die nach der Wende zerschlagenen Strukturen der Soziokultur- und Jugendarbeit hinterließen eine sozialräumliche Einöde, welche die damalige Bundesjugendministerin Angela Merkel mit dem Programm AGAG zu rekultivieren gedachte. Dabei kam es jedoch zu einer nachhaltigen Stabilisierung rechter Milieus, die von dem neu eingeführten sozialpädagogischen Konzept der »akzeptierenden Jugendarbeit« profitierten. Dieses schuf die Basis für rechte jugendkulturelle Hegemonieräume, von denen die extreme Rechte in den ländlichen und kleinstädtisch geprägten Regionen der neuen Bundesländer bis heute profitiert.
Behördlicher Antikommunismus
Zu den strukturellen Ursachen für die mangelhafte Verfolgung rechter und rassistischer Straftaten traten jedoch politische. Jenen westdeutschen Beamten, die ab Mitte 1990 mit der Umstrukturierung der Polizei und dem Aufbau des Verfassungsschutzes in den neuen Ländern betraut wurden, verstellte ihre antikommunistische Doktrin den Blick auf die sich entwickelnde neonazistische Bewegung in Ostdeutschland. Der Feind stand weiterhin links. Diese Haltung korrespondierte mit den weitverbreiteten Auffassungen jener PolizistInnen, die es geschafft hatten, in den Dienst des neuen Staates übernommen zu werden. Bereits zu DDR-Zeiten konzentrierten sich die staatlichen Repressionsdrohungen stärker auf die linksgewirkte Punk- , Öko und Friedensszene als auf rechte Schläger. So gingen westdeutsch sozialisierter behördlicher Antikommunismus und ostdeutsch-autoritärer Ordnungssinn in den Sicherheitsbehörden eine Allianz ein, deren Ergebnis die bewusste behördliche Ignoranz gegenüber der extremen Rechten war.
Kommt die Rede auf die Ursachen der Explosion rassistischer Gewalt in den neuen Ländern zu Beginn der 1990er Jahre, so verweisen nicht wenige aus Medien, Politik und Justiz gern auf die angeblich zentrale Rolle, die westdeutsche Neonazis beim Aufbau der extremen Rechten im Osten gespielt hätten. Diese Argumentation ignoriert, dass sich bereits in der DDR neonazistische Milieus gebildet hatten, die nach dem Fall der Mauer umso aggressiver und offener auftraten. Zwar ist es zutreffend, dass sich so unterschiedliche rechte Akteure wie Die Republikaner und die Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) Michael Kühnens intensiv um die Rekrutierung von Neonazis in den neuen Ländern bemühten. Die Annahme, Leute wie Kühnen, Althans und Küssel hätten steuernden Einfluss auf den Verlauf der rassistischen Mobilisierung in den neuen Ländern genommen, fällt aber auf deren medial verstärkte Propaganda herein.
Real waren die klandestinen Neonazis der alten Bundesrepublik mit der Integration des sich ihnen bietenden Potenzials strukturell und politisch überfordert. Dennoch profitierten organisierte Neonazis aus dem Westen durchaus von der ostdeutschen Entwicklung. Erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg erwiesen sich ihre Inhalte in breiten Bevölkerungskreisen als kampagnenfähig. Dass Neonazis wie Kühnen und Küssel daraus den Schluss zogen, der Wiederaufstieg der NSDAP stünde vor der Tür, spricht mehr für ihre Selbstüberschätzung als für politischen Realitätssinn.
Entscheidender als die Rolle westdeutscher Neonazis dürfte die jener gewesen sein, die als ehemalige politische Häftlinge oder Republikflüchtlinge nun in die neuen Länder zurückkehrten. In den Wendewirren gelang es ihnen in der Regel umstandslos, alte Kontakte zu reaktivieren. Ihre Kenntnis der ostdeutschen Mentalität und Lebensumstände verschaffte ihnen - anders als westdeutschen Neonazis - Authentizität.
Liane Richter ist Lehrerin für Geschichte, Klaus Niebuhr ist in der Jugendarbeit tätig.
Anmerkungen:
1) Ministerium für Volksbildung der DDR (Hg.): Geographie: Lehrbuch Klasse 8. Berlin (DDR) 1980.
2) Britta Bugiel: Rechtsextremismus in der DDR und in den neuen Bundesländern 1980 - 1994. LIT Verlag, Münster 2002.
3) Loni Niederländer: Forschungsbericht »Das politische Wesen der Skinheadgruppierungen und ihre Sicherheitsrelevanz«. Humboldt-Universität zu Berlin, Sektion Kriminalistik, Februar 1989.
4) Konrad Weiss: Die neue alte Gefahr - Junge Faschisten in der DDR: Kontext, Berlin (DDR) 1988.
5) Umweltbibliothek Berlin (Hg.): Zeitschrift telegraph März 1990.