Fight Back
Rostock-Lichtenhagen Antirassismus ist Arbeit für die Gesellschaft
Von Sascha Holleder
Die rassistische Stimmung, die sich in Lichtenhagen und andernorts in Pogromen entladen hatte, wurde von der Politik dazu genutzt, die Maßnahmen gegen den Zuzug von Flüchtlingen zu verschärfen. Aber schon vor der faktischen Abschaffung des Asylrechts begann ein Prozess, in dem Flüchtlinge zu BittstellerInnen um Asyl gemacht werden.
Mit dem Ende der Blockkonfrontation ist zunächst eine stärkere Mobilität von Menschen innerhalb von Europa möglich und durch die folgenden Kriege für viele auch notwendig. Migration durch Flucht wird von den deutschen Behörden mit einer massenhaften Ablehnung von Asylanträgen beantwortet. Unter Rückgriff auf den Topos der »Scheinasylanten« fordern Politik und Presse die Abwehr eines Ansturms der Armen der Welt auf Deutschland und Europa. Der Nationalismus der »Wiedervereinigung« wird in seiner rassistischen Ausprägung gegen unzählige Gesellschaftsmitglieder eingesetzt. Die Pogrome (auch die Stillhaltepolitik der Polizei) und die Abschiebungen von angeblich »Fremden« sind eine Konsequenz aus der nationalen Einigung der »Einen« und der Etablierung der neuen BRD auf Kosten der »Anderen«.
In Folge der Grundgesetzänderung von 1993 werden zusätzliche Bestimmungen erlassen, die den Schwebezustand der Betroffenen festschreiben und sie gar nicht erst am gesellschaftlichen Leben teilhaben lassen. Die Schaffung von Sondergesetzen wie Lagerunterbringung, Asylbewerberleistungsgesetz, Gutscheinsystem und Arbeitsverbot sind die Mittel der Behörden, um Menschen in einen solchen Sonderstatus zu pressen. Die Behörden entfremden Menschen, indem sie Migrierte materiell deklassieren und räumlich von der »Mehrheitsgesellschaft« trennen. Diskrete, heimliche und schnellere Abschiebungen sind nur die Spitze dieser Politik.
Im August 1992 betonte die Rostocker Presse, dass die AsylbewerberInnen aus der ZAst draußen schlafen würden und ihre Notdurft überall verrichteten; sich also ein vermeintlich kultureller Unterschiede auftue. Gerade, dass die ZAst überfüllt war, die Leute also zum draußen Schlafen gezwungen waren, wird nun als Grund für die rassistische Mobilisierung vorgeführt. Die Ursachen der sozialen Probleme werden den Flüchtlingen zugeschrieben und unumwunden zum kulturellen Problem gemacht. Die rassistische Abwicklung von Menschen, die Asyl beantragen und die kulturrassistischen Dauerbrenner »Leitkultur« und »Integration«, die nun auch »Passdeutsche« betreffen, sind dabei zwei Seiten einer Medaille: Die Forderung nach »Integration« stellt die Zugehörigkeit zur Gesellschaft infrage. Menschen werden kulturalisiert, politische Konflikte werden kulturell verhandelt. Die Klassenfrage wird bewusst nicht gestellt, weil dadurch ganz andere Verhältnisse zum Vorschein kämen. Denn der Rassismus, der nicht erst seit Rostock die Politik bestimmt hat, ist immer ein Angriff auf das soziale Miteinander.
Fremdbestimmung ist dieser Gesellschaft nicht nur im Rassismus eingeschrieben. Geschlecht und auch soziale Widersprüche wie Lohnarbeit und staatliche Transferleistungen sollten innerhalb des Antirassismus häufiger Thema werden: inhaltlich, um Ursachen für Rassismus zu benennen, sowie strategisch, um soziale Kämpfe stärker verbinden zu können. Klassische Parteinahme- und Feuerlöscherpolitik haben dem rassistischen Rechtssystem in 20 Jahren nichts abtrotzen können. Argumente jenseits der Verbesserung einzelner Rechte sind daher unerlässlich, weil sich Solidarität oder Fragen nach den Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens in kein herrschendes Rechtssystem pressen lassen. Solidarität bemisst sich an der eigenen Betroffenheit, am ständigen Spiegeln gesellschaftlicher Verhältnisse und den Auseinandersetzungen miteinander (»solidarische Mitbetroffenheit«). Es ließe sich nämlich auch für Bleiberecht kämpfen, indem kollektiv für bessere Wohn- und Lebensbedingungen an lebenswerten Orten eingetreten werden würde. Die Rechte und der gesellschaftliche Status, die seit Rostock verloren gegangen sind, müssen in solidarischer Politik millimeterweise zurückerkämpft werden, sollten aber über den Rahmen, der uns legalistisch aufgenötigt wird, hinausweisen. Denn Antirassismus ist Arbeit für die Gesellschaft: So fight back.
Sascha Holleder ist zurzeit aktiv in dem Bündnis Rassismus tötet.