Kommse rein, könnse rausgucken
Diskussion Nach dem Parteitag der LINKEN in Göttingen wurden alte Fragen schlecht gestellt
Mit dem Göttinger Parteitag Anfang Juni setzte die Partei DIE LINKE ein Zeichen gegen eines der am meisten verbreiteten Vorurteile gegenüber der Linken im Allgemeinen: Die streiten doch nur immer. Und irgendwie war die Wahl des neuen Parteivorstands zumindest für Bewegungslinke nicht nur überraschend, sondern vor allem erfreulich. Schließlich sind Katja Kipping und Bernd Riexinger durch jahrelange Bündnisarbeit keine Unbekannten. Der linke Gewerkschaftsaktivist Riexinger war für viele Delegierte und MitarbeiterInnen des Karl-Liebknecht-Hauses eher ein Unbekannter als für viele BewegungsaktivistInnen. Seine Kandidatur hatte vor allem einen Zweck: den Reformkandidaten Bartsch zu verhindern. Im Gegensatz zu Lafontaine und Wagenknecht trat er an und nahm damit - anders als die zwei VertreterInnen des »linken« Flügels - eine weitergehende Spaltung der Partei in Kauf.
Mit der Wahl von Kipping und Riexinger scheint eine Fortsetzung des selbstzerstörerischen Konflikts in der LINKEN vorerst abgewendet zu sein. Kaum war der Raum für einen gemeinsamen und produktiven Streit geöffnet, zog in der außerparlamentarischen Linken ein Sturm im Wasserglas auf. Erst kursierte ein Aufruf, in die LINKE einzutreten und eine gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen. Danach erklärte Raul Zelik öffentlich seinen Eintritt. Es folgten 18 Linke aus sozialen Bewegungen, Wissenschaft und Gewerkschaften.
Bisher ist unklar, was diese Kampagne so kurz nach dem Parteitag sollte. Zumindest so viel steht fest: Eine öffentlichkeitswirksame Kampagne sieht anders aus. Sie hätte es erfordert, beispielsweise weitere Kunstschaffende und Menschen des öffentlichen Lebens zum Eintritt in die LINKE zu bewegen. Die Medien hätten dann neben Wagenknecht als gesuchte Gesprächspartnerin in Sachen Krise einen anderen Drops zu lutschen gehabt. Wenn mit dem »Masseneintritt« also keine PR-Aktion mit Knalleffekt verbunden werden sollte, was sollte dann damit bezweckt werden?
Eine strategisch-politische Diskussion mit Ausstrahlung auf die Bewegungslinke wurde mit den Eintritten jedenfalls nicht losgetreten. Diejenigen, die vor der Veröffentlichung zur Unterzeichnung aufgefordert wurden, waren nicht einmal zu einer gemeinsamen Diskussion eingeladen worden, um sich darüber zu verständigen, wie und warum der Schritt jetzt angebracht sei. Aus den bisherigen Begründungen ist völlig unklar, was die neuen ParteigenossInnen in der LINKEN konkret machen wollen. Die Eintritte erscheinen vielmehr als individueller Schritt ohne die Ambition, eine kollektive Strategie in der Partei zu verfolgen oder eine existierende Strömung der Partei zu unterstützen. Als befänden sich die Neumitglieder jenseits aller bisherigen Konflikte, Strömungs- und Flügelkämpfe, verschließen sie die Augen davor, in welches politische Kräfteverhältnis sie sich mit ihrem Eintritt begeben. Zudem ist mit einem Mitgliedsausweis noch nicht viel erreicht. Wenn man die LINKE als ein Feld politischer Auseinandersetzung versteht und dies öffentlich erklärt, muss man auch verraten, was man dort wie und mit wem zu bewegen gedenkt.
Was besonders verwundert, ist der Zeitpunkt der Eintritte. Warum die Eile? Die Bundestagswahlen sind noch etwas hin, und der Linken insgesamt hätte es gutgetan, diesen Schritt nicht zu übereilen. Denn viele Fragen, die die Parteieintritte aufwerfen, müssten unbedingt diskutiert werden. Wie kann und sollte Massenorganisierung aussehen? Wie sollte die Linke mit Bürokratisierung, Entscheidungsprozessen und Repräsentation im Rahmen wachsender Organisationsgrößen umgehen? Wie mit interner Kommunikation, kollektiven Lern- und Erfahrungsprozessen? Wie kann der dringend notwendigen Kooperation zwischen Partei und außerparlamentarischer Linken - trotz struktureller Konflikte, eigener Logik und Geschwindigkeit von Politik - produktiv eine Bewegungsform gegeben werden? Ganz abgesehen von den konkreten politischen Inhalten, die man umsetzen und vertreten will.
ak-Redaktion