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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 574 / 17.8.2012

Vom »Staatsnotstand« zum Pogrom

Rostock-Lichtenhagen Die deutsche »Asyldebatte« als Hintergrundmusik

Von Jens Renner

Während in Rostock-Lichtenhagen der Mob wütete, saßen auf dem Petersberg bei Bonn 15 sozialdemokratische Führungskader zusammen. Unter der Leitung ihres Parteivorsitzenden Björn Engholm beschlossen sie zwei wichtige Kurskorrekturen: die Zustimmung der SPD zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr unter dem »Gewaltmonopol der UNO« und zu einer »Ergänzung« des Grundgesetzartikels 16: »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.«

Ein paar Monate später war das Asylrecht de facto abgeschafft. Auch die »Asyldebatte« war beendet - und mit ihr ein Prozess, der bereits in den 1970er Jahren begonnen hatte. Damals lag die Initiative in dieser Frage am rechten Rand des politischen Spektrums. Neben der NPD waren es vor allem lokale Listen und Bürgerinitiativen, die gegen »Überfremdung« hetzten, etwa die 1977 gegründete Aktion Ausländerrückführung - Volksbewegung gegen Überfremdung und Umweltzerstörung (AAR). 1982 erreichte die Kieler Liste für Ausländerbegrenzung (KLA) bei der Kommunalwahl 3,8 Prozent der Stimmen.

Von den etablierten Parteien griff als erste die CSU das Thema auf. Im Herbst 1979 wurde bekannt, dass bayerische Grenzbeamte jahrelang AsylbewerberInnen kurzerhand abgewiesen hatten. Während der bayerische Innenminister Tandler das öffentlich rechtfertigte, empörte sich Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD): Denn unter den widerrechtlich Abgeschobenen waren auch mehrere »Ostblockflüchtlinge«. Wenig später beschloss die SPD/FDP-Mehrheit im Bundestag eine Reihe von Maßnahmen, um die Wahrnehmung des Asylrechts zu erschweren. Das war 1980, mitten im Bundestagswahlkampf, als die CDU/CSU mit dem Scharfmacher Franz Josef Strauß als Kanzlerkandidat antrat.

1986: Hetze gegen »Scheinasylanten«

Im Rückblick erscheint diese erste in der BRD geführte »Asyldebatte« fast schon moderat. 1986, wieder war Wahlkampf, wurde der Ton hysterischer, auch in den Medien. Rassistische Kampfparolen wie »Asylantenschwemme«, »Asylantenflut« oder »Scheinasylant« waren allgegenwärtig. In einer sechsteiligen Serie über »Asylanten und Scheinasylanten« (August/September 1986) bemühte sich der Spiegel um den Nachweis, »dass der Asyl-Artikel des Grundgesetzes mittlerweile weniger dem Schutz vor Verfolgung als vielmehr der ungehinderten Zuwanderung diente.« Das schrieb die Redaktion sechs Jahre später (»Hausmitteilung« vom 9.11.1992), um ihre frühen »Verdienste« zu rühmen.

Aber 1986 wurde nicht nur gehetzt, sondern auch gehandelt. Das restriktive Asylverfahrensgesetz von 1982 war noch von der sozialliberalen Koalition auf den Weg gebracht worden. Auch unter der Kohl-Regierung blieb die SPD ihrer Linie treu. Im Auftrag des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Johannes Rau führte Egon Bahr, der »Architekt der neuen Ostpolitik«, 1986 eine Reihe von Gesprächen mit DDR-Vertretern, um die Einreise von AsylbewerberInnen von Ost- nach Westberlin zu unterbinden. Zu diesem Zweck musste das von den westdeutschen Medien zu einer Art Naturkatastrophe aufgeblasene »Loch in der Mauer« gestopft werden. Was auch gelang. In einem bundesweit verteilten Flugblatt feierte die SPD sich selbst: »SPD macht's möglich. DDR stoppt Asylanten-Transit. Die Erfahrungen sozialdemokratischer Friedens- und Entspannungspolitik haben sich ausgezahlt.«

Der Bundesvorstand der Grünen kritisierte völlig zu Recht, die DDR habe sich damit zum »Vollzugsgehilfen der fremdenfeindlichen Asylpolitik der Bundesregierung« gemacht. Eine Gegenleistung erhielt die DDR nicht. Auch die SPD profitierte nur kurzfristig von dem schmutzigen Geschäft. Bei der Bundestagswahl im Januar 1987 wurde die schwarz-gelbe Regierung wiedergewählt. Noch im selben Jahr verschärfte sie das Asylverfahrensgesetz. Nun sollten »Flüchtlinge, die sich länger als drei Monate in einem als sicher definierten Drittstaat aufgehalten haben«, keinen Anspruch auf Asyl mehr haben. Ende 1989 fiel auch der generelle Abschiebestopp für die bislang bevorzugten »Ostblockflüchtlinge«.

Die Forderung, das Asylrecht ganz abzuschaffen, war bis dahin eine Spezialität der extremen Rechten, etwa der Republikaner, die sie bei ihrer Gründung 1983 in ihr Parteiprogramm aufgenommen hatten. Seit 1988 trat die CDU/CSU offen dafür ein, den Artikel 16 GG zu »ändern«. Nicht nur die Oppositionsparteien SPD und Grüne lehnten dies ab. Auch die mitregierende FDP sah zunächst keinen Anlass für eine Grundgesetzänderung. Trotz dieser eindeutigen Mehrheitsverhältnisse begann - im Zusammenspiel von CDU/CSU-Hardlinern und Massenmedien - die nunmehr dritte »Asyldebatte«.

Das Wort »Debatte« ist hier eine krasse Beschönigung: Es war eine reine Angst- und Hetzkampagne. Deren »Logik« ging so: Wenn einerseits die Zahl der Asylanträge steigt (auf fast 900.000 für die Jahre 1990 bis 1992), aber weniger als fünf Prozent der BewerberInnen anerkannt werden, dann kann es sich nur um massiven »Asylmissbrauch« handeln. Auch die »seriösen« Medien stiegen auf das Thema ein, etwa der Spiegel mit einer Titelgeschichte im September 1991: »Flüchtlinge, Aussiedler, Asylanten. Ansturm der Armen«, bebildert mit einem hoffnungslos überfüllten schwarz-rot-goldenen Boot voller »Wohlstandssucher aus den Armenvierteln der Welt«.

Verknüpft wurde die Kampagne gegen das Asylrecht mit abenteuerlichen Zahlen aus Statistiken zur »Ausländerkriminalität«. So entstand ein Bedrohungsszenario, das nicht nur den »massiven Fremdenhass« (Der Spiegel) irgendwie verständlich erscheinen lassen sollte, sondern auch Gegenmaßnahmen erforderte - nicht gegen Rassismus, sondern gegen Einwanderung: Allgegenwärtig waren die Bilder von der »Flut«, gegen die »Dämme« errichtet werden müssten, und Anleihen aus dem militärischen Sprachgebrauch wie die drohende »Invasion« fremder »Armeen« durch offene »Einfallstore«.

Bei einer Umfrage im Februar 1992 sprachen sich 74 Prozent der Befragten für eine Änderung des Asylrechts aus. Aber auch die sprunghafte Zunahme rassistischer Anschläge ab 1991 war offensichtlich eine Folge der Hetzkampagne. Die Täter sahen sich als Exekutoren des Volkswillens. Die Obrigkeit signalisierte Verständnis. In einem Interview mit der Rheinischen Post sagte Bundeskanzler Kohl, »in den Augen der Bürger sei der Staatsnotstand eingetreten, wenn ein Staat handlungsunfähig sei. Er könne und werde als Bundeskanzler nicht zusehen, wie die Situation für die Bürger vollkommen unerträglich werde. Der massenhafte Zustrom von Asylbewerbern hat (...) zu unhaltbaren Zuständen in den Gemeinden geführt.« (dpa, 23.10.1992) Das war zwei Monate nach dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen nicht misszuverstehen.