Queer durch die Lande
Kultur Die US-amerikanische queere Singer-Songwriterin Chris Pureka ist zum dritten Mal auf Europatournee und spielt im Oktober in Deutschland
Von Atlanta Athens
Seit 2001 hat Chris Pureka drei Alben und zwei EPs auf ihrem eigenen Label Sad Rabbit Music veröffentlicht, zuletzt im Jahr 2010 »How I Learned To See in the Dark«. In vielerlei Hinsicht hat sich die Musikerin bewusst für den Indieweg entschieden: »Mir bedeutet es sehr viel, selbst die künstlerischen und finanziellen Entscheidungen über meine Karriere zu treffen«, sagt sie. Ich kann alles daran mitbestimmen, über das Songschreiben und die Produktion bis hin zum Design meiner Platten und ihrer Cover, Internetauftritt und Design des Merchandising. Das ist harte Arbeit. Aber am Ende des Tages kann ich zu hundert Prozent hinter dem stehen, was ich veröffentliche.«
Es ist beeindruckend, welch dynamisch-komplexe Songstrukturen die Musikerin aus ihrer Martin-Gitarre zu holen vermag. Flink und genau getimet zupft sie scheinbar ohne Anstrengung auf den Stahlsaiten, hämmert dazu präzise mit den Fingern der linken Hand Verzierungen in die Melodien. Dazu singt sie mit einer Stimme, die rau ist wie feines Sandpapier, die manchmal trotzig klingen kann, auch anklagend, dann wieder heiser in das Mikrofon haucht, dabei vom warmen Alt im Bruchteil von Sekunden in das obere Spektrum der Tonleiter wechselt.
Momentaufnahmen abbilden
Purekas Musik ist oft verglichen worden mit der von Ryan Adams oder Gillian Welch, beides Interpreten, die wie sie dem Alternative Country zugerechnet werden. Auch Chris Pureka selbst gibt sie als musikalische Einflüsse an.
An ihren traurig schönen, zeitlosen Songs arbeitet die Sängerin oft Jahre. In den poetisch geschriebenen Texten findet sich das komplexe Gefühlsspektrum abgebildet, das die Beziehungen zwischen Menschen umgibt. Um Hoffnung und Erinnerungen geht es da, nicht selten ist die Stimmung in ihren Songs aber auch düster, klingt Verbitterung an über Lieben, die aussichtslos sind, scheiterten. Dabei gibt Pureka einen tiefen Einblick in das, von dem man glaubt, dass es ihr persönlicher Prozess ist. »Für mich ist Songs schreiben ein wenig so wie Tagebuch oder Gedichte schreiben«, sagt die Künstlerin dazu. »Ich versuche darin, Momentaufnahmen davon abzubilden, wie sich etwas zu einer bestimmten Zeit oder über die Zeit hinweg anfühlt. Es ist ein Weg, wie ich meine emotionalen Erfahrungen dokumentiere.«
Zur Musik kam Chris Pureka schon früh. Erste musikalische Versuche unternahm die Sängerin, die nach eigenen Angaben in einer »konservativen Kleinstadt« im Bundesstaat Connecticut aufgewachsen ist, mit acht Jahren. »Meine Eltern hatten ein billiges Klavier gekauft, das sich ständig verstimmte.« Rückblickend ist sie sich nicht sicher, was die Eltern damals dazu veranlasste, »weder spielten sie selbst, noch versuchten sie, meinen Bruder oder mich zum Klavierunterricht zu schicken«, erinnert sie sich.
Zum 16. Geburtstag bekam Pureka ihre erste Gitarre mit Stahlsaiten geschenkt. Das war der Moment, in dem sie die Leidenschaft packte: »Ich begann, jeden Tag mehrere Stunden lang zu üben. Innerhalb weniger Monate begann ich, meine eigenen Songs zu schreiben.«
Doch es dauerte noch mehrere Jahre, bis sie sich mit ihrer Musik vor ein Publikum traute. »Ich war entsetzlich schüchtern«, sagt die Sängerin. »Wenn ich vor Publikum spielen musste, wurde mir schlecht und ich war unglaublich nervös.« Trotzdem machte sie weiter, bespielte regelmäßig die Coffee Shops in der Gegend.
Keine Nischenkünstlerin
Nach der High School begann sie, Biologie zu studieren. An der Uni lernte sie über gemeinsame Freunde die Spoken-Word-Künstlerin Alix Olson kennen, was schließlich zu einem Wendepunkt in Purekas Leben führen sollte. »Zu jener Zeit waren Slam Poetry und Spoken Word in den USA sehr populär«, sagt Pureka, »besonders im Umfeld der Colleges«. Olson, die damals als zweifache Spoken Word Champion bereits US-weite Bekanntheit erlangt hatte, nahm die Singer-Songwriterin mit auf US-Tour durch 30 US-Städte. Dadurch wurde ihre Musik zum ersten Mal einem breiteren Publikum zugänglich. »Es war meine erste Tour und hat den Weg für mich bereitet, Musik als möglichen Beruf für mich in Erwägung zu ziehen«, erinnert sich Pureka.
Nach ihrem Abschluss arbeitete sie jedoch noch vier Jahre lang in einem Labor für Mikrobiologie. Der Job bot ihr die Möglichkeit, »ein bisschen Geld zu sparen, um meine erste Platte zu produzieren.« Erst als sie genügend Geld zusammen hatte, dass sie sich zumindest für eine Weile als Musikerin davon finanzieren konnte, gab sie den Job auf, um sich ganz ihrer musikalischen Karriere zu widmen. »Ich habe dort sehr gerne gearbeitet«, erinnert sich die Musikerin zurück. »Aber ich erinnere mich noch sehr genau an das Gefühl, mir zu wünschen, dass ich den ganzen Tag daran arbeiten könnte, Musik zu schreiben. Und jetzt, wo ich das kann, ist das eine der Sachen, für die ich am meisten dankbar bin.«
Das Auftreten der Sängerin ist androgyn; sie selbst gibt ihre Geschlechtsidentität als »genderqueer« an. Ob ihr offener Umgang damit manchmal für Probleme sorgt? »Mir haben Promoter und Manager schon gesagt, dass sie kein Interesse an mir hätten, weil ich eine Nischenkünstlerin sei«, sagt Pureka. Das ärgert sie sehr: »Auf höfliche Weise wollen sie mir damit zu verstehen geben, dass ich lieber anfangen sollte, auf Pride Festivals aufzutreten, weil sie sich nicht vorstellen können, dass andere Leute außer Queers meine Musik mögen.« Das Publikum in Europa sei in der Hinsicht offener, schiebt sie ein: »Mein Publikum in Frankreich und den Niederlanden scheinen überwiegend Männer zu sein.«
Getragen vom Fannetzwerk
Mehr als zehn Jahre nach ihrer ersten selbstbetitelten EP wird jetzt langsam ein größeres Publikum auf Purekas Musik aufmerksam. Der fehlende Support durch eine Plattenfirma hatte in dieser Hinsicht auch Nachteile. Die letzten Jahre hat sie zum großen Teil auf Tour verbracht, ist immer wieder quer durch die gesamte USA gereist, hat versucht, »jedes Mal vor mehr Leuten zu spielen«. Die Anstrengungen haben sich für sie gelohnt. Über die Jahre hat sie sich dadurch ein Fannetzwerk aufgebaut, das es ihr heute erlaubt, regelmäßig die größeren Städte der USA zu bespielen. In Europa versucht sie ein ähnliches Konzept, ist jetzt den dritten Herbst in Folge hier. Anfang Oktober spielt sie auch einige Konzerte in Deutschland.
Oft macht ihr das Unterwegssein auch Spaß, besonders, wenn sie eine Band dabei hat. Manches aber bleibt hart: »Beziehungen sind schwierig, weil ich so oft unterwegs bin.« Auch auf Sachen wie einen Garten oder einen Hund, die sie gerne hätte, muss sie verzichten. Es ist ein Preis, den sie für ihre Unabhängigkeit zahlt. Sie nimmt es mit Humor. »Auf der letzten Tour haben wir in ein paar Hotels übernachtet, die damit geworben haben, dass WLAN, Frühstück und Haustiere im Preis mit drin seien. Natürlich bedeutete das, dass Haustiere in dem Hotel erlaubt sind, aber wir haben so Witze gemacht: Wäre es nicht großartig, wenn sie Dir an der Rezeption einen Welpen zusammen mit dem Schlüssel geben würden. Wenn jemand weiß, wo es so ein Hotel gibt, dann sagt mir bitte Bescheid.«
Atlanta Athens ist Journalistin und lebt in Berlin.
Chris Pureka
kommt zum dritten Mal auf Europatour und spielt in Berlin (4.10.), Dresden (5.10.), Rees-Haldern (6.10.) und Köln (7.10.). Weitere Termine sowie Videos der queeren Singer-Songwriterin unter www.chrispureka.com.