Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de
ak bei facebook

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 575 / 21.9.2012

Teil des Problems, nicht Teil der Lösung

Organisierungsfragen Die Kampagne UmFairteilen macht Parteipolitik im schlechtesten Sinne

Von Heiko Laning

Es gibt in der linken Diskussion um Organisierung und Strategie eine seit Langem gepflegte Dichotomie zwischen den beiden Polen Partei und Bewegung. In dieser polaren Betrachtungsweise geraten intermediäre Organisationen wie etwa attac oder campact aus dem Blick, die sich vor dem Hintergrund von Bewegungspolitik etabliert haben, inzwischen aber eher als separate Lobbyorganisationen agieren, »linker Gegenlobbyismus« ist das mal in der ak-Redaktion bezeichnet worden. Als Beispiel für so einen »linken Gegenlobbyismus« hatte man in der Rombergstraße an die Kampagne UmFairteilen gedacht, als eine Form wie sich »Bewegung« auf »Partei« beziehen kann. Nun ist diese Kampagne zumindest aus Hamburger Perspektive vor allem eines: ein riesiges Ärgernis, das mit »links« wenig und mit »Bewegung« gar nichts zu tun hat. Vielmehr wird hier Politik auf eine Weise betrieben, die sich von Handlungslogiken einer Partei kaum unterscheidet.

UmFairteilen will in Gestalt eines Aktionstags am 29. September 2012 in verschiedenen deutschen Städten die ungleiche Einkommensverteilung in diesem Land und die ungerechte Steuerpolitik kritisieren. Dabei werden die Forderungen vor allem auf die Einführung einer Vermögenssteuer und einer Vermögensabgabe sowie auf die Bekämpfung der Steuerflucht und die Einführung einer Steuer auf Finanzmarktgeschäfte konzentriert. Getragen wird diese Kampagne von einem Organisationenbündnis, in dem neben attac und campact vor allem die Arbeiterwohlfahrt (AWO), der Sozialverband Deutschland (SoVD), ver.di, die DGB Jugend und der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) beteiligt sind. In Hamburg beteiligen sich darüber hinaus die Grünen und die Linkspartei an dem Bündnis.

Rot-Grün zuliebe: keine Kritik an der Schuldenbremse

Die Zielsetzung der Kampagne ist zunächst sicher löblich und nicht verkehrt. Das ist aber auch das einzig Positive an ihr. Dass sie ein großer medialer Erfolg sei, wie es etwa attac-Aktivist Pedram Shahyar im neuen deutschland (9.8.2012) behauptet, lässt sich z.B. in Hamburg überhaupt nicht bestätigen. Hier ist die Kampagne wenig mehr als ein Flurgeflüster. In einem zweiten Punkt hat Shahyar allerdings Recht, nämlich mit der inhaltlichen Nähe der Kampagne zu Rot-Grün. Dabei geht es aber weniger um rot-grüne Vereinnahmungsversuche, sondern um die aktiv gesuchte Nähe zu Rot-Grün. So wird im Hamburger Aufruf peinlichst eine Kritik an der sogenannten Schuldenbremse vermieden, die SPD und Grüne im Verbund mit der FDP erst vor kurzem und ohne jede Not in die Hamburger Verfassung hineingeschrieben haben. Der Versuch, die Schuldenbremse im Aufruf zu thematisieren, scheiterte an der Intervention der Linkspartei, die ganz erklärter Maßen die Grünen mit im Boot haben wollte.

Vermögenssteuer, Bekämpfung der Steuerflucht und Finanztransaktionssteuer - das ist heute Teil der rot-grünen Sprachakrobatik, zumal selbst die Kanzlerin über eine Finanzmarktsteuer nachdenkt. Um alles andere macht UmFairteilen einen großen Bogen: um die Absenkung des Spitzensteuersatzes in der Einkommenssteuer durch Fischer-Schröder, um die Absenkung der Kapitalertragssteuer ebenfalls durch rot-grün, um die Erhebung der Schuldenbremse in Verfassungsrang durch die Große Koalition in Berlin und rot-grün-gelb in Hamburg.

Die extreme Schieflage der öffentlichen Haushalte ist nicht das Ergebnis überbordender (Sozial-)Ausgaben, sondern das Resultat massiver Steuerentlastungen für Kapitalisten und Unternehmen und ihre gleichzeitige Entlassung aus allen Formen der paritätischen sozialen Sicherungssysteme. Über all das spricht UmFairteilen genauso wenig wie über die geplanten Ausgabendeckelungen im Hamburger Haushalt bis zum Jahr 2020 mit all ihren drastischen Konsequenzen für das soziale Hilfesystem in der Hansestadt. Die Kampagne thematisiert das genau deswegen nicht, weil es Grüne und Sozialdemokraten waren und sind, die dafür die Verantwortung tragen, die man aber heute mit im großen Bündnis haben möchte. Das gilt im Übrigen auch für die Gewerkschaften. Zumindest in Hamburg haben sozialdemokratische ver.di-Funktionäre keinerlei Probleme damit, einerseits wortgewaltig eine Vermögenssteuer zu fordern und gleichzeitig als SPD-Bürgerschaftsabgeordnete still und leise die Schuldenbremse zu beschließen oder mal eben den massiven Kürzungen z.B. in der Kinder- und Jugendhilfe zuzustimmen.

Freiwilliger Kotau vor Rot-Grün statt Vereinnahmung

Gerade in einer Stadt wie Hamburg gibt es gute Gründe, um inhaltlich genau und ausführlich über Haushaltskonsolidierung, Schuldenbremse, Sozialkürzungen bei gleichzeitigen milliardenschweren Ausgaben für die Elbphilharmonie und andere »systemrelevante« Projekte des Wirtschaftsstandorts Hamburg zu diskutieren. Und insbesondere wäre es bitter notwendig, über die Frage nach tragfähigen Protest- und Widerstandsstrukturen nachzudenken, über die Rolle von Parteien und Gewerkschaften, über die Situation in der Produktion der sozialen Dienstleistungen, in den Kitas und Pflegeeinrichtungen, in den Obdachlosenunterkünften oder bei Beschäftigungsträgern. All das passiert bei UmFairteilen nicht. Die Logik der Kampagne hat keinen Raum für inhaltliche Auseinandersetzung, sondern sucht nach dem »breiten Bündnis« und dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Folglich fallen die Aufrufe und Statements von UmFairteilen inhaltlich selbst hinter die Diskussion der Hamburger Linkspartei zurück. Was bleibt, ist nicht die Vereinnahmung durch Rot-Grün, sondern der freiwillige Kotau.

So ärgerlich die inhaltliche Dürre und der Opportunismus gegenüber Rot-Grün ist - der wirklich dramatische Punkt bei UmFairteilen ist das im Kern durch und durch antiemanzipatorische Politikverständnis, das sich hier Bahn bricht. Mitte Juli reiten externe Campaigner von campact in Hamburg ein und laden ausgewählte Organisationen bzw. OrganisationsvertrterInnen zu einem ersten Bündnistreffen ein. Dort wird die Kampagne vorgestellt und ein Hamburger Aktionstag ausgerufen. Man kann mitmachen oder auch nicht, an der aus Hamburger Perspektive am Berliner und Verdener Reißbrett entwickelten Kampagne ist nicht zu diskutieren.

Das ist umso ärgerlicher, weil aus Protest gegen die Kürzungen in der Kinder- und Jugendhilfe kurz vorher ein zartes Hamburger Bündnispflänzchen aus der Trägerlandschaft der offenen Kinder- und Jugendarbeit entstanden ist, und sich Träger und Einrichtungen aus allen Bereichen des sozialen Hilfesystems auf die massiven Kürzungen vorbereiten, die im November/Dezember in der Bürgerschaft beschlossen werden sollen. Auf diese Hamburger Situation wird genauso wenig eingegangen, wie auf die Diskussionen, wie der Protest und Widerstand gegen die Sozialkürzungen aufseiten der Betroffenen, der Beschäftigten im Sozialsektor oder der Einrichtungen und Träger entwickelt und gestärkt werden könnte. Stattdessen werden bitter benötigte Kräfte und Freiräume für die Mobilisierung zum 29. September 2012 absorbiert.

Im Folgenden wird an einem Organisationsbündnis gezimmert, das durch nichts anderes zusammengehalten wird als den Kitt des kleinsten gemeinsamen Nenners. Und selbst dieser Kitt ist im Zweifelsfall das Papier nicht wert auf dem er niedergeschrieben wird. Denn das Bündnis besteht nicht nur auf Zeit, sondern ist auch rein akklamatorisch. Natürlich werden auch parallel zur Kampagne und erst recht zukünftig GewerkschafterInnen, VerbandsvertreterInnen und andere UmfairteilerInnen mindestens als FunktionsträgerInnen von SPD und Grünen Kürzungsprogramme durchwinken, die Schuldenbremse abfeiern und sich der allgemeinen Parteiräson unterwerfen.

Im Kern besteht die Kampagne in Hamburg aus einem nichtssagenden Aufruf und aus der Orientierung auf eine Menschenkette um diverse Banken. Vorbild ist dabei wohl die Anti-AKW-Menschenkette im Frühjahr 2011, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass es damals zu den GeschäftsführerInnen der Bewegung auch tatsächlich die dazugehörige Bewegung gab. Bei UmFairteilen versuchen die GeschäftsführerInenn, sich die Bewegung zu schnitzen, und zwar nach reichlich rigiden Vorgaben. Wer mitmachen möchte, hat sich einem peniblen »wording« zu unterziehen, auf dass ja niemand von den wichtigen Bündnispartnern verschreckt werde.

Die Kampagne UmFairteilen zielt auf den medialen Effekt, nicht auf den Aufbau oder die Unterstützung notwendiger Diskussions- und Organisierungsprozesse. Die Kampagnenlogik steht solchen Selbstermächtigungsprozessen sogar entgegen, selbst dann, wenn wirklich viele Menschen am 29. September 2012 auf die Straße gehen sollten. Denn die Mobilisierten sind tatsächlich nichts anderes als instrumentalisierte Masse, die man für die Bilder und Erfolgsmeldungen braucht, die aber im Vorfeld bitte nicht in Erscheinung treten soll. Politik wird hier reduziert auf bündnistaktische Verhandlungen, auf Hinterzimmerabsprachen zwischen mehr oder weniger bedeutsamen FunktionsträgerInnen, auf Pressestatements und Medienaufmerksamkeit.

Kampagnenlogik widerspricht Selbstermächtigungsprozessen

Der politische Erfolg bemisst sich dann in den »Kontakten« zu scheinbar wichtigen Leuten, im überregionalen Fernsehauftritt, in der Erwähnung in der nicht-deutschen Presse, in der Unterstützung (durch Unterschrift) durch »namhafte Bündnispartner«. Es ist geradezu schauerlich, wie sehr und wie schnell die Politikform und Politiklogik von Parteien und politischer Klasse von den FunktionärInnen des »linken« Gegenlobbyismus übernommen werden.

In der Kampagne Umfairteilen lässt sich beispielhaft eine Dialektik von Politikform und Politikinhalt studieren, die derjenigen effizienter Parteiapparate und parteiförmiger Repräsentations- und Stellvertreterpolitik frappierend ähnelt. Mit Selbstermächtigung oder gar Bewegungsautonomie hat das hingegen nichts zu tun. Nach dem 29. September 2012, wenn in Hamburg die heiße Phase der Haushaltsberatung beginnt, wenn der SPD-Senat die Tarifentwicklung im Sozialbereich nicht mehr refinanziert und wenn die ersten Einrichtungen geschlossen werden, dann ist Umfairteilen Schnee von gestern oder man sucht sich eine neue Kampagne. Und die Betroffenen, die lohnabhängig Beschäftigten in den zunehmend prekärer werden Arbeitsverhältnissen im Sozialbereich, die Erwerbslosen, Wohnungslosen und Pflegebedürftigen, die sogenannten schwierigen Kinder und »problembelasteten Familien«, die AktivistInnen in den sozialen Basisinitiativen - sie alle stehen vor denselben Problemen wie vorher: Wie können Politik und Verwaltung unter Druck gesetzt werden? Wie können sich die Beschäftigten dagegen wehren, wenn der Spardruck an sie weitergegeben wird, wenn die sozialen Arbeitgeber Leistung verdichten und Tarifflucht begehen? Wie können Bündnisse mit denjenigen geschlossen werden, die auf die sozialen Dienstleistungen angewiesen sind? Umfairteilen hat ihnen nullkommanull Hilfestellung bei diesen Fragen geboten.

Heiko Laning lebt in Hamburg und beschäftigt sich beruflich und politisch mit dem Klassencharakter des bürgerlichen Sozialstaats.