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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 575 / 21.9.2012

Die Integrationsmaschine

Deutschland Die Initiative Kotti & Co hat Schwung in den Berliner Mietenprotest gebracht

Von Jan Ole Arps

»Gecekondu« heißt der Holzverschlag am Kottbusser Tor, in Anlehnung an die informellen, »über Nacht« errichteten Siedlungen in türkischen Städten. Ende Mai stand er plötzlich da, auf einem Stück Gehweg zwischen der Commerzbank und dem Vereinsheim von Türkiyemspor. Eine bunte Lichterkette hängt hier, Infomaterial schmückt die Wände, es gibt Tee, Kaffee, und wer will, kann unter dem Efes-Sonnenschirm auf einer Holzbank Platz nehmen. An diesem gut geführten und stets aufgeräumten Ort protestiert Kotti & Co, die Mietergemeinschaft am Kottbusser Tor, gegen steigende Mieten und Verdrängung. Hier gibt es jeden Abend Treffen, Konzerte oder Veranstaltungen, samstags startet hier die Lärmdemo der Mieterinitiative. Und heute, drei Monate nachdem es losging, mache ich endlich meine erste Schicht im Gecekondu. Davon werde ich gleich erzählen.

Das Kottbusser Tor ist eine Straßen- und U-Bahn-Kreuzung mitten in Kreuzberg. Sozialbauten Jahrgang 1978 rahmen den Platz ein und trennen ihn von den hübschen Altbauquartieren im Norden, Osten und Süden. Lange ist die Kreuzbergbegeisterung am »Kotti« vorbeigerauscht, jedenfalls an den Mietblöcken des sozialen Wohnungsbaus, doch inzwischen steigen auch hier die Mieten und zwar gewaltig. Nun protestieren die MieterInnen, unter ihnen viele türkischstämmige Familien, die dort seit 30 Jahren leben, gegen die explodierenden Kosten. Jede zweite Familie habe nach Abzug der Miete nur noch 200 Euro pro Person zum Leben, schreibt die Mietergemeinschaft Kotti & Co in einem Flugblatt. Manche hat das Jobcenter bereits aufgefordert, die »Kosten der Unterkunft« zu senken.

Das glänzende Geschäft mit den Sozialwohnungen

Wie kommt es zu den rasant steigenden Mieten im sozialen Wohnungsbau? Beim Bau von Sozialwohnungen erhalten private Bauherren Fördergelder, damit sie Wohnraum für MieterInnen mit geringen Einkommen bereitstellen. Die Lücke zwischen der »Kostenmiete«, die die Kosten der Eigentümer für Bau und Bewirtschaftung decken soll, und der Sozialmiete, die die MieterInnen zahlen, schließt die öffentliche Hand. Aufgrund einiger Besonderheiten liegt die offizielle »Kostenmiete« im sozialen Wohnungsbau Berlins bei zwölf bis 18 Euro pro Quadratmeter. Zum Vergleich: die ortsübliche Miete rund ums Kottbusser Tor beträgt fünf bis sechs Euro. Bezuschusst durch Steuergelder, waren die Sozialwohnungen also auch bisher ein glänzendes Geschäft.

Werden nun die Subventionen abgebaut, erhalten die Eigentümergesellschaften jedes Jahr etwas weniger Geld von der Stadt, dafür zahlen die MieterInnen jedes Jahr etwas mehr. Vergangenes Jahr schaffte der Senat die Mietobergrenze von 5,35 Euro kalt pro Quadratmeter in den »problematischen Großsiedlungen« ab, zu denen das Kottbusser Tor zählt.

Zudem werden aus ehemaligen Sozialwohnungen unter Umständen lukrative Immobilien in bester Lage. Für Kreuzberg gilt das ganz besonders. Berlinweit sind die Preise bei Neuvermietungen in die Höhe geschossen, im Jahr 2011 lagen sie stadtweit acht Prozent höher als 2010. Gegenüber den im Mietspiegel ausgewiesenen Bestandsmieten zahlen NeumieterInnen im Schnitt 26 Prozent mehr - doch nirgends so viel wie in Kreuzberg-Friedrichshain. Der Bezirk ist mittlerweile Berliner Spitzenreiter bei den Preisen für Neuvermietungen.

Das weiß auch die ehemals landeseigene Wohnungsbaugesellschaft GSW, die der damals rot-rote Senat 2003 privatisierte und der viele Häuser am Kottbusser Tor gehören. Die Berliner Zeitung berichtete, dass die GSW Wohnungen monatelang leer stehen lasse, während deutsche Namen an den Klingelschildern eine Belegung suggerieren. Hält der Zuzug in die attraktiven Innenstadtbezirke an, so das naheliegende Kalkül, können die Wohnungen bald noch teurer vermietet oder in Eigentumswohnungen umgewandelt werden.

Für viele MieterInnen heißt das, dass sie sich ihre Wohnungen nicht mehr leisten können, übrigens nicht nur in Berlin: Bundesweit sind im vergangenen Jahrzehnt im Schnitt 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr vom Markt verschwunden. Laut einer Studie des Pestel-Instituts aus Hannover fehlen in Deutschland derzeit etwa vier Millionen Sozialwohnungen.

Verdrängung und Rassismus

Dass in den Häusern am Kottbusser Tor vor allem Familien mit nichtdeutschen Namen betroffen sind, ist kein Zufall. Als dort vor 40 Jahren gebaut wurde, flossen neben den üblichen Subventionen Sonderförderungen des Bundes, um Wohnraum für »ausländische Arbeiter« zu schaffen. Weil ihre Löhne niedrig waren und sie auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert wurden, fanden viele ehemalige GastarbeiterInnen bezahlbaren Wohnraum nur in Kreuzberg und anderen Vierteln, die eigentlich zum Abriss vorgesehen waren.

Auf diesen Zusammenhang verweist die Mietergemeinschaft auf ihrer Webseite: »Die Menschen der Gastarbeiter-Generation haben Kreuzberg attraktiv und lebenswert gemacht. Jetzt reicht die niedrige Rente nicht mehr, um den Lebensabend im angestammten Umfeld zu genießen.« Wenn das Jobcenter ihnen vorschlägt, sich eine günstigere Wohnung in Marzahn zu suchen, ist das für viele MieterInnen ein Schlag ins Gesicht. Kotti & Co spricht bei solchen Vorschlägen von strukturellem Rassismus, weil die Erfahrungen der nichtdeutsch aussehenden MieterInnen ignoriert werden. Wer die Kreuzberger MieterInnen auf Marzahn verweise, »interessiert sich nicht für die dortigen Problemviertel und die nicht in die Einwanderungsgesellschaft integrierten Deutschen«.

Die Initiative Kotti & Co hat deshalb einen anderen Vorschlag. Sie fordert eine Mietobergrenze von 4 Euro pro Quadratmeter in den Großsiedlungen und die Kommunalisierung des sozialen Wohnungsbaus, mindestens aber die Neuberechnung der Kostenmieten und der Renditesätze. Aus ihren Einzelproblemen haben die MieterInnen vom Kottbusser Tor ein stadtpolitisches Anliegen gemacht.

Im Gecekondu wird dieses Anliegen der Öffentlichkeit präsentiert. Hier sollen die zusammenkommen, die sich für das Problem interessieren. Deshalb ist das Gecekondu rund um die Uhr besetzt, und weil die MieterInnen das nicht allein schaffen, bitten sie alle, die mit ihnen sympathisieren, um Unterstützung. Heute, am 25. August, bin ich erstmals mit von der Partie. Also wie ist es so, vier Stunden am Kotti-Gecekondu?

Wie ist es, vier Stunden am Kotti-Gecekondu?

Notiz Nummer 1: Das Sagen haben die Frauen. Als ich mit meinem Kompagnon Romin ankomme, erklärt uns Fatma, eine Frau in den 40ern (schätze ich), was wir tun müssen. Kaffee und Tee gegen Spende ausgeben, nicht beide Maschinen gleichzeitig benutzen, das macht die Stromversorgung nicht mit, und bei Fragen: fragen. Den Samowar mit dem Tee bereitet eine Bekannte von Fatma vorsichtshalber selbst vor. Den Ausschank übernehmen wir, kein Problem, andere haben es ja auch geschafft. »Samowar Samurai« könnte ich den Text ja nennen, meint Romin. Mal schauen.

Notiz Nummer 2: Außer den MieterInnen kreuzen AnwohnerInnen auf, um einen Kaffee zu trinken oder etwas von den gespendeten Brötchen abzugreifen. Dabei entstehen Gespräche, zu denen es sonst sicher nicht gekommen wäre. Mit einem Nachbarn unterhalten wir uns über linke und echte Mietenproteste, ein anderer mit grauen, langen Haaren, sein Gesicht eine unübersichtliche Mondlandschaft aus interessanten Runzeln und Kerben, erzählt, dass er gern die ruhigen Nachtschichten am Gecekondu übernimmt, weil es ihm gefällt, dem Kotti beim Aufwachen zuzusehen. Mit Ayhan, der bei Mercedes in Mariendorf arbeitet, tauschen wir uns über Fußballwetten aus - nur dass Ayhan im Gegensatz zu uns etwas davon versteht, einmal hat er sogar eine ordentliche Summe gewonnen. Und dann ist da noch das Pärchen von der anderen Seite, von dort, wo die Junkies sich treffen. Sie sind beide etwas durch den Wind, stolpern durchs Infozelt und freuen sich über die Rosinenbrote und den Kaffee. »Lichtenberg ist jetzt auch schon 20 Jahre her, kaum zu fassen, oder?«, startet er einen Gesprächsversuch. »Du meinst Rostock-Lichtenhagen?« »Ja, genau.« Beim Abschied bedanken sie sich überschwänglich für die Gastfreundschaft. Und damit treffen sie den Nagel auf den Kopf. Das Kotticamp ist ein gastfreundlicher Ort, die Nachbarn sind hier ebenso willkommen wie die TouristInnen, die StudentInnen ebenso wie die Junkies. Das Gecekondu ist eine Integrationsmaschine.

PolitikerInnen wie der Staatssekretär für Stadtentwicklung Ephraim Gothe äußern gelegentlich, das Kottbusser Tor brauche mehr »Durchmischung«. So bringen sie die BewohnerInnen erst recht gegen sich auf, die sich fragen, ob reiche Stadtteile wie Dahlem oder Zehlendorf nicht auch etwas »Durchmischung« vertragen könnten. Auf ihrer Webseite schreibt die Initiative: »Unsere Erfahrung mit Entrechtung und Reglementierung in dieser Gesellschaft ist lang. Wir haben jedoch Kreuzberg zu unserem Zuhause gemacht. Und haben alle neu Zugezogenen, wie die Hausbesetzer_innen und die alternative Szene in den 1980ern, (...) die Künstlerinnen und Studenten der letzten Jahre integriert. Wir sind stolz auf diese Mischung, denn wir haben Kreuzberg erst attraktiv gemacht.«

Deshalb fordern sie alle auf, sich an ihrem Protest zu beteiligen. KünstlerInnen sollen Veranstaltungen am Gecekondu machen, neu Zugezogene und TouristInnen sollen Kinderkreide und Kuchen vorbeibringen oder eine Nachtschicht übernehmen. Und sie suchen den Kontakt zu anderen Protestinitiativen, etwa den SeniorInnen, die ihren von Schließung bedrohten Treff in der Stillen Straße in Pankow besetzt haben, oder zu der Rollstuhlfahrerin Nuriye Cengiz, die gegen die drohende Räumung aus ihrer Wohnung protestiert. Oft führt sie die samstägliche Lärmdemonstration an, dahinter laufen die Frauen vom Kottbusser Tor mit ihrem Transparent, ihre Familien, AnwohnerInnen und UnterstützerInnen, mittlerweile ist sogar die Mädchenmannschaft von Türkiyemspor dabei, »Kick it like Kotti« steht auf ihrem Schild. Auch linke UnterstützerInnen sind willkommen, aber die Initiative fordert von ihnen, Respekt für das Anliegen der MieterInnen zu zeigen. Sie wollen nicht, dass andere das Bild ihres Protestes dominieren.

Wie kann Kotti & Co den Druck erhöhen?

Mit ihrem Kampf hat die Initiative die Frage nach den Bedingungen des Wohnens und Zusammenlebens in der Migrationsgesellschaft der Stadt auf die Tagesordnung gesetzt, wie es Berliner WissenschaftlerInnen in einer Erklärung formulieren. Mittlerweile hat Kotti & Co erste Erfolge vorzuweisen. Die Gesellschaften GSW und Hermes überprüfen die Betriebskostenabrechnungen; einige Nachzahlungen werden deutlich niedriger ausfallen als bisher. Mit ihrer Forderung nach einer Mietobergrenze beißt Kotti & Co aber bislang auf Granit. Für die Initiative stellt sich daher die Frage, wie sie den Druck erhöhen kann - zumal das Gecekondu im Winter auf harte Zeiten zusteuert.

Mir fällt ein, was ein Freund aus Barcelona kürzlich erzählte. In Spanien wohnen nur wenige Leute zur Miete, die meisten haben Kredite für Wohneigentum aufgenommen. Durch die Krise können viele Menschen ihre Darlehen nicht zurückzahlen, nun klagen die Banken sie aus den Wohnungen. Zwangsräumungen sind ein Massenphänomen geworden, doch der Widerstand dagegen breitet sich ebenfalls aus. (siehe ak 571) Die Freunde aus Barcelona unterstützen den Protest, indem sie riesige Porträts der Betroffenen gemeinsam mit den Porträtierten an die Schaufenster der Banken plakatieren. So geben sie den Fällen ein Gesicht und üben Druck auf die Banken aus.

Könnte man das nicht auch fürs Kotti adaptieren? Mit Porträts der MieterInnen zum Beispiel zu den Wohnungsbaugesellschaften ziehen? »Warum nicht«, meint Ulrike von der Mieterinitiative, »aber wir haben alle so viel zu tun, wir können keine weitere Aktion planen. Such dir doch ein paar Leute und nimm es selbst in die Hand.« Puh. Zeit habe ich eigentlich keine, andererseits würde es sicher Spaß machen. Aber ganz egal, ob was daraus wird: Kotti & Co hat mich in den Mietenprotest integriert.

Kotti & Co im Netz: http://kottiundco.net