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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 576 / 19.10.2012

Aufgeblättert

Frau an der Front

Im Frühjahr 1944 wird Klausenburg in Siebenbürgen von deutschen Truppen besetzt. Alaine Polcz ist eine fröhliche, junge Frau, frisch verheiratet mit ihrer Jugendliebe Janos. Sie unterstützt jüdische Bekannte, denen die Deportation droht. Als die Front nahe rückt, flüchtet sie mit ihrem Ehemann in das Schloss der Esterhazys, das unter dem Schutz des schweizerischen Roten Kreuzes steht. Von der Roten Armee wird Janos verhaftet, und wie die meisten Frauen wird auch Alaine Polcz vergewaltigt. »Mit Beischlaf oder Sexualität hatte das nichts zu tun. Es hatte mit nichts zu tun. Es war einfach - jetzt wo ich es niederschreibe, begreife ich, wie genau das Wort ist -, es war Gewalt.« Das Eingeschlossensein zwischen den Fronten, das permanente Hin und Her der Armeen, Schmutz, Hunger, Todesangst, die Ungewissheit sind kräftezehrend, ohne Ausweg. Bemerkenswert ist der Ton, in dem Alaine Polcz das vermeintlich Unaussprechliche in Worte fasst. Später kehrt sie nach Klausenburg zu ihrer Familie zurück, entkräftet und sterbenskrank. Sie erzählt vom Dreck, den Läusen, den Vergewaltigungen. Die Mutter bittet sie, keine solch grässlichen Witze zu machen. Alaine Polcz nimmt sich das zu Herzen und schweigt, das Thema der Vergewaltigungen durch die Rote Armee bleibt auch ein gesellschaftliches Tabu. Erst jetzt wurde das 1991 erschienene Buch auch ins Deutsche übersetzt. Eine posthume Würdigung: Alaine Polcz verstarb bereits 2007.

Raphaela Kula

Alaine Polcz: Frau an der Front. Ein Bericht. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 231 Seiten, 22,95 EUR.

Ägypter in Israel

Der ägyptische Schriftsteller Ali Salem (geboren 1936) reist 1994 nach Israel. Unterwegs ist er in einem grünen Lada, mitten im »Frieden«, der doch nur eine Koexistenz ist, in der es kaum persönliche Kontakte gibt. Das verheißt eine höchst interessante Story. Führte doch die Reise - gemeint als ein kleiner Schritt aus dem Teufelskreis der Ignoranz, als ein Symbol der Offenheit - zum Ausschluss Ali Salems aus dem ägyptischen Schriftstellerverband. Dabei wollte sich Salem einfach nur mit eigenen Augen einen Eindruck von dem in Ägypten dämonisierten Nachbarn Israel verschaffen. Ihn dabei zu begleiten ist interessant, aufschlussreich und über weite Teile des Buches auch höchst unterhaltsam. Salems Blick auf Israel ist geprägt von einer Mischung aus Unsicherheit, Erstaunen und Naivität. Seine etwas ängstliche Suche resultiert immer wieder in der unerwarteten Entdeckung schlichter Normalität und nicht selten auch Herzlichkeit. Im Fortgang des Textes tritt die Handlung - Salems Beobachtungen und Erlebnisse in Israel - leider immer mehr zurück; längere allgemeine Betrachtungen zu diesem und jenem dominieren den weiteren Text. Auf viele der dort verabreichten Eitelkeiten und »Weisheiten« kann man getrost verzichten, z.B.: »Nichts auf der Welt ist heiliger als politische und ökonomische Freiheit« oder: »Die Menschheit ohne Staat ist unvorstellbar.« An solchen Stellen empfiehlt es sich, etwas schneller zu lesen.

Peter Ullrich

Ali Salem: Ein Ägypter zu Besuch. Eine Reise nach Israel. AphorismA Verlagsbuchhandlung, Berlin 2012. 192 Seiten, 15 EUR.

Antikriegspolitik

Kriegerische Interventionen gehören längst wieder zum deutschen Strategienrepertoire. Horst Köhler legitimierte sie 2010 unverhohlen mit wirtschaftlichen Interessen, Til Schweiger gewöhnt in »Schutzengel« mit allen kulturindustriellen Registern daran - samt Vorpremiere bei der Truppe -, und im Tunis-Teheran-Blog der Jungle World wird die (angebliche) militärische Zurückhaltung des Westens in Syrien als »Bankrotterklärung« abgetan. Der ideologischen Verbrämung und Kriegsbegeisterung in allen Lagern begegnet der vorliegende Band durch Aufdecken der ökonomischen und geopolitischen Interessen. Den Auftakt bildet eine Einführung in aktualisierte Imperialismustheorien, die die sechs Beiträge zu spezifischen kriegspolitischen Themen theoretisch fundiert und einordnet. Diese behandeln je die Konfliktzonen Iran, Hindukusch und Israel/Palästina, das Verhältnis US-amerikanischer und europäischer Kriegspolitik, die Doppelmoral der Partei DIE LINKE im Umgang mit UNO-Blauhelmeinsätzen sowie das neue, offensive öffentliche Auftreten der Bundeswehr. Alle Beiträge sind fundiert recherchiert und mit Fakten untermauert. Der erste Essay verbleibt jedoch leider zu sehr Literaturübersicht. Um über Antikriegspolitik effektiv zu informieren, wäre angesichts der Massivität der Affirmation der Kriegsrhetorik darüber hinaus noch eine Analyse der psycho-sozialen Grundlagen der um sich greifenden Kriegsbegeisterung begrüßenswert gewesen.

André Krebber

Linksjugend ['solid] Hamburg (Hg.): Mit Kapitalismus ist kein Frieden zu machen. PapyRossa Verlag, Köln 2012. 136 Seiten, 10 EUR.

Diskriminierung

Während der Vorwurf der Gewalttätigkeit von MuslimInnen einmal mehr durch die Medien wütet, wird das Unliebsame großzügig ausgeklammert. Nicht so in Zülfukar Çetins Studie »Homophobie und Islamophobie. Intersektionale Diskriminierungen am Beispiel binationaler schwuler Paare in Berlin«. Es sind die hartnäckigen Projektionen auf den Islam als dem angeblichen Ursprung homophober Gewalt, die Çetin nach Berlin führen, um nach den Biographien und Erfahrungen binationaler schwuler Paare mit homophober und rassistischer Diskriminierung zu fragen. Für seine Untersuchung hat Çetin insgesamt 15 schwule Männer interviewt, vor allem muslimische bzw. als muslimisch angesehene Männer, sowie deren deutsche Partner. So gelingt es ihm, die Mehrfachdiskriminierung von »Muslimen« und Homosexuellen in Berlin nachzuweisen. Dies bettet er wiederum gründlich in den gesellschaftlichen Kontext ein, wodurch ebenfalls Klassismus und Staatsbürgerschaft in den Blick geraten. Bereichernd ist die Studie auch deswegen, weil sie die subjektiven Wahrnehmungen der Interviewpartner und deren Umgang mit Erfahrungen von intersektionalen Diskriminierungen ausführlich darlegt. Dadurch bietet die Studie nicht nur Anlass, sondern mögliche Ansatzpunkte für politische Interventionen, die die Tätigkeitsfelder von homosexuellen Bewegungen, Antidiskriminierungsarbeit oder antirassistischen Bewegungen in Deutschland überschreiten müssen.

Sabrina Apicella

Zülfukar Çetin: Homophobie und Islamophobie. Intersektionale Diskriminierungen am Beispiel binationaler schwuler Paare in Berlin. Transcript Verlag, Bielefeld 2012. 422 Seiten, 32,80 EUR.