»Nachts schlafen wir nicht«
Gender Wie Mitt Romney AbtreibungsbefürworterInnen in Kenia das Fürchten lehrt
Von Charlott Schönwetter
Am 6. November 2012 entscheiden die US-amerikanischen WählerInnen wieder über einen neuen Präsidenten. Für die Demokraten gehen Barack Obama und sein Vize Joe Biden an den Start, ihnen entgegen stellen sich Mitt Romney und als Vize Paul Ryan. Natürlich gibt es auch andere KanidatInnen, aber diese werden für das Endergebnis keine Rolle spielen. Die einzigen Frauen stellt übrigens die Green Party mit Jill Stein und Cheri Honkala auf. Die Wahl wird entscheidende Weichen für eine Reihe von politischen Entscheidungen stellen, selbst wenn diese je nach Zusammensetzung des Repräsentantenhauses auch geblockt werden können.
Eine Thematik, die in den letzten Monaten des anhaltenden Wahlkampfes weit nach vorne auf die Agenda rückte, waren reproduktive Rechte und insbesondere die Debatte um Abtreibungen. Gerade in diesem Punkt stehen sich Obama und Romney nahezu diametral gegenüber, so dass das Thema auch zur Abgrenzung genutzt wurde. Darüber hinaus lässt es sich sehr gut emotional besetzen. Die Demokratische Partei empfand das Thema als so wichtig, dass es Teil von TV-Werbespots wurde. Auch auf dem Parteitag der Demokraten bezog sich ein Großteil der SprecherInnen entweder positiv auf Obamas Pro-choice-Standpunkt oder schimpfte auf Romneys Anti-choice-Argumente.
Liberale Medien sprechen von einem »War on Women«
In den liberaleren Medien werden bereits seit einiger Zeit die anhaltenden Maßnahmen, die die Rechte von schwangeren Personen einschränken und die allgemein den Zugang zu Verhütungsmitteln erschweren, als »War on Women« zusammengefasst. Es gibt kaum einen Artikel über reproduktive Rechte, in dem der Begriff nicht vorkommt oder mindestens als Stichwort zur Beschreibung genutzt wird.
Dabei wird oft nicht beachtet, dass die Bezeichnung »War on Women« zu kurz greift: Eigentlich werden nicht ausschließlich Rechte von Frauen angegriffen, sondern von allen Personen, die nicht cis-männlich sind. (1) Darüber hinaus überdeckt die Formel, dass verschiedene Menschen je nach »race« und Klassenzugehörigkeit unterschiedlich stark davon betroffen sind. Fest steht aber, dass der Begriff den systematischen Angriff auf die Rechte bestimmter Menschen in Worte fasst.
In den letzten Jahren wurden in einigen US-Bundesstaaten restriktive Gesetze zu Abtreibungen erlassen oder zumindest angestrebt. Seit die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus haben, arbeiten sie an Gesetzen, die die Rechte von schwangeren Personen auf Abtreibung einschränken sollen, oder stürzen sich auf Planned Parenthood und versuchen, deren Finanzierung unmöglich zu machen. Die Organisation berät und hilft nicht nur bei Abtreibungen, sondern ist für einige Personen die einzige erschwingliche Anlaufstelle für medizinische Versorgung und Verhütungsmittel.
Auch Mitt Romney verfolgt diesen Weg. Auch wenn seine Aussagen zum Recht auf Abtreibung im Verlauf der Zeit sehr schwankten, lehnt er dieses heute eindeutig ab. Romney fordert eine Revision des Urteils Roe vs. Wade, welches die Grundlage für Abtreibungsrechte in den USA ist. (2) Er befürwortet außerdem, dass Planned Parenthood keine nationale Unterstützung mehr bekommen soll.
Nur als der Republikaner Todd Akin mit seiner These von »legitimen Vergewaltigungen« in die Schlagzeilen kam, versuchten Romney und sein Vizekandidat Ryan sich davon zu distanzieren. Akin hatte behauptet, dass Frauen, die wirklich vergewaltigt wurden, eigentlich nicht schwanger werden könnten - und darum auch keinen Ausnahmefall darstellten, in dem Abtreibungen zuzulassen seien.
Die Demokraten hingegen nutzten die Chance, um die ganze Schwere der Einschränkungen von Abtreibungsrechten deutlich zu machen. Obama grenzte sich immer wieder von Romney ab und betonte, dass er Abtreibungsrechte unterstützt. Nach dem demokratischen Parteitag schien diese Strategie auch erst einmal aufzugehen. In einer Umfrage gaben 48 Prozent der befragten Personen an, dass sie mit Obamas Ansichten zu Abtreibung übereinstimmten, wohingegen 35 Prozent sich in diesem Thema eher von Romney vertreten sahen. Allerdings wurden diese Zahlen auch knapp nach den Auftritten von Akin ermittelt.
Die US-Abtreibungspolitik hat weltweit Folgen
Wie auch immer sich die WählerInnen im November entscheiden: Dies wird nicht nur auf den Zugang von US-AmerikanerInnen zu reproduktiver Medizin Einfluss haben. Betroffene Personen wird es an vielen Orten auf der Welt geben, so z.B. auch in Kenia.
Dort steht Rosemary Onyando-Muganda, stellvertretende Leiterin der kenianischen Abteilung der PATH Global Health Organisation, im Raum und blickt auf die anwesenden JournalistInnen. Sie hält in ihrem engagierten Vortrag inne, um auf eine Frage zu antworten. Onyando-Muganda blickt besorgt. Die Frage: Wie sie die mögliche Wahl von Mitt Romney zum US-Präsidenten sieht. »Oh ja, nachts schlafen wir nicht«, kommentiert sie nach einer kurzen Pause.
Ähnliche Antworten bekomme ich von fast allen Personen zu hören, die im Sektor für reproduktive Gesundheit in Kenia arbeiten - ob in Nairobi, Kisumu, der drittgrößten Stadt Kenias, welche am Victoriasee liegt, oder in den ländlicheren Gebieten der Provinz Laikipia. Sie alle artikulieren ähnliche Gefühle, oftmals gefolgt von einem Kopfschütteln und dem Satz: »Darüber versuche ich jetzt gar nicht nachzudenken.«
Grund dafür ist die - berechtigte - Angst, Romney könnte nach einem Sieg die sogenannte »Global Gag Rule« wieder implementieren. Hinter diesem Namen, den die Richtlinie von ihren GegnerInnen verpasst bekommen hat und der so viel wie »globaler Maulkorberlass« bedeutet, verbirgt sich die »Mexico City Policy«. Diese wurde im Jahr 1984 von dem damaligen republikanischen US-Präsidenten Ronald Reagan verabschiedet. Sie besagt, dass keine finanziellen Mittel der US-Regierung an Organisationen fließen dürfen, die sichere Schwangerschaftsabbrüche als Option der Familienplanung unterstützen. Unterstützung bedeutet in diesem Fall alles von der tatsächlichen Durchführung der Abtreibungen über Beratung von betroffenen Personen bis hin zu Lobbyarbeit bei Regierungen.
Der Erlass besagt also ganz konkret, dass selbst eine Organisation, die unterschiedliche Aufgaben wahrnimmt, von denen nur eine etwas mit Abtreibungen zu tun hat, keine US-amerikanische staatliche Unterstützung erhalten kann. Offiziell machte der Erlass eine Ausnahme bei Schwangerschaftsabbrüchen im Fall von Vergewaltigung, Inzest oder Gefahr für das Leben der Schwangeren. Doch in der Praxis macht dies kaum einen Unterschied. Seit der erstmaligen Verabschiedung der »Mexico City Policy« ist sie Streitpunkt zwischen Demokraten und Republikanern. Unter Clinton und jetzt wieder unter Obama wurde die Regel außer Kraft gesetzt.
Das Gesundheitssystem Kenias ist sehr abhängig von ausländischen Geldern, öfters wird von einer NGO-isierung des Gesundheitssystems gesprochen. Einer der einflussreichsten Spender ist dabei USAID, die United States Agency for International Development. Viele Einrichtungen in Kenia sind von ihrer Unterstützungen abhängig. Selbst in staatlichen Krankenhäusern finanziert der kenianische Staat nur minimale Infrastruktur. Das Budget umfasst meist nur die Gehälter der Angestellten sowie Raum- und Stromkosten. Für Medikamente, Geräte und andere Verbrauchsmaterialien müssen über andere Wege Gelder eingeworben oder beispielsweise über Gebühren eingenommen werden. Das führt dazu, dass die Prioritäten nicht nach dem Bedarf, sondern entsprechend den oftmals zweckgebundenen Geldern gesetzt werden. Dr. Kayla Laserson, Leiterin der KEMRI/CDC Field Research Station (3), stellt daher resigniert fest: »Einige Dinge haben einfach mehr Finanzierung als andere.«
Abtreibungen gehören dabei mit Sicherheit nicht zu den hoch priorisierten Themen. Und das, obwohl hier - wie überall auf der Welt - der verhinderte Zugang zu sicheren Abtreibungen in der Realität nicht heißt, dass Menschen keine Abtreibungen vornehmen, sondern dass sie unsichere Methoden dafür verwenden. In einem Gesundheitszentrum in Laikipia fragen wir eine Gruppe von vier Frauen, ob sie Freundinnen haben, die infolge illegaler Schwangerschaftsabbrüche gestorben sind. Drei von ihnen müssen die Frage bejahen. Eine Studie des Center of Reproductive Rights aus dem Jahr 2010, welche sich mit Abtreibungen in Kenia auseinandersetzt, besagt, dass 30 bis 40 Prozent der Todesfälle während einer Schwangerschaft auf unsichere Abtreibungen zurückzuführen sind.
Seit 2010 hat sich in Kenia zumindest die rechtliche Lage grundlegend geändert. In der neuen Verfassung ist Abtreibung als ein Recht festgeschrieben, und die Umstände werden viel weiter gefasst als zuvor. Vor 2010 waren Abtreibungen legal fast unmöglich. So wurde - obwohl Abtreibungen sowieso nur im Fall des drohendes Todes der Schwangeren gestattet waren - u.a. das Gutachten eineR PsychiaterIn gefordert, von denen es im gesamten Land nur sehr wenige gibt.
Eigentlich sind in Kenia seit 2010 Abtreibungen legal
Die aktuelle Verfassung hingegen erlaubt Schwangerschaftsabbrüche, insofern mindestens einE »skilled health worker« (z.B. ÄrztInnen, KrankenpflegerInnen, Hebammen usw.) bestätigt, dass das Leben oder die Gesundheit (und hier beginnt die Grauzone) der Schwangeren in Gefahr ist. Fast wäre der Prozess um die Verfassung an diesem Aspekt gescheitert. Auch in Kenia hatte die Debatte um Abtreibungsrechte viel Raum eingenommen - und dies nicht nur mit kenianischen AkteurInnen. Vor allem US-amerikanische christlich-fundamentalistische Gruppen versuchten ihren Einfluss geltend zu machen.
Während also zuletzt die »Global Gag Rule« unter George W. Bush in Kraft war, waren Abtreibungen sogar noch weitestgehend illegal, und trotzdem gab es bereits da Komplikationen. Onyando-Muganda erklärt, dass in dieser Zeit viele Kliniken geschlossen wurden. Auch wurde der Zugang zu Verhütungsmitteln erschwert. Es war nicht immer klar, was nun genau unter die Regel fiel, woraufhin viele Organisationen ihre Dienstleistungen stark einschränkten, um nicht Gefahr zu laufen, ihre Finanzierung zu verlieren. Caroline Nyandat vom »Kisumu Medical and Education Trust« (K-MET) bestätigt, dass während der Gag Rule zum einen die ungeplanten Schwangerschaften zunahmen und proportional dazu auch die Zahl der Menschen, die unsichere Abtreibungen vornahmen.
Doch selbst wenn Obama die Wahl gewinnt, heißt das nicht, dass es finanzielle Unterstützung für sichere Abtreibungen geben wird. Sam Owoko, ebenfalls vom K-MET, weist darauf hin, dass in der aktuellen Legislaturperiode zwar Gelder an Organisationen wie die seine fließen, diese aber explizit nicht für Dinge benutzt werden dürfen, die irgendetwas mit Abtreibungen zu tun haben. In der Praxis heißt dies: Ein Kittel, der mit US-Regierungsgeldern finanziert wurde, darf getragen werden, wenn die Patientin Malariamedikamente bekommt, nicht aber, wenn sie sich zum Schwangerschaftsabbruch beraten lässt.
Charlott Schönwetter ist feministische Bloggerin, u.a. bei der Mädchenmannschaft und Femgeeks.
Anmerkungen:
1) Als cis-männlich wird eine Person bezeichnet, deren bei Geburt zugewiesenes Geschlecht (männlich) mit der eigenen Geschlechtsidentität übereinstimmt. Cisgender ist somit das Gegenteil von Transgender.
2) Das Urteil Roe vs. Wade bezeichnet ein Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs der USA vom 22. Januar 1973, mit dem Abtreibungen unter das Recht auf Privatsphäre gestellt wurden. Es besagt, dass schwangere Personen bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Fötus lebensfähig ist, abtreiben dürfen, ohne dass eine Unterscheidung zwischen Gründen gemacht wird. Für den Zeitraum nach den ersten drei Monaten der Schwangerschaft darf der Staat das Verfahren regulieren, aber nicht verbieten. Erst nach der 24. Woche darf der Staat Abtreibungen verbieten bzw. stärker regulieren.
3) Kenya Medical Research Institute/Centers for Disease Control and Prevention.