Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de
ak bei facebook

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 576 / 19.10.2012

Farbenblindheit ist auch keine Lösung

Diskussion Critical Whiteness ist ein sinnvolles Werkzeug zur Rassismuskritik

Von Artur Dugalski, Carolina Lara und Malik Hamsa

Die Debatte um »Whiteness« (Weißsein) wird in der deutschsprachigen Linken bereits seit einigen Jahren geführt. Spätestens seit den Vorkommnissen auf dem diesjährigen No Border Camp in Köln hat sich die Auseinandersetzung um diese kritische Analysekategorie intensiviert, und es kursiert eine Vielzahl von Stellungnahmen, Artikeln und Positionspapieren. (1)

Dabei gerät häufig aus dem Blick, dass es sich bei Whiteness-Konzepten keineswegs nur um den neuesten Schrei linker Theoriezirkel handelt. Im Gegenteil kann die Beschäftigung mit Whiteness auf eine lange emanzipatorische Tradition (vor allem in den USA) und ein umfangreiches schwarzes/of Color Wissensarchiv zurückgreifen, das über Jahrhunderte in sozialen Kämpfen von Menschen und Gruppen erstritten wurde, die mit der Zuschreibung konfrontiert waren, nicht weiß zu sein. (2) Diese Menschen eint eine gemeinsame historische und gegenwärtige Unterdrückungserfahrung, auch wenn diese in vielen Variationen auftritt und unterschiedlich erlebt wird. (3)

Praktiken von Diskriminierung und Ausbeutung bilden nicht nur die Grundlage für dieses kollektive Erleben, sondern sind gleichzeitig auch Ursache für eine historisch gewachsene Privilegierung weißer Menschen. Für den hiesigen Kontext bedeutet das beispielsweise, dass auf dem Rücken sogenannter »Fremd-« und »GastarbeiterInnen« bereits seit dem späten 19. Jahrhundert Millionen weiße Deutsche sozial und ökonomisch aufsteigen konnten.

Der vor dem Hintergrund dieser Geschichte(n) entwickelte Whiteness-Ansatz trägt dazu bei, Rassismus nicht weiter nur als ein Problem rassistisch Diskriminierter zu behandeln, sondern als etwas, an dem alle beteiligt sind. Er stellt diejenigen in den Fokus, die von rassistischen Strukturen - gewollt oder ungewollt - profitieren, und macht die Mechanismen untersuchbar, die zu deren Privilegierung führen.

Mit dem Ziel rassistische Hierarchien sichtbar zu machen, kommt der Whiteness-Ansatz nicht umhin, Menschen und Gruppen entsprechend ihrer Position im Kontext von Rassismus - und nicht im Sinne biologistischer Zuschreibungen - als weiß bzw. schwarz/of Color/ ... zu betrachten.

Hier setzt eine häufig vorgebrachte Kritik an, nach der die so vorgenommene Grenzziehung rassistische Klassifizierungen restabilisieren würde. In der Tat ergibt sich ein grundsätzliches Dilemma in einer Verwendung der Begriffe, da sie zwangsläufig auf rassistische Konstruktionen zurückgreifen muss, wenn über reale Machtdifferenzen gesprochen werden soll, die aus diesen Konstruktionen erwachsen. (4)

Diese Problematik ist wohlbekannt und ähnlich auch in feministischen, antipatriarchalen Kontexten beispielsweise im Sprechen über »Männer« und »Frauen« breit diskutiert worden. Das Dilemma lässt sich nicht vollständig auflösen und weist auf die Notwendigkeit hin, stets auch die historische und soziale Wandelbarkeit rassistischer Kategorien wie »weiß« und »schwarz« in den Blick zu nehmen, wenn verhindert werden soll, dass der Whiteness-Ansatz zum Instrument essenzialistischer Identitätspolitiken wird. (5)

Darüber hinaus darf eine antirassistische Politik nicht das Ziel aus den Augen verlieren, letztlich die Kategorie »race« ideologisch und praktisch ganz zum Verschwinden zu bringen. Doch gerade zur Erreichung dieses Ziels stellt Whiteness als Analysekategorie ein wichtiges Werkzeug dar, weil sie nicht der Vorstellung verfällt, »race« dadurch zum Verschwinden zu bringen, dass mensch im (politischen) Alltag handelt, als sei diese Kategorie bereits aufgelöst. Das Gegenteil ist der Fall.

So schreibt Eske Wollrad: »Ein ausschließlich dekonstruktivistischer Impetus ist in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation politisch reaktionär, denn er kann mit dem Verweis auf den fiktionalen Charakter von Weißsein die Tatsache einfach umgehen, dass auch Fiktionen reale Effekte haben und Weißsein den Besitz von gewissen Privilegien und deren Inanspruchnahme Machtausübung bedeutet.« (6)

Entsprechend sollten rassismuskritische weiße AktivistInnen sich nicht »als Weiße diffamiert« fühlen, sondern aushalten, wenn ihre gesellschaftliche Positionierung benannt wird. Daraus können sich neben emanzipatorischen Handlungsmöglichkeiten auch politische Forderungen ergeben sowie Forderungen nach Zurückhaltung und Zuhören, die oft die ersten Schritte eines solidarischen politischen Miteinanders sind.

Das Ganze sollte keinesfalls darauf hinauslaufen, dass Weiße in der politischen Arbeit zu Rassismus mundtot gemacht werden, wie häufig polemisiert wird. Form und Inhalte antirassistischer Arbeit sollten jedoch zunächst von den Menschen formuliert werden, die negativ von Rassismus betroffen sind, ohne eine homogene Masse konstruieren zu wollen. Denn die Stimme von People of Color gibt es nicht.

Die Rolle weißer AktivistInnen kann hier darin bestehen, als Verbündete die Kämpfe von MigrantInnen, Schwarzen, People of Color, Geflüchteten usw. zu unterstützen - das kann auch bedeuten, sich aktiv mit eigenen Privilegien auseinander zu setzen. Denn auch linke Räume sind nicht frei von Rassismus und Dominanzstrukturen - hier kann die Beschäftigung mit Whiteness Reflexionsprozesse entscheidend voranbringen.

Die Art und Weise, wie einige AktivistInnen of Color sich auf dem No Border Camp in Köln auf Whiteness bezogen und welche Konsequenzen sie daraus gezogen und eingefordert haben, hat viel Widerspruch hervorgerufen. Von solidarischer Kritik bis hin zu beleidigenden Abwehrreflexen ist dies oft fälschlicherweise synonym mit dem Konzept von Whiteness als solchem diskutiert worden. Der »Skandal von Köln« wurde zum Anlass genommen, das Whiteness-Konzept entweder als autoritäres Machtinstrument abzutun oder als Werkzeug des Empowerment zu begrüßen.

Es ist jedoch von entscheidender Bedeutung zu erkennen, dass es nicht die eine Auslegung dessen gibt, was aus Überlegungen zu Whiteness für die politische Arbeit folgen muss. Gerade deshalb darf die Linke eine undogmatische, kritische Auseinandersetzung mit Weißsein und dem Konzept Whiteness nicht aufgeben. Sie muss sich auf ihre Tradition der Selbstkritik besinnen - nicht zuletzt dort, wo weiße Privilegien sichtbar gemacht und angegriffen werden.

Die AutorInnen leben in Berlin und Hamburg und arbeiten in verschiedenen politischen Kontexten zu den Themen Rassismus, Weißsein und Antisemitismus.

Anmerkungen:

1) Siehe z.B. den Artikel vom 19.8.2012 auf linksunten.indymedia.org.

2) Bei der Verwendung der Begriffe »weiß« und »schwarz« wird hier nicht essenzialistisch von biologischen Entitäten (Hautfarbe usw.) ausgegangen. Wir verstehen die Begriffe als soziale Konstruktionen und verwenden sie hier zur Sichtbarmachung von Herrschaftsverhältnissen.

3) Keine Person ist nur weiß oder schwarz/of color/.... Soziale (De-)Privilegierung verläuft immer auch gleichzeitig entlang anderer Kategorien wie »Klasse«, »Geschlecht« usw. Vgl. Kiên Nghi Hà, Nicole Lauré al-Samarai und Sheila Mysorekar (Hg.): re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland. Unrast-Verlag 2007, S. 12.

4) Vgl. Ursula Wachendorfer: Weiß-Sein in Deutschland. Zur Unsichtbarkeit einer herrschenden Normalität. In: Susan Arndt, Heiko Thierl und Ralf Walther (Hg.): Afrikabilder. Studien zu Rassismus in Deutschland, Unrast-Verlag 2001, S. 87ff.

5) Vgl. Eske Wollrad: Weißsein im Widerspruch. Feministische Perspektiven auf Rassismus, Kultur und Religion. Ulrike Helmer Verlag 2005, S. 73ff.

6) Ebd., S. 19.