Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de
ak bei facebook

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 576 / 19.10.2012

Geplatzte Träume

International Angesichts von Obamas Migrationspolitik überdenkt die Bewegung für die Rechte der MigrantInnen ihre Strategie

Dass er die Einwanderungsreform nicht wie versprochen umgesetzt habe, sei sein größter Fehler, so Obama kürzlich bei einer Veranstaltung an der Universität Miami: »Ich habe nicht alles geschafft, was ich mir vorgenommen hatte, deshalb kandidiere ich für eine zweite Amtszeit«. (1) Diese Einsicht kommt für MigrantInnen in den USA spät. Viele von ihnen unterstützten Obama 2008, da sie sich nach Jahren harter Auseinandersetzungen endlich die lang ersehnte Liberalisierung und Neuregelung der Migrationspolitik erhofften, darunter eine umfassende Legalisierung der undokumentierten EinwanderInnen, die in den USA leben. Diese Erwartungen wurden bitter enttäuscht. Nicht nur blieben die erwünschten Reformen aus. Vielmehr setzte Obama die Linie Bush in Fragen der Einwanderung fort, und die Zahl der Abschiebungen kletterte unter seiner Regierung sogar auf einen neuen Höchststand.

Eine grundlegende Neuregelung vermissen unterdessen auch EinwanderungsgegnerInnen. Vielen der rechten Hardliner geht die Politik der Regierung Obama nicht weit genug. Sie verlagerten daher die Durchsetzung ihrer politischen Agenda auf die Ebene der konservativ regierten Staaten, wo in den vergangenen drei Jahren Hunderte von einwanderungspolitischen Gesetzesinitiativen vorgelegt wurden - einerseits, um dort Fakten zu schaffen, andererseits, um gegen die angebliche Untätigkeit Washingtons zu protestieren.

Den Anfang machte 2010 Arizona. Der Grenzanrainerstaat im Südwesten der USA ist seit der Verschiebung der Immigrationsrouten nach Osten zentraler Schauplatz der klandestinen Einwanderung. Rechtskonservative betreiben dort seit Jahren eine aggressive Lobbypolitik und geben ImmigrantInnen die Verantwortung für die Krise der öffentlichen Haushalte, angeblich zu hohe Sozialabgaben, überfüllte Schulklassen und Krankenhäuser. Dahinter verbirgt sich ein meist unverhohlener Rassismus, der sich insbesondere gegen Latinos und Latinas richtet. Vor allem seitdem die Wirtschaftskrise seit 2008 viele US-AmerikanerInnen wirtschaftlich in Bedrängnis bringt, fallen ihre Forderungen auf fruchtbaren Boden.

Die neuen Gesetze in Arizona und bald auch anderen Bundesstaaten führten verdachtsunabhängige Kontrollen vermeintlich illegaler EinwanderInnen ein und erleichterten deren Internierung und Abschiebung. Öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser und Universitäten sowie ArbeitgeberInnen und VermieterInnen sind aufgefordert, den Status vermeintlich Fremder zu überprüfen. Kommen sie dem nicht nach, können sie verklagt werden. ImmigrantInnen wurden gesetzlich verpflichtet, ihre Einwanderungspapiere stets bei sich zu tragen und Menschen, die Illegalisierte beraten und unterstützen, wurden kriminalisiert.

Vor allem im Süden der USA wecken die drastischen Maßnahmen Erinnerungen an die rassistischen Jim-Crow-Gesetze. (2) So soll undokumentierten MigrantInnen in Alabama sogar der Zugang zur öffentlichen Wasserversorgung verwehrt und das Eigentum konfisziert werden können.

Erst spät wurden die Staaten im Südosten der USA Ziel internationaler MigrantInnen. Seit den 1980er Jahren stieg dort parallel zum wirtschaftlichen Aufstieg der Latino-Bevölkerungsanteil rapide an. Viele Industriebetriebe verlagerten ihre Produktionsstätten innerhalb der USA von den klassischen Industrieregionen im Nordosten und Mittleren Westen in den Süden, wo die Löhne niedrig und die Gewerkschaften traditionell schwach sind. Doch während sich der Süden der USA heute als Standort für Hochtechnologie und Dienstleistungen weltoffen gibt, erfährt der tief sitzende Rassismus in Form von Feindseligkeit gegenüber den ImmigrantInnen eine neue Blüte.

In allen Bundesstaaten, in denen lokale Gesetzesverschärfungen diskutiert und implementiert wurden, hat die Zahl der rassistisch motivierten Polizeikontrollen drastisch zugenommen. Wie eine Studie des National Immigration Law Center vom Sommer 2012 feststellt, fühlen sich offensichtlich viele BürgerInnen durch die Gesetze ermutigt, offen rassistisch aufzutreten.

So berichteten Menschen davon, dass sie auf offener Straße beschimpft und in Geschäften nicht mehr bedient wurden, nachdem im Juni 2011 in Alabama das Gesetz HB 56 in Kraft getreten war. Kinder trauen sich nicht mehr in die Schule aus Angst, sie oder ihre Eltern könnten abgeschoben werden. ArbeiterInnen wurden Löhne vorenthalten und damit gedroht, sie an die Einwanderungsbehörden auszuliefern. Betroffen sind sowohl US-StaatsbürgerInnen als auch ImmigrantInnen, denn entscheidend ist das Aussehen und die Unterstellung, illegal im Land zu sein.

In Georgia befürchtet die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU), das Gesetz HB 87 gefährde die öffentliche Sicherheit, da es Gewaltopfern den Zugang zu den Strafverfolgungsbehörden versperre. Frauen, die beispielsweise Schutz vor sexuellen Übergriffen oder häuslicher Gewalt suchen, drohe die Abschiebung, wenn sie sich an die Polizei wenden. Doch nicht nur für die migrantischen Communitys haben die Gesetze gravierende Folgen. Auch die Wirtschaftssektoren, in denen viele MigrantInnen beschäftigt sind, klagen über Gewinneinbrüche. Kleinstädte, die mit der neuen Einwanderung gewachsen waren, verwaisen.

Für die BäuerInnen Georgias und Alabamas bedeuteten HB 56 und HB 87 massive Ernteausfälle, da viele LandarbeiterInnen das Risiko nicht auf sich nehmen wollten, in diesen Bundesstaaten zu arbeiten. Um das Schlimmste zu verhindern, wurden in Alabama sogar Strafgefangene als ErntehelferInnen eingesetzt - eine besonders zynische Form der Krisenintervention.

Verflechtungen der Einwanderungsbehörden

Die Bewegung für die Rechte der MigrantInnen sieht sich schon lange in der Tradition der US-Bürgerrechtsbewegung. Mit der jüngsten Eskalation der Einwanderungsdebatte ist sie jetzt allerdings auch räumlich an den symbolträchtigen Schauplätzen der Bürgerrechtsbewegung angekommen: Trotz aller Unterschiede zwischen dem Leidensweg der Afro-AmerikanerInnen in den USA und der Situation undokumentierter Latinos und Latinas in den heutigen Südstaaten fallen die historischen Parallelen zwischen den Rassismen auf.

In ihrem Widerstand gegen die lokalen Einwanderungsgesetze setzen die meisten AktivistInnen des Immigrant Rights Movement ihre Hoffnung auf den Widerspruch des Obersten Gerichtshofs der USA. In früheren Fällen hatte der Supreme Court vergleichbare lokale Gesetzesverschärfungen als nicht verfassungskonform erklärt. (3) Dabei geht es allerdings nicht um das Wohl der ImmigrantInnen, sondern vielmehr darum, die politische Hoheit der Bundesregierung in Einwanderungsfragen zu behaupten.

Unter Obama kam es dabei insbesondere zu einer zunehmenden Verflechtung von Einwanderungsbehörden und lokaler Polizei. Die Befugnisse der Einwanderungs- und Grenzpolizei (ICE) wurden sukzessive auf lokale Polizeien ausgeweitet und die Datenbanken der Einwanderungsbehörden mit lokalen Stellen vernetzt. Das Programm E-Verify verschärfte die Überwachung des Aufenthaltsstatus auf dem Arbeitsmarkt, indem ArbeitgeberInnen angehalten werden, mithilfe einer Regierungsdatenbank die Arbeitserlaubnis ihrer ArbeiterInnen zu überprüfen.

Anders als zuvor wird damit der Aufenthaltsstatus mehr und mehr z.B. bei Verkehrskontrollen automatisch abgefragt. Bereits eine Verkehrskontrolle oder ein marginales Vergehen kann so zur Abschiebung führen.

Damit wird die Situation für die ca. zwölf Millionen Illegalisierten in den USA immer schwieriger. Viele von ihnen leben und arbeiten seit Jahrzehnten in den USA, zahlen Steuern und haben Kinder, die US-StaatsbürgerInnen sind. Nach Angaben des Pew Hispanic Center leben 53 Prozent aller nicht registrierten EinwanderInnen in den USA in »mixed status«-Familien, d.h. zusammen mit regulären MigrantInnen und US-StaatsbürgerInnen. (4) Andere kamen als Kinder in die Staaten, sind dort aufgewachsen, haben die Schule besucht und studiert - was bislang mit Einschränkungen relativ einfach möglich war.

Neuausrichtung des Immigrant Rights Movement

Angesichts der enttäuschenden Erfahrung mit der Regierung Obama nehmen die Debatten um eine strategische Neuausrichtung im Immigrant Rights Movement zu. Zu sehr habe man sich auf Lobbypolitik und das Werben für politische Reformen konzentriert. »Die Bewegung für die Rechte der MigrantInnen hat dwen politischen Kampf verloren, aber um den geht es nicht«, schreibt beispielsweise Rinku Sen, Herausgeberin des antirassistischen Magazins Colorlines. »Was wir brauchen, ist ein kultureller Wandel. Wir müssen die Herzen und Köpfe der Menschen für uns gewinnen.« (5)

Seit Jahren speisen die verschiedenen Regierungen die Immigrant-Rights-Bewegung mit Versprechungen und minimalen Zugeständnissen ab, während gleichzeitig die Grenze nach Mexiko immer weiter militarisiert wird, die Grenzkontrollen im Landesinneren zunehmen und die Abschiebezahlen steigen. »Egal ob Republikaner oder Demokraten, beide Parteien kriminalisieren unsere Communitys. Sie werfen sich doch gegenseitig die Bälle zu. Aber für das, was mit den Menschen passiert, will keiner die Verantwortung übernehmen«, schildert daher Gina Perez, Sprecherin der Georgia Undocumented Youth Alliance. (6)

Vor allem unter den Millionen von Jugendlichen ohne Papiere entwickelte sich in den vergangenen Jahren eine kämpferische Einstellung, die der Bewegung neue Impulse gibt. Mit offensiven Aktionen fordern sie ein Bleiberecht für Jugendliche und junge Erwachsene, die in den USA aufgewachsen sind. Eine diesbezügliche Gesetzesregelung scheiterte zuletzt 2010 im Senat.

Obamas jüngster migrationspolitischer Vorstoß, das Programm »Deferred Action for Childhood Arrivals« (DACA), ist weniger weitgehend und dürfte wohl vor allem darauf abzielen, Wählerstimmen in der Latino-Community zurückzugewinnen. Das DACA-Programm erlaubt dabei lediglich eine Aussetzung der Abschiebung für zwei Jahre und ermöglicht die Ausstellung einer Arbeitserlaubnis. Weder eine Legalisierungsoption noch der Zugang zur US-Staatsangehörigkeit sind Teil der Verordnung.

Gina Perez ist deshalb skeptisch gegenüber dem Programm. Sie ist sich jedoch sicher, dass die Einführung des DACA-Programms eine Reaktion auf die lang anhaltenden Proteste der Jugendlichen ist. Allerdings empfiehlt sie allen, die sich auf das Programm bewerben wollen, vorsichtig zu sein: Es ist nicht auszuschließen, dass BewerberInnen langfristig ihren Aufenthalt in den USA gefährden, indem sie sich bei den Behörden um eine Duldung bewerben.

Keine Papiere, keine Angst

Angesichts der Zunahme der Repression greift die Bewegung für die Rechte der MigrantInnen zu kämpferischen Aktionen. Vor allem outen sich immer mehr Menschen in der Öffentlichkeit als »Illegale« und wenden sich so offensiv gegen die Politik der Einschüchterung. In Anlehnung an die Tradition der Bürgerrechtsbewegung leisten die Undokumentierten zivilen Ungehorsam und riskieren ihre Verhaftung und Abschiebung. Indem sie ihre Geschichte erzählen, schaffen sie einen Gegendiskurs zur Hetze rechter EinwanderungsgegnerInnen.

»No papers, no fear« lautet die Parole dieser neuen Bewegung. Sie steht in großen Buchstaben auf dem UnDocuBus, der diesen Sommer durch den Süden der USA tourte, um gegen die Atmosphäre der Angst zu protestieren, die dort angesichts der jüngsten Gesetzesverschärfungen herrscht. An Bord des Busses reiste ein heterogenes Grüppchen von AktivistInnen - Tagelöhner und Hausarbeiterinnen, KünstlerInnen und Studierende, die eines vereint: Sie alle leben illegal in den USA und haben es satt, sich zu verstecken.

Die AktivistInnen wissen, was sie riskieren. Bislang haben Verhaftungen am Rande von Aktionen jedoch in keinem Fall zu einer Abschiebung geführt. »Wir sind jetzt seit einem Monat unterwegs und bekommen sehr viel Aufmerksamkeit. Und vor allem zeigen wir, dass wir keine Angst haben«, berichtet Fernando López, 21 Jahre alt. »Wenn wir unsere Angst verlieren, verlieren sie ihre Macht: Sie können uns nicht mehr einschüchtern.« (7)

Letztes Ziel des UnDocuBus war Charlotte in North Carolina, wo die AktivistInnen am Rande des Parteitags der Demokratischen Partei gegen Obamas Einwanderungspolitik protestierten: »Wir möchten, dass Präsident Obama auf der richtigen Seite der Geschichte steht.« Nicht als den Präsidenten mit den höchsten Abschiebezahlen, sondern als denjenigen, der endlich den Weg für die Legalisierung der Millionen undokumentierter EinwanderInnen frei machte, soll man sich später an ihn erinnern.

Um dies zu ermöglichen, werden die MigrantInnen weiter kämpfen müssen. »Du kannst Washington nicht von innen verändern, nur von außen«, räumte Obama selbst kürzlich in einem Fernsehinterview ein. Das Imtmigrant Rights Movement sollte auf diesen Rat hören. Denn ganz egal, wer am 6. November 2012 gewählt wird: Ohne ihren Druck von unten wird sich nichts ändern.

Martina Benz ist Politikwissenschaftlerin und hat über die Organisierung von MigrantInnen in den USA promoviert.

Anmerkungen

1) ABC News/Univision, 20.9.2012.

2) Die sogenannten Jim-Crow-Gesetze verordneten vor allem in den Südstaaten der USA die Segregation zwischen »Weißen« und AfroamerikanerInnen. Sie wurden in den 1870er und 1880er Jahren in zahlreichen Bundesstaaten eingeführt, um entgegen dem Emanzipationsstreben der ehemaligen SklavInnen die rassistische Ordnung wieder herzustellen. Erst die Bürgerrechtsbewegung war in der Lage, diese Ordnung herauszufordern.

3) Der prominenteste Fall war die »Proposition 187« in Kalifornien in den 1990er Jahren. Ziel des Gesetzes war es, undokumentierte MigrantInnen von sozialen Rechten und der Nutzung öffentlicher Angebote auszuschließen. Obgleich das Gesetz damals vom Supreme Court blockiert wurde, wurden wenig später zentrale Bestandteile dieser Gesetzgebung im Rahmen der Einwanderungs- und Sozialhilfereform 1997 zu Bundesgesetzen.

4) Pew Hispanic Center: A Portrait of Unauthorized Immigrants in the United States. Washington DC 2009.

5) Colorlines, 17.9.2012.

6) Organizing Upgrade, 9.7.2012.

7) NPR blogs, 3.9.2012.