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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 576 / 19.10.2012

Es kam mir bedeutsam vor

Deutschland Was passiert, wenn man bei die-linke.de auf »Mitglied werden« klickt

Interview: Ingo Stützle

Der Parteitag der Linkspartei in Göttingen im Juni 2012 markiert einen Wendepunkt. Zumindest wenn man den Diskussionen über DIE LINKE seitdem Glauben schenken mag. Nicht nur die Umfragewerte nehmen wieder zu. Seit Göttingen gibt es auch eine Diskussion, wie wichtig es ist, ein Parteibuch zu haben. Bitter nötig wären Neumitglieder für die Linkspartei allemal.

Nicht nur für diejenigen, die nach dem Parteitag in Göttingen öffentlich nach dem Parteibuch griffen, war Göttingen ein Anlass. Auch für Robert, der das Durchschnittsalter bei Eintritt in DIE LINKE von 41 Jahren fast genau trifft. In der Nacht der Wahl von Katja Kipping und Bernd Riexinger ist er eingetreten - per Mausklick. Mich interessierte, was nach einem solchen Schritt passiert. Also lud ich Robert zu Kaffee und Kuchen ein, um mir anzuhören, was ihn motiviert und welche Erfahrungen er seit Juni gemacht hat.

ak: Warum bist du eingetreten? War es eine Kurzschlusshandlung oder länger geplant?

Robert: Bei der LINKEN bin ich vor allem gelandet, weil ich großes Interesse daran habe, die letzten Reste an Sozialstaatlichkeit zu erhalten. Nicht allein deshalb, weil ich von Hartz IV lebe. Einen Bundestag ohne DIE LINKE will ich mir nicht vorstellen, trotz aller nachvollziehbaren Kritik an der Partei oder an parlamentarischer Repräsentation überhaupt.

Warst du in Göttingen?

Nein, aber während des Parteitags liefen Fernseher und Computer gleichzeitig. Über Phoenix und den Livestream auf der Website der Linkspartei habe ich das Geschehen die ganze Zeit verfolgt.

Was in Göttingen passiert ist, hat dich überzeugt?

Was da passierte, kam mir bedeutend vor. Schon vorher hatte ich mir überlegt: Wenn Dietmar Bartsch nicht gewählt wird, dann kann ich der Partei beitreten und dazu beitragen, dass DIE LINKE 2013 in den Bundestag einzieht. Die denunziatorische Presse, ja der mediale Abgesang hat mich angekotzt - die Überlegung, der Partei beizutreten, war auch eine Trotzreaktion. Als schließlich Katja Kipping und Bernd Riexinger als Vorsitzende gewählt wurden, war für mich die Entscheidung gefallen.

Was unterscheidet die beiden von ihren VorgängerInnen?

Das kann ich nur schwer erklären. Beide haben sehr angenehm und lebendig gesprochen. Sie hatten auch etwas zu sagen. Jemand wie Gesine Lötzsch war mir eher fremd und bei Klaus Ernst war mir dessen polternd-männlicher Ton unangenehm. Bei ihm ist immer das Kalkül spürbar. Mit der Art und Weise, wie er spricht, glaubte er wohl, die Nähe zu den männlichen, nicht-akademischen Mitgliedern herstellen zu können, ein Zuckerl für die Erniedrigten und Beleidigten.

Riexinger ist einer der wenigen, dem man ansieht, dass er noch denkt, während er redet. Auch wenn es abgedroschen klingt: Er und Katja wirken authentisch. Bernd ist eben nicht so mediengeschult, wirkt immer etwas linkisch und ist eben doch ein strategischer Kopf. Er kennt die Positionsspielchen aus seinen Gewerkschaftskämpfen: Wie muss man sich aufstellen, wenn man für sich was Positives rausholen will. Riexinger ist ein strategischer Kümmerer.

Auch dass Katja gleich in Göttingen in einem anderen Ton dafür warb, dass jetzt in der Partei ein anderer Umgang herrschen soll, hat mir gefallen. Und außerdem habe ich mit ihr eine Vorsitzende aus meiner »gefühlten« Generation. Auf den Veranstaltungen hier in Berlin ist es bisher für mich immer so gewesen, dass ich mit jeweils beiden emotional und inhaltlich einverstanden sein konnte.

Nach 21 Semestern hat Robert vor ein paar Jahren die Universität verlassen müssen - ohne Abschluss. Von Beginn an hat er die Hochschule als das erlebt, was sie ist: eine Anstalt zur Reproduktion der bürgerlichen Klasse. Robert kommt aus einem Arbeiterhaushalt und sein habituales Handgepäck war nicht mit dem universitären Alltag kompatibel, der gut geblufften unangreifbaren Selbstsicherheit. Seit ein paar Jahren lebt er von Hartz IV und kann dank der rot-roten Politik in Berlin einen »großbürgerlichen Lebensstil« pflegen, wie er es formuliert. Robert geht gerne in die Theater und Opern der Stadt und kann für nur drei Euro ziemlich weit vorne sitzen. Zusammen mit denjenigen, die mit Hochkultur ihre Klasse reproduzieren. Wenn Robert seine Situation erläutert, merkt man, dass er seinen Bourdieu kennt und in der Universität an ihm nicht so viel vorbeigegangen ist, wie er gerne behauptet. Robert kenne ich aus den Kapitalkursen, die ich an der Rosa-Luxemburg-Stiftung anbiete. Dort will er nachholen, was er an der Uni verpasst hat. Robert besucht auch viele andere Bildungsangebote und Veranstaltungen der Linkspartei oder der ihr nahestehenden Stiftung. Deshalb hat er es begrüßt, dass Riexinger seit seiner Wahl betont, wie wichtig die Bildungsarbeit ist - nicht nur innerhalb der Partei. Diese Perspektive aufzumachen, sei gut, so Robert, schließlich sei die neoliberale Gehirnwäsche inzwischen tief im Alltagsverstand verankert und es stelle sich tagtäglich die Frage, wie man was entgegensetzen könne.

Du bist gleich nach der Wahl von Katja und Bernd eingetreten, per Mausklick. Was passierte dann?

Nach dem Mausklick auf der Website ging alles recht schnell. Nach dem letzten Klick und fünfmaligem Durchlesen braucht es ein oder zwei Tage, bis ein Bestätigungslink per Mail kam. Sie wollen den Leuten bestimmt nochmals eine persönliche Bedenkzeit einräumen, weil sie vielleicht wissen, dass manche, so wie ich, morgens um drei Uhr, euphorisiert und emotionalisiert von Phoenix und Livestream zu Kurzschlusshandlungen bereit sind.

Danach bekommt man sein Parteibuch zugeschickt?

Nein, so schnell geht das dann auch nicht. Es gibt ein mehrstufiges Initiationsritual. Zunächst bekam ich eine persönliche Einladung in die Geschäftsstelle in Pankow. Dort wurde ich sehr herzlich empfangen.

Dort ist man über jedes Neumitglied froh, das eine Emailadresse hat. Nicht nur weil das meist jüngere Neumitglieder sind, sondern auch um Portokosten sparen zu können. Deshalb habe ich auch etwas später meine Mitgliedskarte selbst abgeholt. Ein Parteibuch gibt es nicht mehr.

Sieht es so schlecht um die Finanzen aus?

Ich vermute ja. Leider kann ich mit meinen 1,50 Euro monatlichen Mitgliedsbeiträgen die Partei kaum finanziell unterstützen. Aber das war für sie nicht wichtig. Bei meinem Besuch der Geschäftsstelle haben sie mich vielmehr nach meinen inhaltlichen Interessen gefragt und was ich mir so vorstelle. Ich interessiere mich vor allem für Hartz IV und Stadtentwicklung. Soviel war klar. Aber mir war eben unklar, wie ich mich einbringen konnte. Auf Plakate kleben habe ich mich aber auf jeden Fall schon eingestellt. Schließlich will ich, dass DIE LINKE 2013 in den Bundestag einzieht.

Wurde dir erklärt, wie die Partei funktioniert?

Ansatzweise. Ausführlich passierte das erst später, bei einem Treffen der Neumitglieder. Im Bezirk Pankow sind im letzten Jahr 35 Menschen eingetreten - von denen kamen dann fünf, alles Männer. Ein ganz junger Genosse hatte auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung beim Wahl-O-Mat für sich herausgefunden, dass nicht die CDU, sondern DIE LINKE am besten zu seinen Vorstellungen passt und ist eingetreten. Bei diesem Treffen wurde uns von der Geschäftsführung die Partei erklärt, wie sie von der kommunalen bis zur Bundesebene aufgebaut ist, und die Parteiströmungen sowie Landesarbeitsgemeinschaft vorgestellt.

Hast du dich da für etwas entschieden?

Nein, danach war ja erst der Basistag, der mich etwas verstört hat. Auf den Basistag kommen alle interessierten Mitglieder eines Bezirksverbands. Als ich dort war, wurden etwa 80 überwiegend ältere Menschen von einem sich in Rage redenden Vorstandsmitglied eine Stunde lang über eine ziemlich übersteuerte Anlage agitiert. Das Thema war die strategische Ausrichtung 2013. Ich habe mir an diesem Abend vor allem die Frage gestellt, was so ein Format mit einer jungen interessierten Studentin machen würde, die gerade ein Interesse für die Partei entwickelt hat und eingetreten ist. Für mich war es ja schon schwer auszuhalten.

Das hat dir aber deine Entscheidung beizutreten nicht madig gemacht?

Nein. So schnell passiert das nicht. Ich bin danach noch zu einer Basisorganisation gegangen, die sogenannte BO. Das sind freiwillige Zusammenschlüsse und die kleinsten Organisationseinheiten der Partei. Früher waren sie eher topografisch organisiert, nicht thematisch. Die BOs fassten die Mitglieder dort, wo sie gewohnt haben, etwa in einem Häuserblock oder einem Straßenzug. Diese Form wurde aufgeweicht, weil viele BOs im Osten wohl eher Senioren-SED-Clubs sind und das eine Einbindung Jüngerer kaum ermöglichte. Inzwischen gibt es offene thematische BOs. In Pankow gibt es davon zwei, drei und eine Jugendorganisation - die hatten sich dann beim Neumitgliedertreffen vorgestellt.

Bist du mit deinen 40 Jahren in die Jugendorganisation?

So schlimm ist es auch wieder nicht. Nein, ich bin zur BO Valentin, mit etwa 30 Mitgliedern, die sich nach Karl Valentin benannt hat. Bei meinem ersten Treffen war ein Drittel da. Es stand eine Diskussion an - zu Beschneidung. Jemand hatte Zitate zum Thema von Linken zusammen- und gegenübergestellt. Dann wurden noch Organisatorisches und Fragen zur Wahl der Landeslisten für 2013 geklärt. Danach gingen wir zum gemütlichen Teil über.

Was die BO aber von anderen unterscheidet ist, dass sie regelmäßig auch eigenständig Aktionen macht, z.B. vor dem Jobcenter. Sonst ist das wohl eher unüblich, und es gibt eher Vorschläge »von oben«, wo welche Infostände gemacht werden sollen. Im Winter organisiert die BO auch Schlafplätze für Obdachlose und eben die üblichen Infostände zu bestimmten Anlässen.

Ordnest du dich einer Strömung zu?

Nein, noch nicht. Ich überblicke das auch noch nicht so ganz und auch, welchen Sinn die Strömungen haben. Ich war aber bereits beim Strömungstreffen der Emanzipatorischen Linken, die liebevoll EmaLi genannt wird - fast nur Männer. Hier wurde mir allerdings mal erklärt, warum das so ist. Weil ab einer bestimmten Ebene alle Posten paritätisch besetzt werden, würden die Frauen schnell von der Basis weg, nach »oben« in verantwortlichere Positionen gewählt werden. Das Ergebnis: An der aktiven Parteibasis ist die Partei eher eine von Männern mittleren Alters. Das Treffen bei EmaLi war deshalb erstmal ernüchternd, weil ich deren Papiere ganz gut fand, sie offensichtlich auch schon mal was von Feminismus, Antirassismus, aber auch linken Antisemitismus gehört haben und ich deshalb gehofft hatte, in etwa ähnliche Leute wie im Umfeld der Luxemburg-Stiftung anzutreffen. Aber klar werde ich da weiter hingehen.

Initiativen der nichtparlamentarischen Linken sind nichts für dich?

Die Linkspartei bietet erstmal einen niedrigschwelligen Zugang und hat zugleich ein großes symbolisches Gewicht - zudem die bereits erwähnte verlässliche Infrastruktur. Ich brauche die, um mich einbringen zu können. Ich hoffe aber auch, über diese Infrastruktur wieder in Initiativen außerhalb der Partei zu kommen, wie etwa den Berliner Energie- und Wassertisch oder zu den Themen Mieten und Hartz IV, bei dem meine BO ja schon gut aufgestellt ist.

Ich hatte und habe halt leider so das Bild: Die radikale Linke besteht überwiegend aus sich selbst radikalisierenden, jungen Leuten aus der Mittelschicht, die nach dem Studium privatisieren. Sie ist ein ziemlich homogenes Milieu, mit einem unerbittlichen Hang zu Verboten, Codes und Selbstdisziplinierung. Für mich als katholisch sozialisierten Niederbayern kam das als Lebensweise dann nicht infrage. Was ich bisher wirklich gut fand, ist eben die Heterogenität innerhalb der Partei, diese eigentlich unvereinbaren Biografien, die da was Gemeinsames versuchen. Ich freue mich jetzt schon darauf, dort andere Leute zu treffen, gerade auch ältere Genossen, die etwas zu erzählen haben.