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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 577 / 16.11.2012

Die Black Panthers von Biskopsgården

International In schwedischen Vororten organisieren sich Jugendliche nach dem Vorbild der antirassistischen US-Selbstschutzbewegung

Von Gabriel Kuhn

Wenn in Schweden von »Vororten« die Rede ist, so lassen sich diese am ehesten mit den französischen Banlieues vergleichen. Betonsiedlungen am Rande der Großstädte, die sich durch all das auszeichnen, was die Verflechtungen von Klassengesellschaft und Rassismus im europäischen Alltag mit sich bringen: mangelnde Infrastruktur, hohe Arbeitslosigkeit, als Besatzungsmacht erlebte Polizeieinheiten und eine Bevölkerung, die zum großen Teil Migrationshintergrund hat - in Schweden manchmal bis zu 90 Prozent. Damit ist das Land statistisch gesehen eines der segregiertesten Europas. Zu den bekanntesten dieser Vororte zählen Rinkeby in Stockholm (Namensgeber des »Rinkebysvenska«, dem schwedischen Äquivalent zum »Kanakdeutsch«), Rosengård in Malmö (die Heimat von Zlatan Ibrahimovic: »Ein Junge kann Rosengård verlassen, aber Rosengård verlässt einen Jungen niemals«) - und Biskopsgården in Göteborg.

In Biskopsgården entstand Anfang 2011 eine Organisation, die ein unerwartetes Erbe antritt: Die Pantrarna, zu Deutsch »Panther«, beziehen sich ausdrücklich auf die amerikanische Black Panther Party. Wie Pressesprecher Murat Solmaz erklärt, wurde der Name gewählt, weil man Gemeinsamkeiten mit den Zielen und Methoden der Black Panthers sah und sich von ihrem Kampf inspiriert fühlte. Das Argument, dass es unangemessen sei, ein politisches Konzept aus den USA der 1960er Jahren in das heutige Schweden zu transferieren, lässt Solmaz nicht gelten: »Wenn die Ideen und die Methoden unserer Situation angemessen sind, warum nicht? Außerdem können wir uns mit Menschen identifizieren, die sowohl gegen ökonomische Ungerechtigkeit als auch gegen Rassismus kämpften.«

Die Pantrarna bestehen zum größten Teil aus in Biskopsgården lebenden Jugendlichen. Die Anfang-20jährigen gehören schon zur alten Garde. Den harten Kern der Aktiven beziffert Solmaz mit ungefähr vierzig, die Mitgliedschaft mit knapp 150 und den Sympathisantenkreis mit über tausend. Konkreter Anlass für die Gründung der Pantrarna war der Kampf um ein Jugendzentrum. Diesen haben die Jugendlichen mittlerweile gewonnen: Die Stadt Göteborg hat drei Millionen Kronen und ein altes Amtsgebäude zur Verfügung gestellt, in dem 2013 der »Pantergården« eröffnen soll. Die Pantrarna sind in die Planung und Leitung eingebunden. Erreicht haben sie dies durch Besetzungen der Büros der Stadtverwaltung, Unterschriftensammlungen und lokale Mobilisierung.

Bobby Seale in Biskopsgården

Das Jugendzentrum war jedoch nur der Katalysator für einen weitreichenden Kampf um soziale Gerechtigkeit und Selbstbestimmung. Seit ihrer Gründung haben die Pantrarna Lesungen, Kurse und Sommerlager für Jugendliche ebenso organisiert wie Kampagnen gegen Polizeigewalt, Überwachungskameras und eine Medienberichterstattung über die Vororte, die sich beinahe ausschließlich auf Kriminalität, brennende Autos und Straßenschlachten mit der Polizei konzentriert.

Der Unterstützung ehemaliger Black Panther können sich die Pantrarna sicher sein. Im Frühjahr 2012 stattete ihnen Bobby Seale einen Besuch ab, einer der Gründer der Black Panther Party und Autor von »Seize the Time: The Story of the Black Panther Party and Huey P. Newton«. Seale sprach unter anderem am 1. Mai in Biskopsgården vor Jugendlichen. Im schwedischen Rundfunk zeigte er sich vor seiner Abreise von den Pantrarna begeistert: »Wir sprechen von progressiver gesellschaftlicher Veränderung. Wir sprechen von menschlicher Befreiung. Das ist, worum es ihnen geht, und das ist, worum es uns in der Black Panther Party ging.«

Die Pantrarna sind zu einem schwedischen Medienphänomen avanciert. Mitglieder werden immer wieder zu TV-Debatten gebeten und in den großen Tageszeitungen zitiert. Im Frühjahr 2012 erschien der Dokumentarfilm »Behandla inte oss som djur« (»Behandelt uns nicht wie Tiere«), und der preisgekrönte schwedische Autor Johannes Anyuru arbeitet an einem Buch über die Organisation.

Die Jugendlichen von Biskopsgården treffen einen wunden Punkt der schwedischen Gesellschaft: der alte sozialdemokratische Traum des »folkhemmet«, des »Volksheims«, verliert vor allem angesichts der Realitäten der migrantischen Gemeinden seinen Glanz. Die Vororte gelten seit langem als Sinnbilder einer »missglückten Integrationspolitik«. Dass sich die meisten der politisch Verantwortlichen peinlich berührt zu dem Thema ausschweigen, macht die Sache nicht leichter. Eher erlaubt es der Rechten, das Thema für sich zu vereinnahmen. So sprechen VertreterInnen der seit 2010 im Parlament vertretenen Schwedendemokraten gerne von den Vororten als »No-Go-Areas«, in denen selbst Ambulanz und Feuerwehr von gewalttätigen Jugendlichen angegriffen würden. Eine selbstbewusste politische Organisation genau dieser Jugendlichen wirbelt das Bild mächtig durcheinander.

Die Präsenz der Panther in Biskopsgården ist augenscheinlich. Als ich bei einem Besuch in Göteborg Ende Oktober in die Straßenbahn Richtung Biskopsgården steige, begegne ich Amanda Ruiz Jönsson, einer ehemaligen schwedischen Fußballjugendauswahlspielerin und Pantheraktivistin. Seit ein Arzt eine Knieoperation versaute, liegt die Fußballkarriere auf Eis. »So ist das, wenn du dir keine Privatversicherung leisten kannst,« meint Ruiz Jönsson achselzuckend. Die Privatisierungen im sozialen Dienstleistungsbereich wurden bereits in den 1990er Jahren von sozialdemokratischen Regierungen eingeleitet, die den vermeintlich unaufhaltsamen Zug des Neoliberalismus nicht verpassen wollten. Seit 2006 eine bürgerliche Koalition das schwedische Regierungsamt übernommen hat, sind diesem Prozess kaum noch Grenzen gesetzt. Von den staatlichen Kürzungen und Einsparungen am stärksten betroffen sind die Vororte. Dies schlägt sich auch ökonomisch nieder. Für das Engagement bei den Panthern hat Ruiz Jönsson im Moment nur wenig Zeit. »Ausbildung und Arbeit nebenher - du weißt, da bleibt nicht viel.«

»Wir verhandeln nicht, wir fordern«

In Biskopsgården angekommen, statte ich dem Idépunkten einen Besuch ab, einer kahlen Bürgerinformationsstelle, in dem die Pantrarna vor knapp eineinhalb Jahren gegründet wurden. Gerade endet ein Treffen. VertreterInnen der Stadtverwaltung suchten nach Lösungen für die »Probleme der Vororte«. Bei dem Treffen waren auch zwei Panther anwesend. Einer der beiden, Yassin Ben Salah, meint, sie würden mittlerweile zweimal pro Woche zu Treffen dieser Art eingeladen. Ihr Verhältnis zu diesen sei pragmatisch. Mit einem Ausverkauf an das System habe das nichts zu tun. »Wir wissen, dass sich die Politiker nicht mit uns an einen Tisch setzen, weil sie das wollen, sondern weil sie sich dazu gezwungen fühlen. Wir nutzen wir aus. Wir verhandeln nicht, wir fordern.«

Diese Taktik führt zu erstaunlichen Erfolgen. Göteborgs-Posten ist Schwedens zweitgrößte Tageszeitung. Nachdem der Panther Diren Öz am 5. Juli vor dem Eingang seines Wohnhauses erschossen wurde, handelten die Artikel in der Göteborgs-Posten von wenig mehr, als dass das namentlich nicht erwähnte Opfer »der Polizei bekannt« war. Die Pantrarna machten mobil. Innerhalb kürzester Zeit initiierten sie mithilfe sozialer Medien eine breite Kampagne gegen die Zeitung, plakatierten flächendeckend und organisierten eine Großdemonstration. Die Leitung der Göteborgs-Posten nahm mit den Panthern Kontakt auf und ging nach ein paar Treffen bedingungslos auf all ihre Forderungen ein: 1. Eine öffentliche Entschuldigung. 2. Eine Richtigstellung in der Zeitung. 3. Konkrete Schritte, um eine ausgewogenere Berichterstattung über die Vororte zu gewährleisten. Ein erster solcher Schritt war die Stadtteilzeitung Wazzup Biskop, die von Jugendlichen aus Biskopsgården zusammengestellt und von der Göteborgs-Posten gefördert und vertrieben wurde. In einem Artikel vom 16. Oktober erklärte die Göteborgs-Posten das Projekt so: »Es begann damit, dass die Pantrarna, eine Gruppe jüngerer Personen aus Biskopsgården, der Auffassung waren, dass die Vororte in den Massenmedien und insbesondere in der Göteborgs-Posten unkundig, einseitig und negativ dargestellt werden.«

Gespanntes Verhältnis zur radikalen Linken

In der Nähe des Idépunkten treffe ich zwischen StraßenverkäuferInnen, Fußball spielenden Kindern und Flaschen sammelnden RentnerInnen auf zwei weitere Panther, Muhammed Hällgren Abdulrahman und Homa Badpa. Badpa trägt ein T-Shirt mit dem Bild des ermordeten Diren Öz. Für sie zeigt der Erfolg der Kampagne, »dass wir oft mehr schaffen können, als wir uns zutrauen«. Dass Teile der Linken den Panthern in diesem Kontext »Zusammenarbeit mit bürgerlichen Medien« vorwerfen, spiegelt das komplizierte Verhältnis der Pantrarna zur etablierten schwedischen Linken wider. Während die Panther soziale Gerechtigkeit als ihr wichtigstes politisches Ziel bezeichnen und sich immer wieder antikapitalistischer Rhetorik bedienen, sind sie wenig begeistert von dem, was sie bei Linken als Selbstgerechtigkeit, revolutionsromantische Projektion und ideologische Querelen wahrnehmen. Yassir Ben Salah, den ich im Idépunkten traf, vertritt auch hier einen pragmatischen Ansatz: »Wenn du nicht, so wie die meisten Linken, voller Vorurteile bist, dann bist du auch bereit, mit allen möglichen Menschen zusammenzuarbeiten. Mir ist es egal, wo Menschen herkommen oder was sie tun - wenn sie ein positives Ziel verfolgen, dann arbeite ich mit ihnen.«

Pressesprecher Solmaz sieht die Panther als eine zeitgenössische Form politischer Organisierung, die der alten Linken den Rang abläuft. Neben der Überwindung ideologischer Barrieren und einer größeren Offenheit betont er vor allem die Rolle der Jugend: »Normalerweise versucht man, Jugendliche mithilfe von Eltern oder Lehrern zu verändern. Wir drehen den Spieß um. Wir wollen die Welt der Erwachsenen mithilfe der Jugendlichen verändern.« Solmaz schreckt dabei auch vor dem Begriff der Avantgarde nicht zurück: »Natürlich sind wir eine Avantgarde. Wir setzen Beispiele, denen andere folgen können.«

Die Panther stehen mit ihrer Form der Organisierung nicht alleine da. In Stockholm gibt es mit der Gruppe Megafonen eine Schwesterorganisation. Sie wurde im Vorort Husby gegründet und hat mittlerweile Ableger in Rinkeby und Hässelby-Vällingby. Megafonen entstand etwa zu gleicher Zeit wie die Pantrarna, ohne dass sich die InitiatorInnen damals kannten. Basar Gerecci, einer der MitbegründerInnen von Megafonen, bestätigt jedoch, dass beide Gruppen auf ähnlichen Voraussetzungen beruhen: »Frustration mit der Situation in den Vororten, den gesellschaftlichen Verhältnissen im Allgemeinen, aber auch mit der etablierten Linken. Stattdessen ein Fokus auf das eigene Stadtviertel und das Organisieren mit Menschen, mit denen du deinen Alltag teilst.«

Angesichts von Temperaturen um den Gefrierpunkt verbringe ich den Rest des Tages in Biskopsgården mit Börek, Nüssen und Cola in einer der Pantherwohnungen. Als es Zeit ist aufzubrechen, um den letzten Zug nach Stockholm zu erreichen, kommen wir noch auf die bevorstehende Reise der Pantrarna nach Malmö zu sprechen. Dort sollen sie Ende November beim Aufbau einer lokalen Panthergruppe helfen. Solmaz hält die Ausdehnung der Vorortsbewegung für »unausweichlich«: »Das hier ist die Zukunft. Wir hauchen radikaler Politik neues Leben ein.«

Gabriel Kuhn lebt als Autor und Übersetzer in Stockholm, wo er sich unter anderem in einer Stadtteilgruppe engagiert.