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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 577 / 16.11.2012

Wir bleiben wohnen!

Aktion Erfolgreicher Widerstand gegen Zwangsräumung in Berlin-Kreuzberg

Von der UnterstützerInnengruppe gegen Zwangsräumungen

Widerstand gegen Zwangsräumungen gibt es nicht nur in Spanien. Am 22. Oktober haben 150 Leute in Berlin-Kreuzberg die Gerichtsvollzieherin und ihren Anhang - einen Schlosser und zwei MitarbeiterInnen des Ordnungsamtes - daran gehindert, eine Familie aus ihrer Wohnung zu werfen. Die Räumung wurde abgesagt und vorerst verschoben. AktivistInnen der UnterstützerInnengruppe sprachen mit Ali Gülbol, einem Mitglied der betroffenen Familie. Der 41jährige Malermeister wohnt seit 35 Jahren in der Lausitzer Straße.

UnterstützerInnengruppe: Ali, warum sollt ihr geräumt werden?

Ali Gülbol: Uns wurde von unserem Vermieter André Franell gekündigt, weil wir die von ihm eingeklagten Mieterhöhungen nicht innerhalb von zwei Monaten gezahlt haben.

Wie kam es dazu?

Ich wohne hier seit 1976/77. Zuerst mit meinen Eltern. Als ich dann selber eine Familie bekommen habe, sind wir 1999 in unsere jetzige Wohnung gezogen. Die Wohnung sah ziemlich schlimm aus. Ich habe viele Wände rausgerissen, die ganze Wohnung modernisiert, die Elektrik komplett neu gemacht. Da hab ich mir gedacht: Wenn ich hier schon alles neu machen muss, dann möchte ich auch, dass diese Wohnung mir gehört später. Ich hab mit dem damaligen Vermieter vereinbart, dass er mir die Miete nicht erhöht, bis ich abgezahlt habe. Dass die Wohnung an mich verkauft werden soll, hat er auch in den Mietvertrag reingeschrieben. Tja, und dann wurde 2006 das ganze Haus zwangsversteigert.

Was hat sich dadurch geändert?

Herr Franell hat erstmal direkt an alle Mieter im Haus eine Kündigung geschrieben, die Wohnungen sei besenrein zu verlassen innerhalb von 14 Tagen.

... was rechtlich keinen Bestand hat ...

Ja, aber er soll wohl gesagt haben, man muss es versuchen. Und dann wollte er mir die Miete erhöhen, womit ich nicht einverstanden war. 2010 sind wir verurteilt worden, die bis dahin angehäuften rückständigen Mieterhöhungen zu bezahlen. Das waren 3.500 Euro. Man hat nach einem Urteil zwei Monate Schonfrist, um zu bezahlen. Ich dachte, ich krieg dann eine Mahnung oder irgendwas, aber dann kam direkt die Kündigung, fristlos und ordnungsgemäß. Denn seit 2006 gibt es wohl dieses neue Gesetz, wonach es keiner Mahnung bedarf, wenn man zwei Monatsmieten im Rückstand ist. Dann kann der Vermieter einfach eine Familie auf die Straße setzen.

Der letzte Termin, zu dem ihr die Wohnung hättet verlassen müssen, das war der 31. August 2012?

Ja, da hätten wir den Schlüssel übergeben müssen. Aber vom Vermieter keine Spur. Er hat auch gar nicht den Schlüssel verlangt, was mich auch gewundert hat. Seitdem warten wir auf die Zwangsräumung durch die Gerichtsvollzieherin. Und von mir aus will ich ihm den Schlüssel nicht geben. Das ist meine Wohnung. Wir haben ja sogar bis heute weiter Miete gezahlt.

Was habt ihr neben der ganzen rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Hausbesitzer noch gemacht, habt ihr den direkten Kontakt zu ihm gesucht?

Ich hab ihn im Gericht gefragt, was das jetzt hier sein soll. Und da hat er sich aufgeregt. Er hat sich aufgeregt! Dass wir uns noch nicht verpisst haben ... Er wollte also nicht mit mir reden und es hat auch keinen Sinn mit ihm. Er ist nur auf Geld aus, ein unangenehmer Typ. Die Menschen sind ihm scheißegal. Wir haben auch als Mieter Interesse bekundet, das Haus von ihm zu kaufen. Er hat das Haus ja für 750.000 Euro bei einer Zwangsversteigerung gekauft, und dann wollte er von uns Mietern 1,2 Millionen haben. Das hat nicht funktioniert. Und deswegen haben wir jetzt immer noch den Herrn Franell, der uns hier langsam aber sicher alle rausschmeißt. Es sind schon einige Mieter raus, manche freiwillig, manche sind auch schon geräumt worden, und jeder ist irgendwie vor Gericht.

Wie sieht es denn im Haus aus? Habt ihr euch abgesprochen, wenn jetzt alle den gleichen Gegner haben und sich mit solchen Sachen rumplagen?

Ja, also am Anfang haben wir hier die Mietergemeinschaft reingeholt und haben eine komplette Mieterversammlung gemacht. Aber jetzt ist es so, als wenn jeder für sich kämpft vor den Gerichten, und die Gerichte entscheiden meistens vermieterfreundlich. Und der Mieter ist der Angearschte. Und langsam aber sicher erhöht Franell die Mieten, so dass die Leute das nicht mehr bezahlen können und raus müssen. Also ich zahle gerade 715 Euro kalt. Würde ich rausgehen, würde er die Wohnung für 1.200 kalt vermieten bei den Preisen, die jetzt gerade in Kreuzberg sind.

Habt ihr sonst noch versucht, euch zu wehren?

Jetzt versuchen wir über die Öffentlichkeit und über Politiker und Politik was zu bewegen. Sonst bin ich jetzt auch beim Gecekondlu (das Protestcamp Kotti & Co; vgl. ak 575) dabei und bei den ganzen Demonstrationen, zum Beispiel der "Wir bleiben alle"-Demo letztens. Es ist ja nicht nur in Kreuzberg so, das betrifft ja ganz Berlin, dass die Berliner alle systematisch rausgeschmissen werden aus ihren Kiezen.

Den Termin zur Schlüsselübergabe habt ihr verstreichen lassen, ihr seid in der Wohnung geblieben, das ist ja durchaus ein krasser Schritt. Wie ist es zu dieser Entscheidung gekommen?

So krass ist der Schritt eigentlich nicht. Du bist zu Hause, und da kommt einer mit Gewalt und nimmt dich da raus. Da kannst du nicht einfach sagen: Hier hast du meinen Schlüssel von meinem Zuhause und viel Spaß noch, und ich geh mal jetzt. Ich finde, in ganz Berlin brodelt es, da muss viel mehr gemacht werden. Da möchte ich ein Zeichen setzen, dass man das mit uns nicht machen kann. Dass die Leute einfach aus ihren Wohnungen rausgeschoben werden, ohne dass es jemand merkt. Man kann sich ja ausmalen, wo die Leute dann hinkommen, in die Randbezirke oder in Großsiedlungen.

War dir das schon länger klar, dass ihr den Schlüssel nicht abgebt und in der Wohnung bleibt?

Das war mir nicht klar. Also ich habe nicht gedacht, dass ich überhaupt den Schlüssel abgeben muss. Ich hab ja immer noch die Hoffnung gehabt, das Amtsgericht hat irgendwas falsch gemacht, das Landgericht hat irgendwas falsch gemacht, aber der Bundesgerichtshof, der wird das richten. Als ich gemerkt habe, was für eine Ungerechtigkeit da passiert, da hab ich gedacht, das kann doch nicht sein. Dass die Gerichte einem, der dich obdachlos macht, auch noch Recht geben.

Habt ihr während dieser ganzen Entwicklung Unterstützung erfahren?

Ja, von den Nachbarn, da gibt's Unterstützung. Sie fragen mich immer, wie es geht, was ich mache, wie man mir helfen kann. Ich finde das gut, dass da Unterstützung organisiert wurde und dass spontan so viele Leute gekommen sind, nachdem sie davon erfahren haben. Wenn man nichts tut, hat man schon verloren. Und es geht einem auch viel besser dabei, wenn man was tut. Es ist auch ganz wichtig, dass die Medien dabei sind, damit das noch sichtbarer wird.

Du verlässt ja mit der Entscheidung, hier heute in der Wohnung zu bleiben diesen Rahmen von Rechtsstreitigkeiten und Gerichtsurteilen. Fürchtest du eigentlich die Konsequenzen?

Eigentlich nicht, nein. Weil das Gesetz hat uns ja verlassen und nicht wir das Gesetz. Es ist schon ungerecht, dass das überhaupt passiert. Ich bin ja für das Gesetz. Es ist gut, dass man das Zusammenleben damit irgendwie verbessert oder gerechter macht, aber das hier hat nichts mehr damit zu tun. Das ist schon ungerecht hoch 10, was mit uns passiert. Das schockiert mich ja am meisten, das macht mich wütend. Da wird so ein Typ, der nur Kohle machen will, auch noch vom Gesetz unterstützt. Der bekommt noch Recht von Richtern. Und wer macht diese Gesetze? Die Politiker. Das ist Lobbyarbeit.

Du hast schon gesagt, dass ihr nicht die einzigen Betroffenen seid. Wie beurteilst du die Gesamtsituation in Berlin gerade?

Ich hab das Gefühl, dass Berlin verkauft wird. Berlin wird verkauft, aber nicht an die Berliner. Die Stadt wird vermarktet an die Meistbietenden, und die wollen dann ihr Geld wieder reinholen und erhöhen dafür die Mieten. Der Markt bietet es gerade: Wohnungen sind knapp, dafür hat die Politik ja gesorgt in den letzten Jahren. Und ich glaube, Berlin wird nicht mehr Berlin sein, wenn das so weitergeht.

Was würdest du dir wünschen?

Na, dass Berlin wieder den Berlinern gehört. Ich bin ja hier in Kreuzberg aufgewachsen in den 80er Jahren, da wollten sie alle Altbauhäuser plattmachen. Da haben die Menschen auch gekämpft, haben Häuser besetzt und verhindert, dass sie abgerissen werden, um Neubau hochzuziehen. Heute, 30 Jahre später, heißt es, die Altbauten seien das Beste, was es gibt. Damals hat man dafür gekämpft, jetzt kommen die Banken und die Leute mit Geld und versuchen, daraus nochmal Geld zu machen. Und jetzt wird es wieder Zeit, dass man man kämpfen muss.

Gegen hohe Mieten und Verdrängung

In mehreren Städten protestierten am 10. November Tausende gegen hohe Mieten und Verdrängung. In Berlin zogen 1.000 Menschen durch Kreuzberg; am 13. November begann die Konferenz der Mieterinitiative Kotti & Co zum Sozialen Wohnungsbau. In der Hamburger Innenstadt forderten 3.000 einen Stopp des »Mietenwahnsinns«, und in Freiburg demonstrierten 500 für bezahlbaren Wohnraum und ein »Recht auf Stadt«.

-> www.stadtderzukunft.org

-> mietenwahnsinn.rechtaufstadt.net

-> www.rechtaufstadt-freiburg.de