Krauts in Mali
International Die Pläne des Westens für ein Eingreifen in Mali werden konkreter
Von Bernard Schmid
Am 30. September 2012 erklärte der Oberkommandierende der US-Streitkräfte für Afrika (Africom), US-General Carter Ham, in Algier: »Die Situation kann nur auf diplomatischem oder politischem Weg gelöst werden.« Er spielte damit auf eine mögliche Militärintervention im Sahelzonenstaat Mali an. Malis Nordhälfte halten seit dem Frühjahr drei miteinander rivalisierende Djihadistengruppen besetzt.
Die US-Regierung hat sich - anders als Hams Äußerung vermuten lässt - noch nicht festgelegt, ob sie ein militärisches Einschreiten unterstützt oder nicht. Die Entscheidung für oder gegen eine Militärintervention ist seitens einer Weltmacht ja selten eine Prinzipienfrage oder moralische Angelegenheit. Eher ist sie eine Sache des interessengeleiteten Kalküls.
Bringt es mehr, als es kostet - oder droht die Waage in die umgekehrte Richtung auszuschlagen? Wenn Letzteres der Fall ist, sperrt man sich gegen eine Intervention, wie es aktuell die NATO-Mächte gegenüber einem direkten Eingreifen in Syrien tun. Überwiegen die Nutzfaktoren oder wird das Risiko für gering gehalten, hat man nichts dagegen.
Vier Wochen nach General Ham besuchte US-Außenministerin Hillary Clinton die algerische Hauptstadt. Bei Gesprächen mit Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika am 29. Oktober forderte sie, den Weg für eine militärische Intervention im südlichen Nachbarland freizumachen. Eine eigene Beteiligung algerischer Truppen verlangte Clinton zwar nicht, wohl aber eine Nutzung des algerischen Territoriums bei einem etwaigen militärischen Eingreifen.
Es wird zwar nicht von heute auf morgen gehen. Dennoch ist es höchst wahrscheinlich, dass es kurz- oder mittelfristig zu einer Militärintervention kommen wird. Zumindest trafen sich am 6. November bereits die Generalstabschefs der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (französisch CEDEAO, englisch ECOWAS) in der malischen Hauptstadt Bamako, um konkrete Szenarien für ein militärisches Eingreifen zu entwerfen.
Der Einsatz würde im Wesentlichen durch die CEDEAO/ECOWAS durchgeführt, aber durch westliche Staaten logistisch und eventuell auch unter Einsatz eigener militärischer Kapazitäten begleitet. Die Federführung hätte dabei Paris inne. Frankreich »kennt« als frühere Kolonialmacht die Region und besitzt dort nach wie vor großen politischen und ökonomischen Einfluss. Aus diesem Grund dürfte Frankreich sich aber mit einer eigenen, sichtbaren Beteiligung zurückhalten und lediglich logistische Hilfestellung leisten.
Welche Rolle Deutschland einnehmen wird, ist momentan unklar. Am 22. Oktober 2012 erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einer Tagung der Bundeswehr in Strausberg bei Berlin: »Freiheitliche demokratische Staaten können nicht akzeptieren, dass der internationale Terrorismus im Norden (Malis, ak) ein sicheres Rückzugsgebiet erhält.« (junge Welt, 24.10.2012)
Allerdings erhob der stellvertretende Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Major André Wüstner, wenige Tage später Einspruch: »Uns treibt die Sorge um, dass die Bundeswehr wieder einmal unüberlegt und verantwortungslos in einen Einsatz entsandt wird, der Teil einer lückenhaften politischen Konzeption ist.« (Süddeutsche Zeitung, 26.10.2012) Da wäre es wieder, das gute alte Kosten-Nutzen-Kalkül.
Gerechtfertigt wird das beabsichtigte militärische Eingreifen in Nordmali mit der Präsenz von drei Djihadistengruppen, die jeweils einen Teil des weitläufigen Territoriums kontrollieren. Vor diesem Hintergrund warnen viele BeobachterInnen und auswärtige Mächte ebenso wie PolitikerInnen der malischen Zentralregierung, dass der Norden Malis »zu einem zweiten Afghanistan zu werden droht«.
Damit spielen sie nicht so sehr auf das gegenwärtige Geschehen in dem Land am Hindukusch an, sondern auf die Situation Afghanistans vor September 2001. Afghanistan war damals - nach dem 1988/89 erfolgten Rückzug der Sowjetunion - durch die Großmächte zunächst ignoriert worden und hatte sich daraufhin zum Rückzugsraum für international operierende Djihadisten wie das Netzwerk Al Kaida entwickeln können.
Die zerstrittenen Djihadisten stoßen auf wenig Rückhalt
Untereinander sind sich die Djihadistengruppen in Mali nicht völlig grün. Die Bewegung Ansar ed-Dine (»Partisanen der Religion«) besteht überwiegend aus »einheimischen« MalierInnen. Mehrheitlich aus AlgerierInnen und Angehörigen anderer Nationen zusammengesetzt ist die internationale Djihadistengruppe »Al Kaida im Land des islamischen Maghreb«, abgekürzt AQMI. Neben NordafrikanerInnen sollen in ihren Reihen auch Pakistani kämpfen. Drittens trifft man auf die »Bewegung für die Einheit und den Djihad in Westafrika« - abgekürzt MUJAO -, eine Abspaltung von AQMI, die vor allem aus West- und NordafrikanerInnen zu bestehen scheint. Auch wurde die Anwesenheit von KämpferInnen der nigerianischen Gruppe Boko Haram vermeldet, die im Norden des von konfessionellen Konflikten zerrissenen Landes Terror verbreitet.
Ursprünglich hatten all diese Gruppen mit der Tuareg-Rebellenbewegung MNLA (Nationale Befreiungsbewegung von Azawad) zusammengearbeitet. Die MNLA hatte im Januar mit ihrem Kampf gegen die Zentralregierung in Bamako begonnen - mutmaßlich mit Unterstützung einiger auswärtiger Mächte, zumindest mit Rückendeckung des Nachbarlands Burkina Faso. (Siehe ak 571)
Ihre Bestrebung, einen unabhängigen Staat unter dem Namen Azawad einzurichten, brach jedoch bald in sich zusammen. Zu diesem Zeitpunkt ließen die bewaffneten Djihadisten die Tuareg-RebellInnen fallen, bekämpften sie sogar. Im Juni floh die MLNA-Führung Hals über Kopf aus dem Land. In Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou wartet sie nun darauf, in eine eventuelle Verhandlungslösung einbezogen zu werden, auf die unter anderem Burkina Faso drängt.
Angesichts einer drohenden Militärintervention treten nun zwischen den Djihadistengruppen erste Differenzen auf. Besonders die überwiegend aus MalierInnen bestehende Gruppe Ansar ed-Dine signalisiert Bereitschaft für eine Verhandlungslösung. Als Gruppe, die weniger starke transnationale djihadistische Züge aufweist, verfolgt sie eher begrenzte, lokale Ziele.
Anfang November entsandte Ansar ed-Dine Delegationen in die Hauptstädte Algeriens und Burkina Fasos, um dort mit den beiden Regionalmächten ins Gespräch zu kommen. Am 6. November erklärte ihre Abordnung in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou, dass Ansar ed-Dine »den Terrorismus verurteilt« und sich für eine Verhandlungslösung ausspreche. So einfach dürfte das aber nicht werden: Die Gruppe hat in den letzten Monaten in den von ihr kontrollierten Landstrichen in Nordmali die Scharia in strengster Auslegung praktiziert - einschließlich der Amputation von Gliedmaßen. Der überwiegende Teil der Bevölkerung Malis will von solchen Praktiken aber absolut nichts wissen.
Gegen die Umtriebe der radikalen IslamistInnen regt sich inzwischen Widerstand auch vor Ort. In der Großstadt Gao schlossen sich zum Beispiel 24 zivilgesellschaftliche Vereinigungen zusammen, um sich gegen die Djihadistengruppe zu wehren, die die Stadt beherrschen. Im Juni 2012 kam es bei einer Demonstration zu einem Toten und mehreren Verletzten, als die Djihadisten das Feuer auf die TeilnehmerInnen eröffneten. Im August wurde eine öffentliche Verstümmelung verhindert, indem Hunderte von Jugendlichen den Platz der geplanten Verstümmelung besetzten und die Islamistenmilizen einfach nicht durchließen.
Mit ausländischer Hilfe gegen 4.000 Djihadisten
Allerdings beginnen die djihadistischen Gruppen inzwischen, sich eine soziale Basis aufzubauen: Ein Teil des Geldes, das sie von reaktionären Golfstaaten erhalten, verteilen sie an die örtliche Bevölkerung und sichern sich damit angesichts der weitverbreiteten Armut gewisse Sympathien. Nachdem die örtliche Bevölkerung den Djihadisten anfänglich in Erwartung einer baldigen Rückeroberung der Region durch Einheiten Südmalis fast geschlossen feindlich gegenüberstand, beginnt diese Ablehnung zu bröckeln.
Von französischen Experten, die Le Figaro zitiert, wird der »harte Kern« der Djihadisten (also sozusagen die Kommandoebene) auf 40 Mann, die Zahl der zuverlässigen Kämpfer auf 200 bis 400, und jene der Fußtruppen - von denen viele lediglich aus materiellen Gründen dabei sind - auf 3.000 bis 4.000 geschätzt. Um gegen diese Kräfte anzutreten, bedarf es mutmaßlich keiner riesigen Streitmacht. Allerdings müssen sich eventuelle Interventionstruppen auf einen Wüstenkrieg in einem sehr speziellen Terrain mit schwierigen klimatischen Bedingungen einstellen.
Eine Niederlage der Djihadisten im Norden Malis wäre gewiss keine Sache, die zu bedauern wäre. Eine deutliche Mehrheit der malischen Bevölkerung wünscht sie sich sicherlich. Daran, dass die Radikalislamisten über kurz oder lang zu den Verlierern einer militärischen Auseinandersetzung gehören dürften, bestehen wenig Zweifel. Erheblich mehr Fragen stellen sich jedoch bezüglich der möglichen Profiteure einer militärischen Intervention.
Brächte ein Sieg der Armee Frieden?
Denn auch im Süden Malis gibt es heftige soziale und politische Auseinandersetzungen. Nach einer Demonstration von Soldatenfrauen, die gegen den Einsatz ihrer Männer im Norden protestierten, putschen am 22. März 2012 junge Offiziere. Sie gehörten zu der bislang nicht in die grassierende Korruption bei Armee und Politik eingebundene Generation. Linksnationalistische Sympathien in Teilen der Bevölkerung begleiteten die vorübergehend amtierende Militärregierung.
Im August 2012 wurde sie jedoch auf Druck der Nachbarländer und Frankreichs durch eine »nationale Einheitsregierung« abgelöst. Mit dem Argument, die Staatsautorität müsse auf eine breitere Basis gestellt werden, übt jetzt der sozial-konservative islamische Klerus in Gestalt des Hohen Islamischen Rats (HCI) eine starke Position aus. Ihm wird zugetraut, Einfluss auf die Basis der Islamisten nehmen zu können.
Gleichzeitig geht es den Staaten der CEDEAO/ECOWAS unter anderem darum, die alte Oligarchie wieder in ihre Positionen einzusetzen, die vor März 2012 unangefochten regieren konnte. Deshalb soll auch der Süden Malis besetzt werden. Geplant ist, in der Hauptstadt Bamako das Hauptquartier der Interventionstruppen zu errichten. Dagegen sperrt sich allerdings noch die malische Übergangsregierung, die im Prinzip keine Einwände gegen ein militärisches Eingreifen hat.
Am 24. September, zwei Tage vor der UN-Vollversammlung, bei der der französische Staatspräsident François Hollande für eine Intervention gegen die Djihadisten in Nordmali plädierte, kam es zu einem Formelkompromiss. Mali und die CEDEAO/ECOWAS einigten sich auf eine Truppenstationierung »in Bamako oder Umgebung«, jedoch »ohne, dass sie durch die örtliche Bevölkerung als Provokation aufgefasst« würde. Noch besteht auch auf dieser Ebene ein erhebliches Konfliktpotenzial.
Bernard Schmid schrieb in ak 576 über die französische Afrikapolitik unter François Hollande.