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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 577 / 16.11.2012

Nur für Eingeweihte

Diskussion N-Wort, Sl*ts und Triggerwarnung - die neuen linken Sprachpraktiken schaffen vor allem eines: neue Ausschlüsse

Von Hannah Wettig

Seit den späten 1960er Jahren ist Sprache zum politischen Kampflatz der Linken geworden, zunächst in den USA, spätestens ab den 1980er Jahren auch in Deutschland. »Schwarz« wurde durch »afrodeutsch« ersetzt, »behindert« durch »körperlich eingeschränkt«, »Integration« durch »Inklusion«. Die Idee dahinter ist, dass sich Bewusstsein durch Sprache ändern ließe - oder genauer gesagt, durch Wörter.

Der neueste politische Diskurs schreibt eine Sternchen- und Bindestrich-Sprache. In der Blogosphäre liest man nun von V*rg*w*lt*g*ng, von Sl*twalk und dem N-Wort. Dazu gibt es meist noch eine »Triggerwarnung«, die vor Wörtern warnen soll, die belastende Situationen heraufbeschwören können. Beispiel: Eine Bloggerin macht sich Gedanken darüber, wie sie rassistische Wörter in Kinderbüchern umgehen kann. Ein Problem stellt für sie Pippi Langstrumpf dar, weil deren Vater ein »Negerkönig« ist. Sie sagt stattdessen »König auf einer Südseeinsel«. Ein anderer Blog verweist positiv auf diesen Beitrag, spricht aber eine Triggerwarnung aus, weil das »N-Wort ausgeschrieben« sei.

Unterstrich und Sternchen - mehr als eine Spielerei?

Die Bindestriche und Sternchen haben Anhänger der Critical-Whiteness-Theorie für sich entdeckt. Wer verstehen will, was es damit auf sich hat, kann das im Buch »Rassismus auf gut deutsch« von Adibeli Nduka-Agwu und Antje Lann Hornscheidt nachlesen. Allerdings müsste man wohl auch hier eine Triggerwarnung aussprechen: Nur für AbsolventInnen eines geisteswissenschaftlichen Hochschulstudiums verständlich! Das Frauen-Online-Magazin Aviva urteilt über das Buch: »Es schafft sich eine eigene Zeichensprache, die wohl nur noch die beteiligten AutorInnen wirklich zu dekodieren wissen. Mit der gesprochenen Alltagssprache haben diese buchstäblichen Versuche, die Weltordnung in neue Fugen zu bringen, weniger zu tun. Sie bleiben bis zu einem gewissen Punkt eine wissenschaftliche Spielerei.«

Gegen Spielereien ist nichts einzuwenden. Eine andere Autorin der Critical Whiteness beginnt ihr Buch damit sehr effektiv: Noah Sow beschreibt in »Deutschland Schwarz-Weiß« ihre Herkunft: über ihre Großmutter, die 16 Geschwister hatte, über die Schwierigkeiten ihrer Nation, bei all den Dialekten eine gemeinsame Sprache zu finden, bis zum abscheulichen Brauch, Schädel zu bemalen und ins Wohnzimmer zu stellen. Wer ihr Foto sieht, denkt, sie schreibe über eine afrikanische Familie. Aber nein: Sie meint ihre deutsche Großmutter. Den Brauch mit den Schädeln gibt es tatsächlich im Süddeutschen. Es ist das Spiel: Stell dir vor, die Welt wäre anders herum. Dasselbe Konzept wandte schon der feministische Klassiker »Die Töchter Egalias« an. Darin sind die Rollen vertauscht. Das Herrlein macht die Küche und wird von seiner Frau nicht geheiratet, weil die sich über bürgerliche Normen hinwegsetzen will. Bis ins Detail arbeitet Gerd Brantenberg mit dieser Methode Geschlechterunterschiede heraus.

Seit der Lektüre vor 20 Jahren wende auch ich die Methode des Umdrehens an, um zu beurteilen, ob etwas sexistisch oder rassistisch ist. Das hat Grenzen. In einem Blogbeitrag auf Mädchenmannschaft.net (»Die Politik Schwarzer Haare«) ließ kürzlich eine Autorin ihrer Wut freien Lauf, weil eine Friseurin ihre »Negerlöckchen« gelobt hatte. Stellte ich mir vor, dass etwa in Ägypten ein Friseur meine »Germanenhaare« lobte, würde mich das nicht irritieren, weil, wie Noah Sow richtig schreibt, ich damit aufgewachsen bin, dass an meinem Weißsein nichts Anstößiges ist.

Es gab aber Situationen, die mich betroffen und wütend gemacht haben. Als ich für ein Jahr in den USA zur Schule ging, saß in jedem B-Western in Anlehnung an die Marlene im Blauen Engel eine laszive Blondine auf dem Klavier. Da diese Dame stets mit deutschem Akzent sprach, fanden meine Mitschüler den Akzent sexy, also auch mich. Dass ich qua Nationalität zum Sexobjekt stilisiert wurde, fand ich nicht witzig. Als dann auch noch ein Mitschüler mich als St-Pauli-Girl bezeichnete, rastete ich aus. Der arme Kerl war erschüttert, hatte er sich doch auf eine Biermarke bezogen, die in Milwaukee hergestellt wurde, von der er aber glaubte, ich müsse sie kennen, weil sie als deutsch vermarktet wurde. Er wusste nicht, dass der Hamburger Stadtteil St. Pauli berühmt für seine Prostituierten war. Heute, da St. Pauli ein hipper Szenekiez geworden ist, würde eine junge Deutsche im Austauschjahr vielleicht nicht mehr wütend werden. Die Sache hat sich geändert und damit die Bedeutung des Wortes.

Wenn ich mit dem Bezeichneten etwas Positives verbinde, dann kann das einstmals degradierende Wort sogar eine positive Konnotation bekommen. Das hat im politischen Diskurs die Schwulenbewegung geschafft. Spätestens seit der Selbstbezeichnung eines Bürgermeisters »Ich bin schwul, und das ist auch gut so« ist aus dem Schimpfwort ein Synonym für Urbanität, Modernität und Erfolg geworden. Das hat funktioniert, weil die Schwulen in ihrem politischen Kampf das Wort beibehalten haben und auch, weil es ein einfaches Wort ist.

»Migrationshintergrund« oder People of Color

Etwas Ähnliches haben die Leute von Kanak Attak versucht, indem sie sich das Wort »Kanake« positiv angeeignet haben. Das hat weniger gut funktioniert, auch wenn mancher Rapper sich als »Kanake« bezeichnet. Die positive Aneignung konnte nicht glücken, da die tatsächlichen Gegebenheiten sich nur wenig geändert haben. Ob jemand nun »Kanaken« sagt oder »Menschen mit Migrationshintergrund«: Bei dem/der ZuhörerIn entsteht das Bild eines Menschen, der weniger gebildet und weniger erfolgreich ist, im schlimmeren Fall wird auch noch Kriminalität, Frauenfeindlichkeit oder religiöser Fanatismus assoziiert. Keines dieser Vorurteile wird korrigiert, wenn man stattdessen von »People of Color« spricht.

Welches Wort ich benutze, ändert nichts, solange sich die Verhältnisse nicht ändern. Im Gegenteil: Immer neue und unförmigere Wörter problematisieren das Andere, wo es gar nichts zu problematisieren geben müsste. So ist es beim N-Wort, das seinen sprachlichen Vorläufer im »F-word« hat. »F-word« sagt man im Englischen, um »Fuck« zu vermeiden, etwa wenn man jemanden zitiert: »He used the f-word.« Man verzieht dabei regelmäßig den Mund und zeigt damit, dass es sich um etwas Anstößiges handelt. Gemeint ist, dass die Bezeichnung anstößig ist. Empfunden wird aber, dass es auch das Bezeichnete ist.

Wortkonstruktionen ohne politischen Nutzen

Man stelle sich vor, jemand erzählt von den neuen NachbarInnen. Der Satz »Die haben einen Migrationshintergrund« klingt wie eine Diagnose. Da könnte selbst das wenig politisch bewusste »Das sind Ausländer« weniger negative Gedanken wecken.

Dass die Fülle an neuen Wortkonstrukten keinen politischen Nutzen hat, dürfte den akademischen VertreterInnen von Critical Whiteness bewusst sein. Nichtsdestotrotz begreifen sie ihre Neufindungen keineswegs als Spielereien, sondern als neues Dogma. Eine Kernthese von Adibeli Nduka-Agwu und Antje Lann Hornscheidt ist, dass »jedes Nichteingreifen in rassistische SprachHandlungen eine rassistische SprachHandlung (ist)«. Nicht nur handelt also die Friseurin rassistisch, weil sie nicht weiß, dass man »Negerlöckchen« nicht sagt, sondern auch die KundInnen, die daneben sitzen und sie nicht zurechtweisen. Der Aktivist, der vor Jahren aus Afghanistan geflohen ist, handelt rassistisch, wenn er die Menschen, für deren Rechte er kämpft, als »Flüchtlinge« bezeichnet, und ich, wenn ich nicht eingreife und ihn darauf hinweise, dass es »Geflüchtete« heißt.

Eine solche Herangehensweise schafft mehr Rassismen, Klassismen und Sexismen, als sie zu bekämpfen vorgibt. Denn all diejenigen, die nicht die Zeit oder die Bildung haben, sich die neuen Konstruktionen anzueignen, laufen ständig Gefahr, sich schuldig zu machen. Schlimmer noch: Die Akademikerin muss die Friseurin mit Hauptschulabschluss und einem Stundenlohn von sieben Euro ermahnen. Die deutsche Studentin verbietet dem Aktivisten aus Afghanistan den Mund.

Diese Ausschlüsse schaffen vor allem eins: eine elitäre Kaste der Eingeweihten. Wie Ayse Arslanoglu im Magazin Hinterland schreibt: »Wo (die Moral) den Konflikt in individuelle Regeln zu bannen oder ihm zuvorzukommen sucht - dieses darf gesagt werden, jenes muss expliziert werden - schafft sie nur Merkaufgaben für Streber_innen, die auf diesem Ticket dann Karriere machen.«

Hannah Wettig ist freie Journalistin und berichtet vor allem aus arabischen Ländern.