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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 578 / 21.12.2012

Sei ganz du selbst und immer für uns da

Wirtschaft & Soziales Neue Bilder vom arbeitenden Menschen

Von Katja Kullmann

Die Elbe hat ein südliches und ein nördliches Ufer. Auf beiden Seiten des Flusses wird Geld verdient, wird geschafft und geschuftet. Am Südufer tobt die alte Arbeit - am Nordufer die neue. Unten, am Südufer, poltert, quietscht und rumpelt es. Tonnenschwere Container werden dort herumgeschoben, Tag und Nacht. »Wie riesig, rau und roh!«, staunen Hamburg-TouristInnen, wenn sie in zierlichen Barkassen an Tankern entlang schaukeln, die wie schwimmende Hochhäuser wirken. Jede Hafenrundfahrt führt Kräne und Docks vor wie Sensationen. Menschen sind in jener Gegend kaum zu sehen. Sie müssen irgendwo im Metall stecken, wo sie Hebel bewegen, Schrauben festzurren oder andere altmodische, grobe Dinge tun.

Hell, sauber und ruhig geht es am nördlichen Elbufer zu. Hier hat die Hafencity sich aufgebaut, hier steht seit 2009 das Unilever-Haus - »das beste Bürohaus der Welt«, wie eine internationale Architektenjury befand. Im Vergleich zu den stumpf lackierten Docks funkelt es wie ein Fake-Diamant: Glasfronten, Lichtspiele. Es könnte auch ein Casino in Las Vegas sein oder eine Shopping Mall in Shanghai. Schon wenn man das Gebäude von Weitem sieht, versteht man: Hier wird mit sauberen Händen agiert, auf blank polierten Fußböden. Die Menschen, die hier ein- und ausgehen, sprechen bestimmt fließend Englisch. Sie werden weiße Zähne haben, gute Manieren, klare Lebensziele und auch sonst kaum Sorgen.

Fantasie vom optimalen Büro

Manchmal kann man beobachten, wie sie aus dem Glitzerklotz heraustreten und ihn umtraben - joggende Angestellte. »Es gehört einfach zum Arbeiten dazu, diese Entspannung zwischendurch«, sagt ein Unilever-Manager. »Arbeiten, Pause, Arbeiten, Pause: Das ist das, was den Kopf wieder freimacht, das ist das, was dazu führt, dass man eine vernünftige Performance bringt.«

»Ein neues Produkt« heißt ein aktueller Kurzfilm, in dem das Unilever-Haus eine Hauptrolle spielt und der Unilever-Manager die Philosophie des Bürohauses erläutert. Auch PersonalmanagerInnen und UnternehmensberaterInnen lassen in der Dokumentation ihren Fantasien vom optimalen Büro und vom idealen Arbeitnehmer freien Lauf. Gedreht hat das Werk der Filmemacher Harun Farocki. (1) Seit 25 Jahren hält er Szenen aus dem Erwerbsalltag fest. »Die Schulung« (1987) oder »Der Auftritt« (1996) heißen die zehn- bis dreißigminütigen Filme. In »Ein neues Produkt« (2012) stehen nun nicht die MitarbeiterInnen im Fokus, sondern die Räume, in denen sie sich bewegen, vielmehr: die Räume, in denen sie sich bewegen sollen.

Unkommentiert lässt Farocki verschiedene Human-Resources-SpezialistInnen vor sich hinbrabbeln, lässt sie Schaubilder malen und Sprechblasen in die Luft blubbern - Realsatire. Regel Nr. 1 lautet demnach: Weg mit den »Gipskartonzellen«, in denen der Angestellte sich hinter Stofftieren und Stechpalmen verstecken kann! Regel Nr. 1b lautet: Glasfronten sind gut. Weil man durch Glas durchschauen kann. Das gefällt den Menschen. Da fühlen sie sich nicht so allein. Da spüren sie, dass sie Teil eines großen Ganzen sind.

Unilever ist ein Global Player, der Gebrauchsgüter von hoher Künstlichkeit und niedrigem Wert herstellt. Waschmittel, Eiscreme, Tütensuppen zählen zum Sortiment. Gut 165.000 MitarbeiterInnen beschäftigt der Konzern weltweit. Im Fake-Diamant in der Hamburger Hafencity wird allerdings nichts produziert; nur die Weiße-Kragen-Abteilungen sind hier eingezogen: das Marketing, der Verkauf und eben das Management. Das Besondere an dem Gebäude: Auch öffentlich zugängliche Restaurants, Sportstudios und Veranstaltungsräume finden sich unter seinem Dach. Gäste können sich in Konferenzsäle einmieten. Jeden Tag kämen rund 2.500 Neugierige vorbei, um sich alles mal von innen anzusehen, erzählt stolz ein Unilever-Manager in die Kamera.

Wenn es nach ihm geht, sind die Angestellten innerhalb der Firmenerlebniswelt so leicht umräumbar wie Schaufensterpuppen. Keine festen, eigenen Schreibtische, keine eigene Kaffeeküche. Stattdessen soll man sich mal in »Meeting Points«, mal in »kleinen Wabenkästen« organisieren - mal als AlleinarbeiterIn in »Selbstdisposition«, dann wieder als Kommunikationstalent »im Team«. Man soll nicht an einzelnen Möbelstücken oder KollegInnen kleben, sondern immer ganz bei sich, ganz man selbst sein - soll sich jederzeit selbst zusammenfalten, mitnehmen und anderswo wieder aus- und entfalten können.

Gnadenloser Rhythmus

Ein Unternehmensberater, der bei Vodafone in Düsseldorf von Ähnlichem träumt, doziert: »Individualität muss eben anders stattfinden, als dass ich sage: Ich hab hier meine eigenen Blumen und meine eigene Artenvielfalt in Form irgendwelcher Postkarten und Überraschungseierinhalten.«

Von jeher versuchen Menschen, das Ding »Arbeit« irgendwie festzuhalten, sich ein Bild davon zu machen. Immer erzählen die Bilder der Arbeit auch von Zeittakten und Herrschaftsverhältnissen - von den Rahmenbedingungen eines durchschnittlichen Erwachsenenlebens.

Tatsächlich trägt einer der ersten Filme überhaupt den Titel »Arbeiter verlassen die Fabrik«. Er entstand 1895. Zu sehen sind Hunderte Arbeiterinnen und Arbeiter, wie sie aus den Toren des Lumière-Werks in Lyon strömen, alle zur selben Minute, alle scheinen es sehr eilig zu haben. Eine Generation später kämpft Charlie Chaplin im Stummfilm »Moderne Zeiten« als überfordertes Latzhosenmännchen mit Zahnrädern, Stechuhr und Fließband - mit allen möglichen Maschinen, die ihm gnadenlos den Rhythmus vorgeben. Ein typischer Fall von entfremdeter Arbeit.

Bald darauf wird aus dem Latzhosenmännchen das Aktenkoffermännchen: Die Angestellten sind geboren. Überall hält die Rationalisierung Einzug, und die muss von kühlen Köpfen in klimatisierten Büros verwaltet werden. Der Soziologe Siegfried Kracauer notierte 1929: Es bildet sich »ein Angestelltentypus heraus, der sich uniformiert in Sprache, Kleidern, Gebärden und Physiognomien. (...) Das junge Volk, das in den breiten Schichten zwischen dem Proletariat und dem Bürgertum aufwächst, passt sich mehr oder weniger leicht dem Betrieb an.« (2)

Projektarbeit und Dress Codes

Nicht mehr körperliche Kraft ist jetzt entscheidend, sondern sprachlicher Ausdruck und Umfangsformen. Erste Managementtechniken, die aus der Psychologie entlehnt sind, machen sich breit. Die wertvollste Qualität perfekter MitarbeiterInnen besteht fortan in ihrem »angenehmen Aussehen«, eine »moralisch-rosa Hautfarbe« sei unabdingbar, schreibt Kracauer.

Je mehr Waren von den rationalisierten Maschinen schließlich produziert werden, desto anstrengender wird es, den ganzen Krempel unter die Leute zu bringen. Neue Verwertungsdisziplinen wie Marketing oder Marktforschung erblühen. Spätestens ab den 1980er Jahren ist der Arbeitsplatz »Werbeagentur« so beliebt wie kaum ein anderer. Frei fließende Arbeitszeiten gehören zum Mythos ebenso wie unbegrenzte Spesenkonten und ein legerer bis individueller Dress Code.

Schon bald begehren Angestellte aus konservativeren Branchen Ähnliches. Und so führt auch das Bankengewerbe in den 1990er Jahren »Projektarbeit« ein, belohnt die Versicherungsbranche MitarbeiterInnn mit »Incentive Reisen« und statten Medienkonzerne ihre Belegschaften mit »Think Tank Lounges«, Espressomaschinen und Stehtischen auf den Fluren aus.

Lange Zeit wirkt es so, als ob der Arbeitsplatz mehr und mehr zum Spielplatz wird, mit dem Internetunternehmen Google als leuchtendem Vorbild: Hier stehen den MitarbeiterInnen Rutschbahnen und Tischtennisplatten zur Verfügung. Die flexiblen Unilever-MitarbeiterInnen, die sich auf Firmenkosten fit halten dürfen und sich auf sieben preisgekrönten Etagen je nach Bedarf verschieben lassen: Sie sind so etwas wie die Quintessenz aus all den Vorgängern - die perfekte Kombination aus Zahnrad-Männchen und kreativem Team Player.

Scheinbar »flachere Hierarchien« suggerieren Mitbestimmung - doch ist das Regiment der Firma über den Arbeitsalltag damit keineswegs geschwächt. Im Gegenteil: Das Unternehmen delegiert die schwankenden Anforderungen des Marktes nun einfach direkt an den Einzelnen. »An die Stelle der Steuerung durch Vorgesetzte tritt die indirekte Steuerung über Kennziffern«, stellen die Arbeitssoziologen Nick Kratzer und Dieter Sauer fest. (3) Der draußen tobende Wettbewerb wird direkt an die MitarbeiterInnen weitergereicht, die mit Zielgesprächen und Monitoring zusehen müssen, wie sie das Soll erfüllen.

Zur externen Arbeitsmarktkonkurrenz - dem Kampf um lohnende Jobs - kommt ein interner Wettbewerb hinzu. Die Erwartung, dass die MitarbeiterInnen all ihre »lebensweltlichen Ressourcen« einbringen - dass sie ihre Leibesertüchtigung, das Shoppen, ihre Empathie, mithin ihre ganze Persönlichkeit dem Unternehmen zur Verfügung stellen -, bezeichnen die Soziologen als »systemische Rationalisierung«. Bei Vodafone in Düsseldorf klingt das so: »Theoretisch soll (das Unternehmen) auch der Ort sein, an dem der Mitarbeiter wohnt oder Kaffee trinkt.«

Vielleicht haben es die HafenarbeiterInnen am Südufer der Elbe doch besser. Sie können ihren Job auch mal mit schlechter Laune erledigen, bei all dem Krach dürfte ihr Fluchen gar nicht weiter auffallen. Und solange sie nicht von einem Kran fallen, interessiert sich wohl auch niemand für ihren Body-Mass-Index.

»Die Möglichkeiten, die Arbeit geistig zu beleben und interessanter zu machen, damit sie innerlich mehr befriedigen kann, sind begrenzt«, heißt es in einem Zeitungsartikel mit der hübschen Überschrift »Wege zur Arbeitsfreude« aus dem Jahr 1929. »Deshalb muss nach Hilfsmitteln gesucht werden, die der seelischen Verödung der Arbeitermassen entgegen wirken können.«

Dubiose Belegschaftsmahlzeit

Im Unilever-Haus erklingt alle paar Tage ein Musikjingle. Kaum ist die Melodie zu hören, versammeln sich die MitarbeiterInnen auf den Freitreppen, auf Brücken und Balkons und lauschen der Ansage der firmeneigenen Entertainmentabteilung: »Guten Morgen, liebe Kollegen, ich möchte euch herzlich zu unserem Marktplatz einladen. Unsere Themen heute: Hilfreich - Bangladesch-Woche im Unilever-Haus. Und: Lecker - Genuss mit Schuss. Bis gleich im Atrium!«

»Genuss mit Schuss« bei den »Bangladesch-Wochen« - da werden sofort Erinnerungen an das »Filettöpfchen San Remo« wach. Das »Filettöpfchen San Remo« gelangte in den 1980er Jahren zu einiger Berühmtheit - und zwar in einem TV-Sketch von Gerhard Polt. Polt stand an einer Kantinentheke und diskutierte mit einer Kollegin das Für und Wider der dubiosen Belegschaftsmahlzeit. (4)

Für die hoch dotierten ManagerInnen aus den edleren Etagen sind die »Bangladesch-Wochen« Teil einer »ganz neuen Unternehmenskultur«: »Das zuzulassen, den Leuten diese Freiheit zu geben, ist genau das Richtige«, sagt einer von ihnen - und man spürt, dass er kein schlechter Mensch ist, tief in seinem Innern; man spürt, dass er aufrichtig und unbedingt glauben möchte, was er da sagt.

Katja Kullmann beschäftigt sich als Essayistin und Buchautorin mit Politik, Geschlechterfragen und neuen Arbeitswelten.

Der Artikel erschien zuerst in Hawaii Nr. 6, dem Magazin aus dem Schauspielhaus Hamburg.

Anmerkungen:

1) Siehe auch farocki-film.de.

2) Siegfried Kracauer: Die Angestellten. Frankfurt am Main 1971.

3) Nick Kratzer und Dieter Sauer: Entgrenzung von Arbeit. Konzept, Thesen, Befunde . In: Karin Gottschall u.a. (Hg.): Entgrenzung von Arbeit und Leben. Zum Wandel der Beziehung von Erwerbstätigkeit und Privatsphäre im Alltag. Mering 2005.

4) Siehe youtube.com/watch?v=2PAaqr9ZoZw.