Krieg um Coltan?
International Bei dem Krieg im Ostkongo geht es nicht nur um Ressourcenkonflikte
Von Alex Veit
Rebellenvormarsch, Verhandlungen mit der Regierung, Friedensabkommen, erneute Konflikteskalation: Der Osten der Demokratischen Republik Kongo erlebt seit mehr als 15 Jahren ein wiederkehrendes Konfliktmuster. Die Eroberung der Millionenstadt Goma im Osten des Landes durch die Rebellengruppe M23 Ende November war die jüngste Episode dieser Konfliktserie. (Siehe Kasten) Dies alles geschieht unter den Augen der gegenwärtig größten und teuersten Blauhelmmission der Vereinten Nationen, MONUSCO, die bereits seit 1999 beauftragt ist, die Kriege im Kongo zu beenden. Wieso gelingt es nicht, die Gewaltdynamiken im Ostkongo zu unterbrechen?
Die jüngste Eskalation der Gewalt in der Provinz Nord-Kivu begann im April. Ehemalige Rebellen, die aufgrund eines Abkommens vom 23. März 2009 in die kongolesische Armee eingetreten waren, gründeten unter Berufung auf diesen Friedensvertrag eine neue Rebellenorganisation namens M23. Ihrer Ansicht nach hielten sich Regierung und Armeeführung nicht mehr an die damaligen Abmachungen.
In dem Abkommen war festgehalten worden, dass die in die Armee eingetretenen Rebellen nicht in andere Landesteile versetzt werden können. Außerdem wurde ihr Anführer, Bosco Ntaganda, zum General ernannt, obwohl er vom Internationalen Strafgerichtshof seit Jahren per Haftbefehl als Kriegsverbrecher gesucht wird. Das Abkommen hatte die Rebellen begünstigt und ihnen erlaubt, ihre informellen Befehlsketten und dadurch die lukrative Kontrolle über Handelswege zu behalten.
Anfang dieses Jahres versuchte die Armeeführung jedoch, die ehemaligen Rebellen in weit entfernte Teile des Landes zu verlegen. Außerdem kündigte der kongolesische Präsident Joseph Kabila indirekt an, General Ntaganda verhaften zu lassen. Daraufhin verließen die ehemaligen Rebellen die Armee, rekrutierten im kongolesisch-ruandischen Grenzgebiet neue Kämpfer und nahmen seit April große Gebiete ein. Die kongolesische Armee erwies sich dabei als mehr und mehr kampfunfähig, so dass die Rebellen heute neben den Truppen der UN-Mission MONUSCO die größte Militärmacht in der Provinz Nord-Kivu darstellen.
Kontrolle von Handelswegen
Im November 2012 marschierte die M23 nun in Goma ein, zog sich aber nach Verhandlungen im Nachbarland Uganda knapp zwei Wochen später wieder aus der Stadt zurück. M23-Sprecher verdeutlichten jedoch, dass sie die Stadt jederzeit wieder besetzen könnten, falls ihre Forderungen nicht erfüllt würden. Dazu gehörte insbesondere die Wiedereröffnung des Grenzübergangs Bunagana zum Nachbarland Uganda durch die ugandischen Behörden Mitte November. Dadurch verloren die Rebellen Einnahmen aus Zöllen und Abgaben. Der Einmarsch in Goma, wo sich ebenfalls ein wichtiger Grenzübergang für den internationalen und lokalen Handel befindet, war daher wohl auch eine Reaktion auf die Schließung der Grenze in Bunagana.
Der Zusammenhang zeigt, wie wichtig die Kontrolle von Handelswegen für die Rebellengruppe ist. Doch auch andere Konfliktparteien versuchen, von den kongolesischen Bodenschätzen zu profitieren: Der ruandische Staat, der wichtigste mutmaßliche Unterstützer der M23 und einer Reihe von Vorgängerorganisationen, finanziert den einheimischen Wirtschaftsboom teilweise durch Mineralienimporte und -exporte. Von besonderem Interesse ist dabei insbesondere Coltan, das für die Herstellung elektronischer Geräte benötigt wird.
Ob und wieviele dieser Exporte nicht im Kongo offiziell deklariert werden, ist unklar. In Konkurrenz zueinander versuchen auch Institutionen des kongolesischen Staats zu profitieren - die Provinzregierung von Nord-Kivu etwa durch Zölle, Steuern und Abgaben, die nationale Regierung auch durch Vergabe von Förderkonzessionen an ausländische Bergbaufirmen. Unterschiedliche Armeeeinheiten schließlich kontrollieren eine der größten Minen in Bisie sogar direkt.
Die Annahme, dass die Jagd auf Ressourcen die Konfliktdynamik im Ostkongo bestimmt, hat inzwischen zu einer Reihe von westlichen Initiativen geführt. Teil davon ist ein von deutschen Behörden entwickeltes Zertifizierungssystem, mit dem die Herkunft von kongolesischen Bodenschätzen chemisch nachweisbar werden soll. Die der deutschen Regierung nahestehende »Extractive Industries Transparency Initiative« soll im Kongo Regierung, Behörden und »Zivilgesellschaft« zusammenbringen, um den Ressourcenabbau und -export zu reformieren. Am prominentesten ist jedoch ein US-amerikanisches Gesetz von 2010, das den Ankauf von nicht zertifizierten Bodenschätzen erheblich erschweren soll. Ob diese Initiativen die Konflikte beruhigen oder sogar noch antreiben, ist bislang jedoch unklar.
Kurzfristige Ad-hoc-Lösungen
Denn es wäre verkürzt zu behaupten, dass es in den bewaffneten Konflikten im Ostkongo einzig um Einnahmen aus dem Handel mit Bodenschätzen geht. Ausschluss aus den politischen und staatlichen Institutionen, Schutz der verschiedenen Bevölkerungsgruppen vor gegenseitiger Gewalt sowie ungeklärte Landkonflikte sind ebenfalls Teil der Konfliktdynamiken im Kongo. Hinzu kommt, dass Hunderttausende ZivilistInnen direkt und indirekt vom Bodenschatzabbau und -handel abhängig sind.
Aloys Tegera, Mitarbeiter des unabhängigen Pole-Forschungsinstituts in Goma, beklagte schon 2011 den »De-facto-Boykott« von Erzen, der die »lokale Wirtschaft stranguliert und der Subsistenzökonomie der Bevölkerung im Bergbausektor den Todesstoß versetzt.« Die Leichtigkeit, mit der die Anführer der M23 in kurzer Zeit Hunderte neue Rekruten in ihre Reihen einbinden konnten, spricht Bände über die ökonomische Chancenlosigkeit der überwiegend jugendlichen Bevölkerung. Die aktuellen Konfliktlösungsversuche ignorieren die sozio-ökonomischen Aspekte allerdings vollständig.
Stattdessen werden kurzfristige Ad-hoc-Lösungen gesucht, die sich auf militärische Fragen konzentrieren. Die kongolesische nationale Regierung, die sowohl im Inland als auch im Ausland kaum noch Legitimität genießt, verliert dadurch weiter an Einfluss. Laut einem in der ugandischen Hauptstadt Kampala verabredeten Abkommen soll die Millionenstadt Goma nun unter die Kontrolle von Beobachterteams der ICGLR (Internationale Konferenz der Region der Großen Seen) gestellt werden.
In der ICGLR sind unter anderem Uganda und Ruanda vertreten, denen die kongolesische Regierung vorwirft, die Rebellen der M23 zu lenken. Trotzdem sollen Militäroffiziere aus diesen Ländern nun gemeinsam mit der UN-Mission MONUSCO für Sicherheit in Goma sorgen. Die Rolle der kongolesischen Sicherheitskräfte, Gerichte und zivilen Behörden und auch der M23 muss in diesem Arrangement jedoch erst noch ausgehandelt werden.
Was hingegen fehlt, ist eine Idee, auf welche Weise die politische Zukunft der Region neu verhandelt werden kann. Die westliche Politik hat weitgehend das Interesse verloren seit den kongolesischen Präsidentschaftswahlen 2006, mit denen der Friedensprozess offiziell abgeschlossen wurde. Die UN-Mission MONUSCO wurde zwar weitergeführt, kann aber als auf ganzer Linie gescheitert betrachtet werden. Mehr als zehn Jahre lang setzten die Vereinten Nationen und ihre wichtigsten Mitgliedsstaaten einseitig auf Präsident Kabila. Doch unter dessen Regentschaft fiel das Land seit Ende Januar 2001 auf den letzten Platz im Index der menschlichen Entwicklung zurück, mit dem die Lebensumstände der Bevölkerung erfasst werden.
Auch die vom Westen verfolgte Demokratisierung scheiterte, nachdem das Regime zunächst das Wahlrecht zu den eigenen Gunsten änderte und anschließend die Wahlen im vergangenen Jahr fälschte. Die Konflikte im Ostkongo überließ das Regime dagegen der Armee. Die allerdings ist auch nach zehn Jahren international geförderter Reformen in einem desolaten Zustand. Absehbar ist, dass die Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und Armee im Ostkongo zumindest mittelfristig andauern werden. Die kongolesische Regierung wird versuchen, einige Armeeeinheiten wieder in einen kampffähigen Zustand zu bringen und dabei vermutlich auch wieder von der UN, afrikanischen und westlichen Verbündeten unterstützt werden. Die Rebellen der M23 hingegen genießen eine für sie vorteilhafte Situation, die sie in Verhandlungen nutzen werden, um von der Regierung weitere Konzessionen zu ihren Gunsten zu erreichen. Auf der Strecke bleiben die Bedürfnisse der Zivilbevölkerung, deren Interessen weder von internationalen Akteuren noch den kongolesischen Konfliktparteien vertreten werden.
Alex Veit ist Politikwissenschaftler. 2010 erschien von ihm im Campus-Verlag »Intervention as Indirect Rule. Civil War and Statebuilding in the Democratic Republic of Congo«.
Die Kongokriege
Vom Herbst 1996 bis Mai 1997 herrschte auf dem Territorium der heutigen Demokratischen Republik Kongo (damals Zaire) ein bewaffneter Konflikt, der als erster Kongokrieg bezeichnet wird. Dabei wurde der Diktator Mobutu Sese Seko von einer durch mehrere afrikanische Länder unterstützten Rebellenkoalition gestürzt. Nach dem Sieg der Rebellen erklärte sich Laurent-Désiré Kabila per Dekret selbst zum Präsidenten. Bereits 1998 brach erneut ein Krieg aus, der bis 2003 andauerte - der zweite Kongokrieg. Mehrere konkurrierende Rebellengruppen versuchten, die Regierung in Kinshasa zu stürzen; alle Seiten wurden massiv von unterschiedlichen afrikanischen Staaten unterstützt. 1999 wurde eine UN-Mission eingerichtet. Als im Januar 2001 Laurent-Désiré Kabila an den Folgen eines Attentats starb, folgte ihm sein Sohn Joseph nach, der seitdem Präsident des Landes ist.
Mehrere Friedensverträge, die Bildung einer Übergangsregierung und die Wahlen von 2006 beendeten die Konflikte im Kongo nicht. Allerdings beschränken sich die Kampfhandlungen seitdem auf die Ostprovinzen Nord- und Süd-Kivu sowie den Distrikt Ituri. Weiterhin sind lokale Streitigkeiten - wie ethnisch konnotierte Landkonflikte - mit zwischenstaatlichen Problemen zwischen Kongo, Ruanda und Uganda verknüpft. Die jüngste Episode der Kongokriege war die Eroberung der Millionenstadt Goma durch die Rebellengruppe M23 Ende November 2012.