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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 578 / 21.12.2012

So werden wir das Kind nicht schaukeln

Wirtschaft & Soziales Das Betreuungsgeld drängt Frauen aus dem Arbeitsmarkt ins Private und in die Hausarbeit

Von Johanna Hess

Nach monatelangen Auseinandersetzungen haben die Regierungsparteien am 9. November 2012 die Einführung des Betreuungsgeldes endgültig beschlossen. Vor allem die CSU hatte im vergangenen Jahr immer wieder darauf beharrt, das Betreuungsgeld einzuführen. In der amtierenden Familienministerin, Kristina Schröder, die ihr Profil als bekennende Antifeministin bereits an anderer Stelle geschärft hatte, hatte sich eine klare Befürworterin des Betreuungsgeldes gefunden. Was nach dem Beschluss von Vielen als »Kuhhandel« abgetan wurde, ist aus einer geschlechterpolitischen Perspektive und vor dem Hintergrund der krisenhaften Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt aus mehreren Gründen bedenklich. (1)

Doch zunächst ein kurzer Blick auf das, was mit dem Betreuungsgeld auf uns zukommt: Ab dem 1. August 2013 können Eltern von ein- und zweijährigen Kindern monatlich 100 Euro für jedes Kind im zweiten Lebensjahr und 150 Euro für jedes Kind im dritten Lebensjahr erhalten. Vorausgesetzt - und das ist eine entscheidende Kritik, die vonseiten frauenpolitischer Organisationen vorgebracht wurde - sie verzichten darauf, ihr Kind in öffentlichen Betreuungseinrichtungen oder von einer »Tagesmutter« betreuen zu lassen.

Im Grunde stellt das Betreuungsgeld damit einen Anreiz dar, die Erwerbstätigkeit für die Kindererziehung zu unterbrechen bzw. diese auf Teilzeitarbeit zu reduzieren. Für letztere Variante bedarf es halbtags einer Betreuung durch den unentgeltlichen Einsatz von Angehörigen, zum Beispiel der Großeltern, oder die private Kostenübernahme dauerhaft engagierter BabysitterInnen.

Betreuungsgeld bedeutet Verzicht auf Einkommen

Die Frage, an wen sich das Betreuungsgeld eigentlich richtet, wurde aus Regierungskreisen nie beantwortet. Im Grunde ist die Frage auch richtiger gestellt, wenn es heißt, wer kann es sich überhaupt leisten, für die Vollzeitbetreuung des eigenen Kindes mehrere Jahre auf ein Einkommen zu verzichten oder in Teilzeit zu arbeiten und daneben eine Betreuung privat zu bezahlen?

Mit der Ausnahme der wenigen Menschen, bei denen die intergenerationalen Beziehungen intakt sind, die eigenen Eltern im gleichen Ort leben und obendrein fit und willens sind, sich regelmäßig halbtags um die Enkel zu kümmern, wird der Kreis der potenziellen BetreuungsgeldbezieherInnen eng. Noch enger wird er, wenn berücksichtigt wird, dass ALG-II-EmpfängerInnen sowie Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus das Betreuungsgeld de facto nicht erhalten. Wie auch beim Elterngeld wird es ihnen angerechnet.

Im Grunde richtet sich das Betreuungsgeld nur an Menschen, die entweder über eigene Rücklagen oder ihre PartnerInnen finanziell abgesichert sind. Alleinerziehende sind dies in der Regel nicht. Ebenso Paare, die auf zwei Einkommen zur Finanzierung ihrer Familie angewiesen sind. Übrig bleiben Beziehungskonstellationen, in denen eine Person so viel verdient, dass die andere Person auf ein eigenes Einkommen zur Sicherung der Familie gänzlich oder teilweise verzichten kann.

Fortführung unsozialer und rassistischer Familienpolitik

Dies macht zum einen die unsoziale Dimension dieser familienpolitischen Maßnahme deutlich: diejenigen, die bereits mehr haben, werden noch mehr bekommen. Zum anderen wird aus bevölkerungspolitischer Perspektive deutlich, welche Familien als förderungswürdig angesehen werden (Familien mit hohem ökonomischen Kapital) und welche nicht: Familien mit niedrigem Einkommen sowie zugewanderte Familien mit prekärem Aufenthaltsstatus. Indirekt setzt die Regierung mit dem Betreuungsgeld ihre unsoziale und rassistische Politik damit auch im Bereich der Familienförderung fort.

Dass nun vor allem Paare, in denen eine Person über ein hohes Einkommen verfügt, vom Betreuungsgeld profitieren könnten, ist auch aus familienpolitischer und aus feministischer Perspektive ein herber Rückschritt. Denn mit dem Betreuungsgeld wird fortgesetzt, was mit dem Ehegattensplitting bereits fest installiert ist: die Privilegierung des »Familienernährermodells«. Aufgrund besserer Verdienst- und Aufstiegschancen am Arbeitsmarkt bleibt der Posten des »Familienernährers« in heterosexuellen Beziehungen noch immer überwiegend Männern. Frauen bleibt der Posten der »Zuverdienerinnen« vorbehalten.

Der durchschnittlich geringere Verdienst von Frauen führt dazu, dass eher Frauen das Betreuungsgeld in Anspruch nehmen werden als Männer. Dies erhöht erstens die Abhängigkeit einer Frau von ihrem Partner. In der Konsequenz bedeutet dies oft geringere Rentenbezüge und ein erhöhtes Risiko für Armut im Alter. Die negativen Auswirkungen einer mehrjährigen »Babypause« für Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die durch das Betreuungsgeld entstehende Verschärfung der sozialen Benachteiligung von Frauen wurden mit dem Entschluss für das Betreuungsgeld ignoriert.

In Norwegen, wo das Betreuungsgeld bereits vor mehreren Jahren als Alternative zur öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtung eingeführt wurde, zeigte sich der Rückgang der Erwerbstätigkeit von Frauen, vor allem migrantischer Frauen, deutlich. (3)

Anstatt aber wie die CDU mit sogenannten Haushaltsgutscheinen auf die schlechten Rückkehrchancen von Frauen in den Beruf zu reagieren - die sie mit dem Betreuungsgeld ja gerade selbst befördert - wären die Milliarden, die für das Betreuungsgeld ausgegeben werden sollen, besser im Ausbau von Kitaplätzen angelegt. Denn der zentrale Grund, warum es vielen Frauen schwerfällt, in den Job zurückzukehren, liegt vor allem am Fehlen einer umfassenden öffentlichen Kinderbetreuung für jedes Kind. Zwar soll der Rechtsanspruch von Eltern auf einen Kitaplatz für ihr(e) Kind(er) gleichzeitig mit dem Betreuungsgeld ab August 2013 wirksam werden.

Der Ausbau der Kitaplätze steht aber immer noch auf höchst wackeligen Füßen. So fehlen bundesweit mehr als 230.000 Kitaplätze und zehntausende ErzieherInnen, die in Kitas und als »Tageseltern« arbeiten könnten. Die vielen Milliarden, die in das Betreuungsgeld und neuerdings auch in die Finanzierung der Haushaltsgutscheine fließen sollen, wären im Ausbau der Kitaplätze deutlich besser angelegt. Diese längst überfällige Investition in öffentliche Betreuungseinrichtungen könnte auch als Chance begriffen werden, die Kitas mehr an den Bedürfnissen migrantischer Familien auszurichten und so der vermeintlichen »Zurückhaltung« dieser Familien bei der Nutzung öffentlicher Betreuungseinrichtungen entgegenzukommen.

Geringschätzung von Haus- und Pflegearbeiten

Es ist schließlich kein Geheimnis, dass das Betreuungsgeld den Staat weniger kostet als der Ausbau von Kitaplätzen. Und obwohl Sorgearbeit durch das Betreuungsgeld zum ersten Mal öffentlich »anerkannt« wird, drückt sich in der festgesetzten Höhe des Betreuungsgeldes von 100 bis 150 Euro eine unglaubliche Geringschätzung von Haushalts- und Betreuungsarbeit aus. Eine echte Anerkennung schließt zum einen niemanden von dieser Anerkennung aus, wie es beim Betreuungsgeld aktuell der Fall ist.

Bei einer echten Wertschätzung dieser Arbeit geht es zudem nicht nur um die unbezahlte, unsichtbare Arbeit in Familien und Haushalt. Auch im Bereich der bezahlten Betreuungsarbeit zuhause, in Kitas und Jugendeinrichtungen ist eine deutliche Erhöhung des Lohnniveaus als Anerkennung für den Wert dieser Arbeit längst überfällig. Stattdessen findet die Geringschätzung von Sorgearbeit auch in den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen im Zuge der Finanzkrise ihren Ausdruck.

Die Bereiche, die im Laufe der Finanzkrise besonders betroffen sind, sind die Sektoren, in denen vor allem Frauen arbeiten (Pflege, Soziales, Kultur). Im Gegensatz zu den männerdominierten Branchen wie zum Beispiel der Automobilindustrie wurden hier keine großzügigen Rettungspakete geschnürt.

Alles in allem muss neben sämtlicher Kritik am Betreuungsgeld vor dem Hintergrund der Krise also auch gefragt werden, ob das Betreuungsgeld nicht nur als geschlechter-, familien- und bevölkerungspolitisches, sondern auch arbeitsmarktpolitisches Programm zu verstehen ist. Es soll Frauen den Rückzug ins Private »schmackhaft« machen und die Konkurrenz auf dem krisengeschüttelten Arbeitsmarkt verringern. Nicht nur befördert das Betreuungsgeld überkommene Geschlechter- und Familienmodelle und ist Ausdruck rassistischer und unsozialer Verhältnisse, sondern zielt in Zeiten der Krise möglicherweise auch auf die Freisetzung wertvoller Arbeitsplätze.

Johanna Hess ist Soziologin, lebt in Berlin und schrieb in ak 570 zu Möglichkeiten einer queerfeministischen Familienpolitik.

Anmerkungen:

1) Gemeint sind die Verhandlungen der Regierungsparteien u.a. über die Abschaffung der Praxisgebühr, die als Projekt der FDP galt, und die Einführung des Betreuungsgeldes, das als Projekt der CDU/CSU galt.

2) Ähnlich wie in Deutschland wurde das Betreuungsgeld vor dem Hintergrund eingeführt, dass es zu wenig Kitaplätze für alle Kinder unter drei Jahren gab. Anders als in Deutschland wurde beträchtlich mehr für die private Betreuung der eigenen Kinder gezahlt.