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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 578 / 21.12.2012

Urlaub vom Urlaub

Viva Weihnachten!

Wer kennt das Muppets-Weihnachtsmärchen? Die Hauptfigur in dieser Adaption einer Geschichte von Charles Dickens ist der schlecht gelaunte Kapitalist Ebenezer Scrooge. Dieser Weihnachtsmuffel hat ein Herz aus Stein. Seine Angestellten zittern vor Kälte, doch ihre Bitte, wenigstens an Heiligabend ein paar Kohlebriketts in den Ofen zu schaufeln, weist Scrooge empört zurück: »Weihnachten? Humbug!« Auch bei Linken hat die Weihnachtszeit keinen guten Ruf: Konsumterror, Familienterror, drei Tage Nächstenliebe auf Knopfdruck - die pure Heuchelei! In Hamburg ist es linke Tradition, am letzten Adventswochenende durch die Innenstadt zu demonstrieren und das Weihnachtsgeschäft zu schädigen. Das macht Spaß und garantiert wütende Schlagzeilen in der Lokalpresse.

Auch ich bin kein großer Freund der Adventszeit. Lichterketten und Weihnachtsmärkte interessieren mich nicht. Überhaupt: Dass ein christliches Fest zweieinhalb Feiertage in Beschlag nimmt, ist für einen nichtreligiösen Menschen wie mich schwer nachzuvollziehen. Ein verlängertes Wochenende, um zur Besinnung zu kommen, während man sich den Rest des Jahres besinnungslos ausbeuten lässt? Ich weiß ja nicht.

Andererseits müssen auch linke WeihnachtsskeptikerInnen die meiste Zeit des Jahres ihre Haut zu Markte tragen, wie es so schön heißt. Oder sie beuten sich gleich selbst aus. In linken Projekten gehört Arbeit an Wochenenden, Feiertagen und bis spät in die Nacht zum Standard. Auch die Aktivistenkalender sind zum Bersten gefüllt mit Abend- und Wochenendterminen. Natürlich sind diese Tätigkeiten selbst gewählt. Das Wissen, sich für eine gute Sache zu engagieren, entschädigt für schlecht oder gar nicht bezahlte Arbeit. Trotzdem: Die linke Arbeitsmoral ist furchteinflößend hoch, trotz aller Ablehnung des Religiösen mindestens protestantisch, wenn nicht schlimmer. Mithalten kann da nur, wer sich glänzender Gesundheit erfreut, das Sozialleben auch mal hintanstellt und am besten keine Kinder hat. Und rechtfertigt der kapitalismuskritische Zweck wirklich das Arbeiten bis zum Umfallen? Da sind wohl Zweifel angebracht. In unserem Leistungseifer ähneln wir Linken auf überraschende Weise dem Kapitalisten und Weihnachtshasser Ebenezer Scrooge. Nur treiben wir nicht unsere Angestellten, sondern uns selbst ohne Rücksicht auf Feiertage zu permanenter Höchstleistung an. Schon Marx schrieb im Kapital: »Der Protestantismus spielt durch seine Verwandlung fast aller traditionellen Feiertage in Werktage eine wichtige Rolle in der Genesis des Kapitals.« Hier zeigt sich eine erstaunliche Doppelmoral: Wir sind zwar für das Recht auf Faulheit - aber man kommt einfach nicht dazu.

Andere sind da weiter: Wer einen Arzttermin vereinbaren oder noch was repariert haben will, erhält spätestens ab Ende November die Antwort: »Aber vor Weihnachten nicht mehr.« Weihnachten ist die beste Ausrede für ausgedehnte Pausen, Langsamarbeiten und insofern: praktischer Antikapitalismus des Alltags. Die Krönung dieser leistungsschwachen Zeit sind die Tage zwischen den Jahren. Regelmäßig zerschellen meine Vorhaben für die freien Tage an der weihnachtlichen Faulheit, die mich umgibt. Wie erholsam! Und daran kritteln wir herum? Ich werde mir dieses Jahr jedenfalls nichts vornehmen, was die Feier- in Arbeitstage verwandeln könnte. Ein Glück gibt es Weihnachten, wenn ein paar Tage wirklich nichts mehr geht!

Jan Ole Arps