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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 579 / 18.1.2013

Polens neue »Bewegung«

International Die extreme Rechte in Polen befindet sich im Aufwind

Von Andreas Kahrs

Erstaunlich unbeachtet von der deutschen und internationalen antifaschistischen Bewegung vollzieht sich in Polen zur Zeit eine Neuformierung der extremen Rechten. Mehr als 20.000 Menschen folgten am 11. November 2012 in Warschau dem Aufruf zum sogenannten Unabhängigkeitsmarsch unter dem Motto: »Erobern wir Polen zurück!« Damit fand in der polnischen Hauptstadt der zur Zeit größte extrem rechte Aufmarsch Europas statt. Beendet wurde die Veranstaltung am Unabhängigkeitstag mit der Ausrufung einer neuen Nationalen Bewegung (Ruch Narodowy).

Bei der Parlamentswahl 2015 erhoffen sich deren RepräsentantInnen rechts neben der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) um den verbliebenen Zwilling Jaroslaw Kaczynski, ins polnische Parlament einzuziehen. Die aktuellen Umstände lassen diese Hoffnung nicht ganz unbegründet erscheinen. Seit einigen Jahren betreibt ein Zusammenschluss unterschiedlicher extrem rechter Akteure planmäßig den Aufbau der neuen »Bewegung«. Ein Einzug in den Sejm scheint auf niedrigem Niveau möglich. Die Gefahr liegt jedoch vor allem in der fortschreitenden nationalistischen Aufladung des gesamtgesellschaftlichen Klimas.

Die Wurzeln liegen in der Zwischenkriegszeit

Mit der Fokussierung auf den Unabhängigkeitstag schlagen die OrganisatorInnen des Marsches den Bogen zur politischen Lehre Roman Dmowskis. Sein Denkmal ist auch der Zielpunkt des »Unabhängigkeitsmarsches«. Dmowski werden in Polen große Verdienste um die Wiedererlangung der Staatlichkeit nach dem Ersten Weltkrieg zugesprochen. Seine faschistoide und antisemitische Politik als Anführer der oppositionellen extremen Rechten (Nationaldemokratie oder auch »Endecja« genannt) der Zwischenkriegszeit wird im gesellschaftlichen Diskurs oft heruntergespielt. Für die Nationale Bewegung ist genau sie der Bezugspunkt.

Der Kampf um Unabhängigkeit ist der ideologische Kern einer stark historisch aufgeladenen Identitätspolitik. Deren Heldenfiguren sind die antikommunistischen Widerstandskämpfer der 1940er Jahre, allen voran die weit über das Ende des Zweiten Weltkrieges hinaus aktiven faschistischen Einheiten der Nationalen Streitkräfte (NSZ). Ihr Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit, so die Erzählung, werde heutzutage verraten und müsse angesichts einer aus »nicht aufrechten Polen« bestehenden und weiterhin vom Ausland kontrollierten Regierung neu geführt werden. In der Feindkonstruktion wird ungeachtet tatsächlicher Bezüge alles zusammengefasst, was einem völkisch-nationalistischen und erzkatholischen Weltbild entgegensteht.

Den Kern der Nationalen Bewegung bilden die Allpolnische Jugend (MW) und das Radikal-Nationale Lager (ONR). Beide berufen sich auf faschistische Vorläuferorganisationen in der polnischen Zwischenkriegszeit. MW und ONR waren in den 1930er Jahren an Angriffen und diskriminierenden Aktionen unter anderem gegen jüdische StudentInnen an verschiedenen polnischen Universitäten beteiligt. Die MW war nach ihrer Neugründung in den 1990er Jahren bis 2007 die Jugendorganisation der Liga der Polnischen Familien (LPR). Sie stellte von 2005 bis 2007 den Bildungsminister in der rechtsnationalen Regierung unter Führung von PiS. Nicht zuletzt Fotos von Trinkgelagen der MW mit NS-Devotionalien sorgten für zahlreiche Skandale und brachten die Regierung zum Scheitern.

Die Organisation hat sich seitdem neu formiert und erfolgreich an ihrem Image gearbeitet. Ihr Vorsitzender Robert Winnicki kleidet sich in Hemd und Krawatte und sieht sich selbst als Bindeglied zu rechtsintellektuellen Kreisen. Als Kopf der Nationalen Bewegung sucht er immer wieder gezielt den Weg in die rechte Medienöffentlichkeit. Der Anführer des ONR, Przemyslaw Holocher, bezeichnete sich kürzlich in einem Interview selbst als Antisemit und vertritt damit auch nach außen den radikalen Flügel der Bewegung. Das ONR, dessen Mitglieder mit Vorliebe in hellbraunen Uniformen marschieren, konnte zuletzt Ableger in nahezu allen größeren Städten etablieren. Trotzdem entscheiden nur wenige Führungspersonen über die Ausrichtung der insgesamt einige hundert Mitglieder zählenden Organisation. In der momentanem Erfolgswelle gelingt es ihr, die eigene strukturelle Schwäche zu überspielen. Auch die in regelmäßigen Abständen an die Öffentlichkeit gelangenden Bilder aus Sommerlagern des ONR, die Mitglieder mit faschistischem Gruß und NS-Symbolen zeigen, konnten die mediale Etablierung der Ruch Narodowy nicht verhindern.

Eine zunehmend wichtige Rolle spielt seit dem vergangenen Jahr der Veteranenverband der NSZ-PartisanInnen. Der Vizevorsitzende Artur Zawisza, ehemaliger Sejm-Abgeordneter der PiS-Fraktion, ist neben Robert Winnicki zum Sprecher der Bewegung geworden. Im September gedachten auf einem Marsch in der polnischen Hauptstadt fast 1.500 Menschen dem 70. Gründungsjubiläum der faschistischen Kampftruppe. Die antisemitischen Morde und Gewaltaktionen gegen politische GegnerInnen noch während des antinationalsozialistischen Untergrundkampfes fanden in diesem Zusammenhang kaum Einzug in die öffentliche Debatte. Die extreme Rechte agiert in der Forcierung extrem rechter Geschichtsbilder sehr geschickt. Immer wieder werden unumstrittene Symboliken wie der antinationalsozialistische Widerstandskampf der Heimatarmee aufgegriffen und mit der Erzählung des antikommunistischen Kampfes vermischt.

Es gibt eine breite nationalistische Opposition

Zwar ist die Nationale Bewegung momentan in Bezug auf die extreme Rechte am deutlichsten wahrnehmbar; sie muss jedoch als Teil einer aufgefächerten nationalistischen rechten bis extrem rechten Opposition verstanden werden.

Die Grenze zum etablierten rechten Lager um die nationalkonservative PiS ist fließend, das Themenspektrum der polnischen Rechten relativ homogen. Nur die Grenze dessen, »was sagbar« ist, wird unterschiedlich gezogen. Durch die Wählerschaft von PiS sind nationalistische Geschichtsbilder, Homophobie und eine Ablehnung der EU-Politik in einem Teil der Bevölkerung fest verankert. AnhängerInnen einer Verschwörungstheorie über den Absturz der Präsidentenmaschine 2010 in Russland finden sich in allen Teilen des rechten Spektrums. Auch im Kampf um die Sendelizenz eines nationalistisch-katholischen TV-Senders, der den schwindenden Einfluss des Radiosenders Radio Marya kompensieren könnte, stehen Rechte und extrem Rechte Seite an Seite.

Zum Ende des »Unabhängigkeitsmarsches« kündigte Robert Winnicki an, eine »Kraft zu formen, vor der sich Linke, Liberale und Schwuchteln fürchten werden«. Von solchen Aussagen versucht sich die traditionelle Rechte abzugrenzen. Dennoch sind unter den UnterstützerInnen des »Unabhängigkeitsmarsches« von Beginn an Personen aus PiS oder ihrem Umfeld. Auch das Vorbild haben RechtsnationalistInnen und extreme Rechte für die nächste Wahl 2015 gemeinsam: Ungarn.

Auch andere Teile der Rechten sind im Aufwind

Während im PiS-Spektrum einflussreiche Personen die Nähe zum dortigen Ministerpräsidenten Victor Orbán suchen, orientiert sich die Nationale Bewegung stark an der neofaschistischen Partei Jobbik. Sowohl im Bezug auf ethnopluralistische Vorstellungen wie auch auf die omnipräsente Feindkonstruktion gibt es deutliche Parallelen. Zu Jobbik unterhält die Nationale Bewegung seit mindestens zwei Jahren gute Kontakte. Man nutzt die Zeit zum Wissenstransfer und zur internationalen Vernetzung. Robert Winnicki war im Oktober Gast auf der von Jobbik veranstalteten Konferenz der Alliance of European National Movements, auf der ein knappes Dutzend europäischer Parteien vertreten waren. Auch auf dem »Unabhängigkeitsmarsch« waren Delegationen unterschiedlicher europäischer faschistischer Organisationen anzutreffen - die größte davon aus Ungarn. Die polnische Bewegung erhält aus Budapest Unterstützung im Organisationsaufbau und ist dabei, nach dem Vorbild der paramilitärischen Magyar Garda eine eigene »Unabhängigkeitsgarde« aufzubauen.

Während die Nationale Bewegung die nächsten Parlamentswahlen ansteuert, sehen sich auch andere Strömungen der extremen Rechten im Aufwind. Hierzu zählt - als klassisch neofaschistische Organisation - die Nationale Wiedergeburt Polens (NOP). Als traditionelle Konkurrenzorganisation des ONR zielt sie teilweise auf die gleiche Klientel ab. Die NOP hat den Anschluss an die aktuellen Entwicklungen nicht versäumt und reiht sich thematisch in den nationalistischen und antikommunistischen Unabhängigkeitskanon ein. Fest verankert ist die Partei in Wroclaw, wo sie seit langem auch in der Fanszene des amtierenden polnischen Fußballmeisters Slask Wroclaw agitiert. Da man ungern gemeinsam mit den extrem rechten KontrahentInnen aktiv ist, organisieren Fangruppen von Slask und NOP parallel zum Aufmarsch in Warschau am 11. November den »Marsch der Patrioten«, zu dem 2012 mehr als 3.000 NationalistInnen erschienen.

Im Anschluss an beide Veranstaltungen zeigte sich einmal mehr eine bedrohliche aktuelle Entwicklung in Polen: die Zusammenarbeit der organisierten extremen Rechten mit nationalistischen und rassistischen Hooligans. Während in Warschau erneut hunderte Hooligans mit Steinen, Bengalischen Feuern und ganzen Straßenpollern die Polizei attackierten, um zu einer antifaschistischen Gegendemonstration durchzubrechen, überfielen und verwüsteten in Wroclaw knapp einhundert vermummte Slask-Hooligans einen Bauwagenplatz und verletzten zwei BewohnerInnen schwer.

Die im Zuge der Vorbereitungen zur Fußballeuropameisterschaft 2012 mit Repressionen überzogene Fußballszene hat ihre Angst vor einer Instrumentalisierung durch extrem rechte Organisationen abgelegt. Man adaptiert für sich die Rolle unbeugsamer Widerstandskämpfer gegen ein Unterdrückungsregime. Die Heroisierung der faschistischen Partisanenvorbilder aus der NSZ spiegelt sich in Transparenten und Choreographien auf den Tribünen von der ersten bis zur vierten Liga wider. Die Stadien sind zu einem wichtigen Ort nationalistischer Geschichtspolitik geworden. Ob im Zusammenspiel mit NOP in Wroclaw und Bialystok oder mit der Allpolnischen Jugend und dem ONR in Kraków, Lódz und Warschau: Die Fußballszene hat ihre feste Rolle in der extrem rechten Szene. Sie dient als Drohpotenzial auf den Straßen; in ihr vermischen sich rechte politische Akteure mit GewalttäterInnen und organisierter Kriminalität. Auch der Mord im nordostpolnischen Bialystok im vergangenen April ist dieser Mischszene zuzuordnen. (ak 572)

Ein in Polen relativ neues Phänomen sind wachsende Strukturen Autonomer NationalistInnen (AN). Das Konzept wurde aus Tschechien übernommen und findet zunehmend UnterstützerInnen. Auch am »Unabhängigkeitsmarsch« sind AN-Strukturen beteiligt und bewegen sich in einem Wechselspiel aus Zusammenarbeit mit der und Abgrenzung von der restlichen Szene. Autonome NationalistInnen agieren im Umfeld großer Fußballszenen und beeinflussen die nationalistische Hip-Hop-Szene, die in Polen immer mehr Zuwachs hat.

Die Konkurrenzsituationen innerhalb der extremen Rechten ist keine bloße Schwäche. Durch das Prisma einer »sozialen Bewegung« betrachtet, zeigt sich ein politisches Spektrum, das in Zeiten des Erfolgs enorme Widersprüche aushalten kann und vielen AkteurInnen einen Platz bietet. Die Verankerung in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen ist weit fortgeschritten - unabhängig von den Wahlaussichten der Nationalen Bewegung. Die Stoßrichtung ist eine gemeinsame und befördert ein Klima, in dem sich nationalistische und rassistische Ansichten ausbreiten können. Im Dezember 2012 schreckte die Öffentlichkeit in Polen kurz auf, als ein mutmaßlicher Bombenattentäter festgenommen wurde. Er gab an, aus nationalistischen Motiven einen Anschlag auf das Parlament geplant zu haben. Bemerkenswert ist die Wortwahl des Verdächtigen. Mit der Begründung, Polen sei »von nicht aufrechten Polen« regiert, übernahm er wörtlich den Sprachgebrauch der nationalistischen Opposition.

Andreas Kahrs ist Historiker und berichtet für ak in unregelmäßigen Abständen über die politische Situation in Polen.