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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 579 / 18.1.2013

Labor der Unmenschlichkeit

International Griechenland dient als Testfeld für die Abschaffung des Asylrechts in Europa

Von Andrea Plöger

»Die älteste Beschreibung des Asylrechts verdanken wir Tacitus. Er berichtete von den Griechen, dass sich viele Personen am Ort des Asyls eingefunden hätten, überwiegend entlaufene Sklaven, Übeltäter und Schuldner, die ihren Gläubigern entkommen wollten. Die Obrigkeit habe sich bemüht, diese Personen zu ergreifen. Aber das Volk habe sich zu ihrem Schutz erhoben, um der Heiligkeit des Ortes willen. Es genügte, dass sich die Menschen unter den Schutz der Götter stellten. Was könnte sie sonst dazu getrieben haben, wenn nicht äußerste Not?« An diesen Ursprung des Asylrechts erinnerte Burkhard Hirsch bei der Eröffnungsrede des Asylpolitischen Forums in der Evangelischen Akademie Mülheim an der Ruhr vor gut zehn Jahren.

Heute sind Asylsuchende, von denen ein großer Teil über Griechenland in die EU gelangt, ohne Zufluchtsort. In Griechenland ist ihr Leben durch AngreiferInnen der neofaschistischen Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) in Gefahr. Wer den Weg durch die Türkei überlebt hat (wo nur EuropäerInnen Asyl bekommen können), soll zumindest nicht über Griechenland bzw. Osteuropa hinauskommen.

Etwa eine Million Geflüchtete und MigrantInnen halten sich in Griechenland auf; sie kommen vor allem aus Kriegsgebieten wie Afghanistan, dem Irak und Syrien. Aber weil die Abschottung der europäischen Grenzen im Mittelmeerraum andere Fluchtwege nach Südeuropa zu gefährlich gemacht hat, sind auch immer mehr Menschen aus Nord- und Westafrika unter ihnen. Die Organisation Pro Asyl stellt fest, dass sich die Fluchtrouten in den letzten Jahren verändert haben. Die Türkei ist derzeit das wichtigste Transitland auf dem Weg nach Europa.

Die Abschaffung des Asylrechts in Griechenland

Wenn die Geflüchteten es bis nach Griechenland geschafft haben, wähnen sie sich in Sicherheit. Doch Asyl in Griechenland zu beantragen ist kaum noch möglich. »An dem einzigen Tag in der Woche, an dem die Fremdenpolizeidirektion in Athen öffnet, gelingt es derzeit nur etwa 20 Personen, einen Asylantrag zu stellen. In der langen Schlange, die sich jeweils schon Tage im Voraus vor der Behörde bildet, kämpfen Hunderte Asylsuchende um ihren Platz. Wer es nicht schafft oder den Versuch aufgibt, einen Asylantrag zu stellen, wird meist Opfer einer Polizeirazzia und landet in einer der überfüllten Hafteinrichtungen, in denen katastrophale Zustände herrschen«, schreibt Amnesty International im Dezember 2012. (1) Die Organisation vermutet deshalb eine gezielte Abschreckungsstrategie.

Am 4. August 2012 startete in Griechenland die Aktion »gastfreundlicher Zeus«. Der Name ist bittere Ironie. Denn bei der Aktion werden MigrantInnen und Geflüchtete auf unbestimmte Zeit in Kellern von Polizeistationen und leer stehenden Kasernen interniert. Offizielles Ziel ist die Abschiebung. Da sich aber unter den Verhafteten sowohl Menschen mit einem Aufenthaltsstatus als auch solche befinden, die aufgrund ihrer Herkunft und Migrationsgeschichte nicht abgeschoben werden können, dient die Maßnahme vor allem dazu, staatliche Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.

Mindestens ebenso sehr geht es aber um Abschreckung - auch unter Inkaufnahme der psychischen und physischen Zerstörung der Inhaftierten. Es wurden Menschen inhaftiert, die allein für kleine Kinder sorgen und gerade ihre Papiere nicht dabei hatten. Die Kinder fand man, falls sie überhaupt aufgegriffen wurden, in Krankenhäusern wieder. Auch Familienväter, die unter schwierigen Bedingungen das Überleben der Familien sichern, sind verhaftet worden. Ihre Familien erfahren höchstens durch Zufall, wo die Männer sich befinden. Es wurden Menschen verhaftet, ohne dass sie wissen, warum oder welche Rechte sie haben, da niemand mit ihnen in ihrer Sprache spricht. Unter den Verhafteten sind auch unbegleitete Minderjährige und viele schwer Traumatisierte.

Wo sich die Inhaftierten befinden, ist meist nicht bekannt. Der Zutritt zu Lagern und Polizeistationen wurde bisher nur selten gewährt. AntifaschistInnen einer mobilen Motorradgruppe berichteten Anfang Oktober 2012, nach ihrer Verhaftung von der Polizei gefoltert worden zu sein. Viele PolizistInnen in Griechenland sympathisieren mit der neofaschistischen Chrysi Avgi; es gehört nicht viel Fantasie dazu sich auszumalen, dass es inhaftierten MigrantInnen ähnlich ergeht. Nach einem von Abgeordneten des Linksbündnis Syriza und BürgerrechtlerInnen organisierten Besuch in dem größten Lager in Korinth können die in jeder Hinsicht menschenrechtswidrigen Zustände bezeugt werden. Auch in Korinth berichteten Menschen im Internierungslager davon, dass denen, die Asyl beantragen, mindestens ein Jahr Haft drohe, während die anderen vorzeitig entlassen würden.

Wer unter diesen repressiven Umständen auf einen Asylantrag in Griechenland verzichtet, kann wegen der Dublin-II-Verordnung auch in keinem anderen europäischen Land Asyl beantragen. (2) In den vergangenen 20 Jahren ist das Asylrecht in Europa immer weiter ausgehöhlt worden, bis es nun in den Randzonen Europas de facto nicht mehr existiert. Da sich die Fluchtgründe angesichts einer zunehmend kriegerischen und verschärft neoliberalen Politik aber nicht verringern, werden nun die Asylsuchenden in den krisengeplagten Randzonen der EU unter menschenrechtswidrigen Bedingungen festgehalten.

Dublin II hat zur Folge, dass Flüchtlinge praktisch nicht mehr nach Deutschland fliehen und hier ihren Asylantrag stellen können. Die Asyl-Erstanträge in Deutschland sind von 438.000 im Jahr 1992 auf 27.600 im Jahr 2009 zurückgegangen. 2011 haben 45.700 Menschen in Deutschland Asyl beantragt.

Zurzeit debattiert das EU-Parlament die vorübergehende Inhaftierung von Geflüchteten und MigrantInnen - sei es zur Identitätsfeststellung, zur Überprüfung der Fluchtgründe oder bei verspäteter Antragstellung - als neue »Aufnahmerichtlinie«. Diese Politik steht, falls der Entwurf der europäischen InnenministerInnen durchkommt, vor ihrer EU-weiten Anwendung.

Experimentierfeld der Krisenpolitik

Griechenland kommt damit eine doppelte Bedeutung beim neoliberalen und autoritären Umbau der EU zu: zum einen als Laboratorium für eine Grenzpolitik im Sinne der europäischen Zentralmächte. So wird nun der mit der Eröffnung des Schengenraums (3) um diesen herum aufgebaute Cordon Sanitaire auch innerhalb des Schengenraums errichtet. Die menschenrechtsfreien Zonen, die bisher in Ländern wie Libyen oder Marokko MigrantInnen mit Ziel Europa abschrecken sollten, gibt es nun innerhalb der EU. Zum anderen ist Griechenland das Experimentierfeld einer fundamentalistisch neoliberalen Politik, die helfen soll, die militärische und wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit der europäischen Zentralmächte zu erneuern. Das »auf dem Rücken der Griechen experimentierte Modell ist das einer Gesellschaft ohne öffentliche Dienste, in der die Schulen, die Kliniken und die Abgabestellen für Medikamente zu Ruinen verfallen, in der Gesundheit zu einem Privileg der Reichen wird und in der die besonders verwundbaren Bevölkerungsteile zu einer planmäßigen Eliminierung bestimmt sind, während jene, die noch Arbeit haben, zu extremen Formen der Verarmung und Prekarität verurteilt werden«, schrieben europäische Intellektuelle und KünstlerInnen vergangenes Jahr in ihrem Aufruf »Retten wir das griechische Volk vor seinen Rettern«. (Der Freitag, 22.2.2012)

Die Entsolidarisierung der Bevölkerung mit Geflüchteten und MigrantInnen ist in die »Krisenbewältigungsstrategie« der EU fest einkalkuliert. So ist die Aktion »gastfreundlicher Zeus« auch ein Testfall für eine Politik der Ausgrenzung und der gesellschaftlichen Fragmentierung, die den Widerstand gegen eine umfassende Umverteilung von unten nach oben und eine Privatisierung staatlicher Liegenschaften und Unternehmen zugunsten der europäischen Kernländer und des internationalen Kapitals brechen soll.

Die der öffentlichen Kontrolle entzogene Inhaftierung von Asylsuchenden ist ein Präzedenzfall für die europäische Flüchtlingspolitik. Die De-facto-Abschaffung des Asylrechts in Griechenland setzt konsequent die 1993 mit dem so genannten »Asylkompromiss« in Deutschland begonnene Entwicklung fort und weist Griechenland die Rolle eines Grenz- und Abschreckungsregimes zu. Für sich selbst sieht Deutschland die Rolle eines Staates im Dienste der Menschenrechte vor und wählt in Ruhe aus den Überlebenden des EU-Grenzregimes ein paar Asylsuchende aus, denen es die Aufnahme womöglich gewährt. Die Flüchtlingsproteste in Berlin, Brüssel und Wien sind auch aufgebrochen, um diese Politik zu demaskieren. Es wird Zeit, dass der Widerstand sich ausweitet und »die Obrigkeit« wie im antiken Griechenland nicht weiter mit dieser Politik der Entsolidarisierung durchkommt!

Andrea Plöger betätigt sich als Medienaktivistin u.a. im Kontext von Afrique Europe Interact.

Anmerkungen:

1) www.amnesty.de/2012/12/20/angefeindet-und-eingesperrt-asylsuchende-und-migranten-griechenland

2) Die Verordnung von 2003 regelt, dass innerhalb der Europäischen Union nur in einem Land ein Asylantrag gestellt werden kann, in der Regel in dem ersten EU-Land, das der oder die Asylsuchende betreten hat.

3) Im Schengener Abkommen beschlossen die beteiligten europäischen Länder, innerhalb des Schengenraumes auf Grenzkontrollen zu verzichten und einen einheitlichen Kontrollstandard an den Außengrenzen einzuführen.

Die extrem rechte Partei Chrysi Avgi

Während Flüchtlinge und MigrantInnen in Griechenland mit Ausgrenzung und Entrechtung zu kämpfen haben, befindet sich die extreme Rechte im Aufwind. Über 20 Prozent der Stimmen konnten extrem rechte Parteien bei den Wahlen 2012 erzielen. Besonders besorgniserregend: die faschistische Partei Chrysi Avgi, die »Goldene Morgenröte«. In der Vergangenheit dümpelte die Nazipartei bei maximal einem Prozent der Wählerstimmen, im Juni 2012 waren es knapp sieben. Laut einer Umfrage des griechischen Meinungsforschungsinstituts Pulse RC ist Chrysi Avgi mittlerweile die drittpopulärste Partei: Ihr stimmen rund 13,5 Prozent der Bevölkerung zu. Diese Zustimmung erreichen sie unter anderem, indem sie Lebensmittel »nur für Griechen« verteilen oder »Griechische Jobcenter« organisieren. Geht es nach Chrysi Avgi, sollen z.B. TaxifahrerInnen künftig arme GriechInnen kostengünstig befördern und gleichzeitig nur noch Tankstellen anfahren, die keine AusländerInnen beschäftigen. Aus ihrer Hitlervereherung und ihrer nationalsozialistischen Ideologie macht die Partei kaum einen Hehl. Ihre Mitglieder veranstalten Märsche in Militäruniformen, in den letzten Monaten kam es aus ihren Reihen immer wieder zu Übergriffen auf Linke, Flüchtlinge und MigrantInnen. In den meisten Fällen schützt und unterstützt die Polizei offen die Neonazis. Es gibt starke Verflechtungen von Chrysi Avgi und staatlichen Organen wie Polizei und Justiz. In der nächsten Ausgabe werden wir in ak ausführlich über die griechische extreme Rechte berichten.