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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 579 / 18.1.2013

Die guten ins Töpfchen

Aktion Im tunesischen Lager Choucha organisieren sich Geflüchtete und protestieren gegen die Praktiken des UNHCR

Von der Soligruppe Choucha-Protest

Geflüchtete in einem Flüchtlingslager in Tunesien haben sich entschlossen, gegen den UNHCR (1) zu protestieren. Aber warum? Der UNHCR ist gemeinhin als Fürsprecher der Flüchtlinge bekannt, als Fels in der Brandung, der sich für die Rechte der Rechtlosen einsetzt. Doch viele derjenigen, die im tunesischen Flüchtlingslager Choucha leben müssen, üben heftige Kritik an der Arbeit des UNHCR.

Das Lager Choucha befindet sich etwa sechs Kilometer von der libyschen Grenze entfernt auf einer tunesischen Militärbasis. Es wurde aufgrund der großen Fluchtbewegungen während der Libyenkrise im Februar 2011 vom UNHCR errichtet. Zu Beginn hielten sich dort etwa 20.000 Menschen auf. Heute sind es noch ungefähr 2.000, und in einem halben Jahr, im Juni 2013, soll das Camp geschlossen werden.

Vor dem Sturz Gaddafis lebten viele Menschen aus Subsahara-Afrika in Libyen. Die meisten, um dort zu arbeiten; einige, um von dort aus per Boot nach Italien zu reisen. Viele dieser MigrantInnen und Flüchtlinge, die in Libyen gelebt hatten, flohen 2011 nach Tunesien und in andere Nachbarländer. In Choucha bietet der UNHCR Asylverfahren für diejenigen an, die in Libyen waren, weil sie aufgrund von Verfolgung aus ihren Herkunftsländern fliehen mussten. Um den Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention (2) entsprechend herauszufinden, wer Flüchtling ist, führt der UNHCR so genannte Refugee-Status-Determination-Verfahren (RSD) durch.

Diejenigen, die dieses Verfahren erfolgreich durchlaufen und als Flüchtlinge anerkannt werden, bekommen in Choucha die Möglichkeit, am Resettlement-Programm teilzunehmen. Darüber können Flüchtlinge in teilnehmende Drittstaaten ausreisen, um sich dort ein neues Leben aufzubauen. Allerdings sind die Kapazitäten dieses Programms beschränkt, weshalb nicht alle in Choucha als Flüchtling anerkannte Menschen einen Platz bekamen. Darüber hinaus wurden nicht alle Asylsuchenden in Choucha als Flüchtling anerkannt. Die meisten der nicht anerkannten Flüchtlinge sind bereits in ihre Herkunftsländer ausgereist. Bis heute verweilen jedoch noch etwa 300 Menschen in Choucha, deren Asylanträge nicht anerkannt wurden. Sie erheben schwere Vorwürfe gegen den UNHCR, weswegen sie den aktuellen Protest initiierten.

Migrant versus Flüchtling

Für den UNHCR ist die Unterscheidung von Migrierenden in »Flüchtlinge« und »MigrantInnen« zentral. Das RSD dient hierbei als Instrumentarium der Selektion, mit dessen Hilfe schutzbedürftige Flüchtlinge erkannt werden sollen. Doch was passiert mit denen, die nicht »erkannt« worden sind? Sie werden nach der Definition des UNHCR zu »MigrantInnen« und interessieren selbigen fortan wenig.

Dies bekamen die abgelehnten Asylsuchenden in Choucha schmerzlich zu spüren. Seit Oktober 2012 haben sie keinen Zugang mehr zu Verpflegung und medizinischer Versorgung. Bei Klagen darüber bekommen sie lediglich zu hören, dass sie »MigrantInnen« seien und daher nicht unter das UNHCR-Mandat fielen. Die einzigen Optionen, die ihnen genannt werden, sind die freiwillige Rückkehr mit Hilfe der Internationalen Organisation für Migration in ihre Herkunftsländer oder nach Libyen. In Tunesien seien sie nun »illegal«, und der UNHCR könne sie nicht in Schutz nehmen, wenn der tunesische Staat sie abschieben wolle.

Die tunesische Regierung hat momentan jedoch andere Probleme und weist jegliche Verantwortung für die Flüchtlinge von sich. Durch die »Illegalität« in Tunesien sind die Geflüchteten jedoch faktisch in dem Lager gefangen. Verlassen sie das Lager, müssen sie fürchten, in tunesischen Gefängnissen zu landen, bevor sie nach einigen Tagen oder Wochen wieder nach Choucha gebracht werden.

RSD - entscheidende Stunden

Die Menschen bemängeln jedoch nicht nur ihre schlechte humanitäre Situation in Choucha. Ihr Hauptanliegen ist es klarzustellen, dass sie Flüchtlinge sind und den UNHCR-Mitarbeitenden gravierende Fehler bei der Bearbeitung ihrer RSD-Verfahren unterlaufen sind. Daher ist es für die in Choucha Verweilenden keine Option, in ihre Herkunftsländer zurückzureisen. »Wir würden doch nicht zwei Jahre in einem Flüchtlingslager in der Wüste warten, wenn wir in unsere Herkunftsländer zurückkönnten«, sagt Jakob Gayflor aus Liberia. »Der UNHCR hat unsere Fälle nicht sorgfältig bearbeitet, weswegen wir nicht anerkannt wurden. Und jetzt können wir weder vor noch zurück und bekommen nicht einmal mehr Lebensmittel im Flüchtlingslager.«

Die Fehler in der Bearbeitung der RSD-Verfahren sind vielfältig. In einer Community wurden die RSD-Anhörungen derjenigen, die nicht anerkannt wurden, von einem Dolmetscher übersetzt, der einer verfeindeten Konfliktpartei angehört. Die betroffenen Asylsuchenden versuchten die interviewenden UNHCR-Mitarbeitenden darauf aufmerksam zu machen und bekamen lediglich zu hören, dass es keine weiteren DolmetscherInnen für sie gäbe. Auch in der zweiten Instanz ihres Verfahrens sahen die Betroffenen den gleichen Dolmetscher wieder und erhielten dementsprechend die »endgültige Ablehnung«.

Voice of Choucha

Dies ist ein besonders drastischer Fall, in dem es Probleme mit der Übersetzung gab. Da der UNHCR jedoch keinerlei professionelle Übersetzung bereitstellte und die RSD-Anhörungen ausnahmslos von anderen Geflüchteten übersetzt wurden, berichten viele von Ungenauigkeiten und Schwierigkeiten beim Verstehen der InterviewpartnerInnen. Darüber hinaus sind den UNHCR-Angestellten diverse Fehler in der Bearbeitung der Interviews unterlaufen. So kam es beispielsweise vor, dass UNHCR-Mitarbeitende Namen, Geburtsorte und ähnlich essenzielle Eckdaten eines Asylantrags verwechselten oder falsch verstanden.

Um auf diese Missstände hinzuweisen und klarzumachen, wie weitreichend die bisherigen Versäumnisse des UNHCR in Choucha waren, haben sich nicht anerkannte Flüchtlinge unter dem Namen Voice of Choucha (VOC) zusammengetan, um gemeinsam Forderungen zu erarbeiten und diese auf unterschiedlichen Wegen zu verbreiten. Dazu knüpften sie unter anderem Kontakte zu europäischen und tunesischen NGOs, mit denen sie Pressekonferenzen gaben und mit kleinen Delegationen Verantwortliche besuchten. Darüber hinaus führten sie diverse Demonstrationen am Eingang des Lagers durch, die sie auf ihrem Blog dokumentierten. (3)

Die Reaktionen des UNHCR waren seit Beginn dieser Proteste im Frühjahr 2012 bis jetzt die gleichen: Ignoranz und der Hinweis auf das UNHCR-Mandat, welches ausschließlich anerkannte Flüchtlinge umfasse. Zuvor wurde den nicht anerkannten Flüchtlingen bereits informell verboten, mit JournalistInnen zu sprechen, da schlechte Nachrichten über den UNHCR auch zu einem Einbruch des Budgets führen könnten.

Genau das nehmen die VOC-Aktiven gerne in Kauf und planen weitere Schritte ihres Protests. Ab dem 21. Januar wollen sie im 500 Kilometer von Choucha entfernten Tunis vor dem Büro des UNHCR protestieren und ein Protestcamp auf einem zentralen Platz errichten. Ihre zentralen Forderungen sind eine erneute Überprüfung der abgelehnten Asylverfahren durch eine unabhängige Instanz, die Wiederaufnahme der Versorgung sowie Resettlement-Plätze für alle in Choucha Verweilenden. Der Protest ist dringend auf Unterstützung angewiesen! Wie ihr die Kämpfe der nicht anerkannten Geflüchteten aus Choucha unterstützen könnt, erfahrt ihr in dem kleinen Kasten.

Die Soligruppe Choucha-Protest steht in Kontakt mit Flüchtlingen in Choucha und verfolgt ihre Kämpfe solidarisch.

Anmerkungen:

1) Das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) setzt sich weltweit für die Rechte von Flüchtlingen ein und leistet humanitäre Hilfe in Krisenregionen, zum Beispiel als Leitung von Flüchtlingslagern.

2) Nach der Genfer Flüchtlingskonvention gelten Menschen als Flüchtlinge, wenn sie Verfolgung aufgrund von »Rasse«, Nationalität, Religion, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder aufgrund ihrer politischen Überzeugung erfahren haben.

3) Siehe voiceofchoucha.wordpress.com.

Weitere Infos unter www.ffm-online.org, www.afrique-europe-interact.net, www.borderline-europe.de.

Der Protest

der nicht anerkannten Flüchtlinge braucht dringend politische und auch materielle Unterstützung. Auf chouchaprotest.noblogs.org finden sich ein offener Brief an die UNHCR-Verantwortlichen sowie ein Solidaritätsfax, das an so viele UNHCR-Büros wie möglich geschickt werden soll. Spenden mit dem Stichwort »Choucha« können überwiesen werden an: FFM Berlin, Sparkasse der Stadt Berlin, Konto: 610024264, BLZ: 10050000.