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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 579 / 18.1.2013

Verheerende Signale

Nach der Revolution Kontroverse um die Unterstützung des syrischen Aufstands

Von der ak-Redaktion

Mitte Dezember gab es große Aufregung um den Aufruf »Freiheit braucht Beistand« (1) zur Unterstützung des zivilen Widerstands in Syrien, den die Hilfsorganisation medico international und die Initiative Adopt a Revolution, die Spenden und politische Partnerschaften für die lokalen Bürgerkomitees in Syrien sammelt, initiiert hatten. Der Aufruf wendet sich gegen die weitere Militarisierung des Konflikts und fordert, das Geschehen in Syrien differenziert wahrzunehmen (und damit insbesondere auch die Aktivitäten der zivilen Akteure, die weiter mit Mitteln des politischen Protests auf Veränderungen drängen) »und sich den offenen Blick durch die Bilder der Gewalt nicht verstellen zu lassen«.

Der Aufruf hat heftige Kritik hervorgerufen. Neben zynischen Positionen, die die Lage in Syrien allein durch die Brille geopolitischer Interessen beurteilen und den Grad des US-Einflusses zum Hauptmaßstab machen, war auch der Politikprofessor und Friedensaktivist Mohssen Massarrat unter den KritikerInnen. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie erklärte sogar, seine Unterstützung für die Kampagne Adopt a Revolution zu beenden. Was sind die Argumente?

Kritik am Aufruf »Freiheit braucht Beistand«

Mohssen Massarat begründet seinen Einspruch gegen den Aufruf damit, der Text beziehe einseitig Position gegen das Assad-Regime, lasse Dialogmöglichkeiten (wie den russischen Vorschlag einer Übergangsregierung unter Mitwirkung Assads) unter den Tisch fallen; vor allem aber ignoriere er die Kriegsvorbereitungen der NATO-Staaten und spiele so indirekt einer möglichen NATO-Intervention in die Hände. (2)

Auch das Komitee für Grundrechte und Demokratie nimmt Abstand von der Initiative Adopt a Revolution. Das Komitee erklärt, dass es über zu wenig nachprüfbare Informationen aus Syrien verfüge (da der Arbeitsschwerpunkt des Komitees ohnehin in Deutschland liege). Zwar erkennt das Komitee an, dass die von Adopt a Revolution unterstützten Bürgerkomitees »weiterhin für ein multiethnisches, multireligiöses zukünftiges demokratisches Syrien streiten« und etwa Verbände der Freien Syrischen Armee (FSA) auffordern, keine Kriegsverbrechen zu begehen. Aber die Grenzen zwischen gewaltfreien Bürgerkomitees und bewaffneten Gruppen seien verwischt, die Zukunft Syriens »wird durch die Macht der Gewehre bestimmt werden«. (3) Als pazifistische Organisation könne das Grundrechtekomitee die lokalen Initiativen in Syrien nicht weiter unterstützen: »Wir glauben nicht mehr, dass wir in diesem - inzwischen internationalisierten - Konflikt mit unserer Unterstützung der gewaltfreien Bürgerkomitees überhaupt etwas Positives beizutragen vermögen.« Zwar wolle man den demokratischen Aufbruch in Syrien nicht diskreditieren. »Wir befürchten allerdings, dass dieser in den Kriegsgräueln völlig marginalisiert wird.«

Dass eine grundsätzlich pazifistisch ausgerichtete Initiative so argumentiert, muss man akzeptieren - auch wenn die Aufkündigung der Solidarität impliziert, dass der Aufbruch in den arabischen Ländern aus der Sicht des Komitees beendet ist und die Region zu einem Zustand zurückgekehrt ist, in dem eine eigenständig handelnde Bevölkerung keine Rolle spielt. Letzteres sieht offensichtlich auch Massarrat so. Seine Kritik überschätzt zudem die Wirkung derartiger Appelle auf die Politik der NATO-Länder.

Aber der Reihe nach. Zunächst ist Massarrats Vorschlag illusorisch, die syrische Opposition und das Assad-Regime könnten nach 60.000 Toten, die - ohne Gräueltaten der bewaffneten Opposition zu unterschlagen - vor allem auf das Konto des syrischen Regimes gehen, eine gemeinsame Übergangsregierung bilden. Viele Oppositionsgruppen werden zwar nicht müde zu betonen, dass sie keine politische Richtung ausschließen wollen, doch verlangen sie den Rücktritt Assads als Voraussetzung für einen Dialog. Nach all den Gräueltaten und Wortbrüchen, die Assad zu verantworten hat - u.a. Flächenbombardements von Wohngebieten und Moscheen oder Luftangriffe auf Warteschlangen vor Tankstellen - gibt es keinen Grund, Assads angeblichen Dialogangeboten zu trauen. Assad weiß das, deshalb hat er den Krieg gegen die Zivilbevölkerung immer weiter intensiviert.

Die Interessen des Westens sind nicht so eindeutig, wie es in Massarrats Kritik klingt. Die USA haben sich lange sehr zurückgehalten (aus Sorge um die Stabilität in der Region, insbesondere in Bezug auf Israel), Deutschland ebenso. Für die Mächte der Region ist Syrien der Ort, an dem sich entscheiden wird, welche politischen Lager gestärkt aus den Umbrüchen hervorgehen (Iran, dessen letzter politischer Verbündeter Assad ist; Katar, das sich einen größeren politischen Einfluss der Muslimbrüder wünscht, die vor allem in der syrischen Exilopposition stark sind; Saudi-Arabien, das salafistische Gruppen massiv unterstützt). Auch die Türkei, Israel und Russland versuchen, sich Einfluss auf die politische Ordnung in Syrien nach Assad zu sichern. In der Tat gibt es momentan Hinweise, dass einige NATO-Staaten im letzten Moment in Syrien intervenieren könnten, um ihren Einfluss auszubauen. Dafür sprechen die Verlegung von Patriotraketen und NATO-SoldatInnen (aus Deutschland, den Niederlanden und den USA) an die türkisch-syrische Grenze. Aber bei einer Entscheidung für oder gegen eine Intervention wird es nicht die geringste Rolle spielen, wie sich eine Initiative wie Adopt a Revolution zuvor politisch geäußert hat.

Adopt a Revolution hat sich mehrfach gegen eine Intervention ausgesprochen, nicht zuletzt weil sie die nichtmilitärischen Akteure der Opposition weiter an den Rand drängen und das syrische Militär wieder stärker an das Regime binden würde. Doch nach der argumentativen Logik Massarrats lässt sich jede öffentliche Parteinahme gegen Assad als Beitrag zur psychologischen Kriegsvorbereitung der NATO-Länder deuten.

Solidarität mit dem syrischen Aufstand

Immer noch gehen in Syrien jede Woche Tausende auf die Straße und demonstrieren für einen politischen Wechsel - trotz der Lebensgefahr, in die sie sich damit begeben. Bei diesen Demonstrationen sind jede Woche wieder Slogans zu sehen, die die Tatenlosigkeit der Weltöffentlichkeit beklagen. Noch immer lehnen viele DemonstrantInnen eine Intervention des Westens ab. Doch es gibt auch Forderungen nach Militärhilfe, einer Flugverbotszone und viel Unterstützung für die militärischen Aktivitäten der FSA. Das ist angesichts der andauernden Brutalität verständlich, auch wenn wir es politisch nicht teilen.

Für Linke sollte Solidarität mit den Komitees, in denen sich ganz normale Leute gegen ein brutales, unterdrückerisches Regime zusammentun, trotzdem selbstverständlich sein; alles andere wäre eine moralische und politische Bankrotterklärung. Die lokalen Komitees sind, auch wenn die militärische Logik im Moment dominiert, das Rückgrat und die Erben des demokratischen Aufbruchs in Syrien. In einem Syrien nach Assad werden sie diejenigen sein, mit denen Linke politisch zusammenarbeiten können. Adopt a Revolution schafft genau hierfür eine Möglichkeit.

Es ist richtig, dass es schwieriger ist, vertrauenswürdige Informationen über die Vorgänge in Syrien als über die in Ägypten oder Tunesien zu erhalten. Das Land steckt mitten in einem Bürgerkrieg, der auch ein Krieg um Informationen und Deutungen ist, und man kann nicht einfach in die umkämpften Gebiete fahren und sich selbst ein Bild machen. Wir sind daher auf vertrauenswürdige Informationsquellen angewiesen. Weder bei Adopt a Revolution noch bei medico international haben wir bislang Grund, an der Qualität der Informationen, die sie aus Syrien vermitteln, zu zweifeln.

Schon die Vorstellung, man könne von hier aus die politische Kontrolle über die Ereignisse in der Region behalten, ist fragwürdig. Bei einer solchen Betrachtung droht eine wichtige Lehre aus den arabischen Revolutionen in Vergessenheit zu geraten: Die Menschen in der »arabischen Welt« sind keineswegs eine undefinierbare Masse, die man nur durch das Prisma der Weltpolitik wahrzunehmen bräuchte. Sie haben eigene Anliegen und Forderungen, die nicht immer unseren Erwartungen entsprechen, und sie haben das Recht und zurzeit auch die Gelegenheit, ihre eigene Geschichte zu machen, egal was man im Westen davon hält.

Anmerkungen:

1) www.adoptrevolution.org/aufruf

2) www.ag-friedensforschung.de/regionen/Syrien/adopt3.html

3) www.grundrechtekomitee.de/node/539