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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 579 / 18.1.2013

Es ist ein weiter Weg

Aktion Rund 700 Neonazis marschierten am Stadtrand von Magdeburg. In der Innenstadt ging die Polizei hart gegen ProtestiererInnen vor

Von Maike Zimmermann

Leere Häuser, heruntergekommene Fassaden, kaputte oder zugenagelte Fenster - der Süden von Magdeburg ist eine trostlose Gegend. In den Stadtteilen Salbke und Fermersleben ist nicht viel los. Normalerweise zumindest. Heute kreist ein Polizeihubschrauber über den Dächern. Rund 700 Neonazis marschieren die Straße entlang, immer geradeaus, vor einer fast menschenleeren Kulisse. »Trauermarsch« steht heute auf dem Programm der überwiegend jungen Neonazis. Gesenkte schwarze Fahnen, Blockformation. »Mord am deutschen Volk«, steht auf einem der Transparente, »Ehrenhaftes Gedenken statt Anpassung an den Zeitgeist« auf einem anderen. Dazu schallt Wagners Götterdämmerung in Dauerschleife durch die Straßen.

Deutlich weniger Nazis als im letzten Jahr

Die Initiative gegen das Vergessen um den Bundesvorsitzenden der Jungen Nationaldemokraten (JN), Andy Knape, hat zum »Gedenkmarsch« an die Opfer der Bombardierung der Stadt am 16. Januar 1945 aufgerufen. Im letzten Jahr waren es noch 1.200 Neonazis, die dem Aufruf folgten. Nach dem Verbot der Aufmärsche in Wunsiedel und Halbe und nach den Misserfolgen in Dresden ist der »Trauermarsch« in Magdeburg eine der letzten regelmäßigen Großaufmärsche mit historischem Bezug auf den Nationalsozialismus. Doch dieses Mal dürfte er weit hinter den Erwartungen der Neonazis geblieben sein. Das liegt nicht nur an der verhältnismäßig niedrigen Teilnehmerzahl. Auch findet ihre »Gedenkzeremonie«, die Anrufung der Toten im Fackelschein, heute noch vor Einbruch der Dunkelheit statt - der gewünschte emotionale Effekt bleibt daher bescheiden. Und auch die Innenstadt bleibt den traurigen Nazis verwehrt.

Dafür sorgt nicht nur die »Meile der Demokratie«, eine Art zivilgesellschaftliches Straßenfest mit Bühnenprogramm und Infoständen. Anders als in den letzten Jahren gab es dieses Mal eine bundesweite Mobilisierung gegen den Aufmarsch: Das Bündnis Magdeburg Nazifrei hatte zu Massenblockaden aufgerufen. Schon in den frühen Morgenstunden nähern sich aus allen Richtungen Busse mit NazigegnerInnen der Stadt. Ihr Ziel: der ostelbische Stadtteil Cracau. Er galt als vermutetes »Aufzugsgebiet rechts«. Darauf deutete einiges hin: Schon am Freitag Abend machten sich auswärtige Polizeieinheiten mit der Gegend vertraut. Am Morgen des 12. Januars wurden die wenigen Brücken abgesperrt, die von der Innenstadt über die Elbe führen. Alle öffentlichen Veranstaltungen in der Innenstadt waren erlaubt worden, in Cracau hingegen alle Anmeldungen untersagt - zumindest bis vor Gericht eine Kundgebung am Jerichower Platz erstritten wurde.

Trotz eines Großaufgebots von 2.000 BeamtInnen scheint der Polizeieinsatz von Anfang an konfus: Busse werden aufgehalten und auf die andere Elbseite geleitet. Andere Busse hingegen nach kurzem Aufenthalt durchgelassen. Mehre Hundert Menschen versammeln sich am Jerichower Platz. Und auch am Gelände der Fachhochschule ein wenig weiter nördlich und in der Nähe der in Frage kommenden Haltestelle der Nazis etabliert sich eine Blockade mit etwa 400 Menschen. Der einzige Weg der Rechten in den Stadtteil Cracau ist versperrt.

Doch die Nazis mobilisieren weiter zum Hauptbahnhof. Hier ist es laut: »Nazis wegbassen« lautet das Motto einer Gruppe von Menschen, die sich am Bahnhofsvorplatz eingefunden haben und gegen Nazis tanzen. Eine Antifademo der Kampagne 365 Tage offensiv zieht mit 600 Menschen durch die Stad. Die Meldungen über den Aufmarschort der Neonazis ändern sich im Minutentakt, es herrscht Verwirrung. Soll man über die Brücken nach Westen Richtung Innenstadt und riskieren, dass der Weg zurück nach Cracau versperrt ist? Was, wenn die Nazis dann doch dort laufen?

Die Polizei tut alles, um diesen Zustand der Ungewissheit aufrecht zu erhalten. Mannschaftswagen werden abgezogen und wieder aufgezogen. Der Hubschrauber kreist mal über dem einen Stadtteil, mal über dem anderen. Gegen Mittag fahren gleichzeitig Wasserwerfer nach Norden Richtung Neustadt und nach Süden Richtung Buckau. Die Taktik der Polizei geht auf: Am Ende ist der Weg für die meisten DemonstrantInnen zum etwa sechs Kilometer entfernten Aufmarschgebiet zu weit. Und nicht nur das: Die ProtestiererInnen sehen sich einer überaus aggressiven Polizei gegenüber. Als sich abzeichnet, dass der Aufmarsch am SKET Industriepark starten wird, ziehen etwa 800 Menschen gen Süden und werden brutal von der Polizei gestoppt. Pfefferspray und Knüppel werden eingesetzt, ein Teil der Menschen von der Polizei eingekesselt.

Kurze Zeit später machen sich auch die Menschen vom Jerichower Platz auf den Weg, gemeinsam mit den BlockiererInnen vom Fachhochschulgelände. In einem Demozug von ebenfalls fast 1.000 Menschen ziehen sie das Elbufer entlang - und werden von der Polizei sehr unsanft aufgehalten. Es kommt zu Auseinandersetzungen, die DemonstrantInnen ziehen sich zurück Richtung Innenstadt, zur »Meile der Demokratie« und sehen sich auch hier noch konfrontiert mit übereifrigen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE).

Provokation gegen das Libertäre Zentrum

Unterdessen steht JN-Chef Knape am Hauptbahnhof und telefoniert hektisch. In offensichtlicher Absprache mit der Polizei werden die Nazis zum Hauptbahnhof dirigiert, um sie von dort weiterzuleiten. »Es gab von Anfang an mehrere Alternativrouten«, sagt Polizeisprecherin Beatrix Mertens am Abend im Offenen Kanal. Die endgültige Entscheidung sei erst kurz vor der Mittagszeit gefallen.

Und dann geht alles ziemlich schnell: Die Nazis werden per Bahn zum SKET Industriepark gefahren. Ihre Route führt ausgerechnet am Libertären Zentrum (L!Z) vorbei. Wiederholt wurde das linke Zentrum in der Vergangenheit von Nazis angegriffen. Heute steht die Polizei mit Kettensäge und Flex im Anschlag vor der Tür. Sollte es zu Gewalttaten seitens des L!Z kommen, wolle man das Haus räumen, heißt es. Doch einen Grund dafür liefern die BewohnerInnen nicht.

Stattdessen müssen sie mitansehen, wie 700 Neonazis direkt vor ihrer Haustür eine Zwischenkundgebung abhalten. Das Gefühl der Wut und der Ohnmacht kanalisiert sich in Form von Musik und ohrenbetäubendem Krach von aneinander schlagenden Pfannen und Topfdeckeln. Eine Provokation von Nazis, Polizei und Versammlungsbehörde. Dieses Bonbon hätten die Zuständigen den Nazis wahrlich nicht geben müssen. Polizeisprecherin Mertens sieht das anders: »Diese Zwischenkundgebung ist so angemeldet und auch befürwortet worden.« Schließlich müsse man jedem sein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gewähren, und da dem nichts entgegen gestanden habe, »wurde das eben so entschieden«.

Abgesehen von dem Protest der L!Z-BewohnerInnen und zwei kleinen Blockadeversuchen mit je zwei Dutzend Menschen hat die Polizei im Magdeburger Süden an diesem Tag einen protestfreien Raum geschaffen. Das Recht auf Protest in Hör- und Sichtweite kennt man in dieser Stadt offensichtlich noch nicht.

Das Bündnis Magdeburg Nazifrei hat das erste Mal das Thema Massenblockaden aufs Tapet gebracht. Dass sie so wenig ausrichten konnten, lag unter anderem am Vorgehen der Polizei. Aber es lag auch daran, dass es noch ein weiter Weg ist hin zu einer Protestkultur, die versteht, dass Vielfalt eine Stärke ist. Sich in den jeweiligen Protestformen gegenseitig zu akzeptieren, fällt vielen in der Stadt schwer - seien es BürgerInnen oder radikale Linke. Doch es bringt ebenso wenig, den »Bratwurstantifaschismus« zu diskreditieren wie sich von »linken Gewalttätern« zu distanzieren. Solange es keinen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, dass man diesen Aufmarsch nicht will - und zwar nirgendwo in der Stadt - wird man dem Problem »Trauermarsch« kaum beikommen können.

Magdeburg Nazifrei konnte in diesem Jahr - ebenso wie die Kampagne 365 Tage offensiv - deutlich mehr Menschen dazu bewegen, auch von außerhalb in die Stadt zu kommen. Eine positive Stimmung zum Thema Massenblockaden konnte das Bündnis indes noch nicht wirklich erzeugen. Doch so schnell gibt Magdeburg Nazifrei nicht auf: »Für 2014 kündigen wir schon jetzt an, das Vorhaben, den Naziaufmarsch zu blockieren, zu wiederholen!«