Aufgeblättert
Beschneidungsdebatte
Ende 2012 erschien das Buch »Interventionen gegen die deutsche Beschneidungsdebatte« als zeitnahe Reaktion auf die im Sommer so hitzig geführte Diskussion. Die drei AutorInnen liefern eine kritische Analyse und Hintergrundinformationen zu der Debatte, die von antimuslimischen und antisemitischen Tendenzen sowie Unwissen über Vorhautbeschneidungen geprägt war. Im ersten Teil machen Zülfukar Çetin und Salih Alexander Wolter darauf aufmerksam, dass es sich in der Diskussion um das Verbot von religiös motivierter Zirkumzision keinesfalls um den Konflikt zwischen Religionsfreiheit und körperlicher Unversehrtheit handle. Mit Rekurs auf Adornos und Horkheimers »Dialektik der Aufklärung« arbeiten sie heraus, wie Angst davor geschürt wurde, christlich-demokratische Werte zu verlieren und die »Existenz der abendländischen Zivilisation von der Existenz der Vorhaut des Mannes abhängig gemacht wird«. Im zweiten Teil liefert Heinz-Jürgen Voß einen Überblick über Studien, die sich mit Folgewirkungen von Vorhautbeschneidungen befassen. Bei der differenzierten Betrachtung zahlreicher Studien wird klar, dass das gesundheitliche Risiko einer Zirkumzision keinesfalls jenes Ausmaß hat, welches durch die GegnerInnen beschrieben wurde. Bleibt zu hoffen, dass sich eine kritische Auseinandersetzung gemäß dem Wunsch der AutorInnen über die Fachkreise hinaus etabliert - ein Blick in den kleinen Band lohnt sich dafür allemal.
Lisa Krall
Zülfukar Çetin, Heinz-Jürgen Voß und Salih Alexander Wolter: Interventionen gegen die deutsche »Beschneidungsdebatte«. edition assemblage, Münster 2012. 96 Seiten. 9,80 EUR.
Bertolt Brecht
Es ist immer wieder schön, wenn Expertenwissen so aufbereitet wird, dass auch Laien davon profitieren. Jan Knopf, Professor für Literaturwissenschaft und Leiter der Karlsruher Arbeitsstelle Bertolt Brecht, ist das mit seiner glänzend geschriebenen Brecht-Biografie gelungen. »Lebenskunst in finsteren Zeiten« lautet ihr Untertitel, eine Anspielung auf Brechts Satz »Alle Künste tragen bei zur größten aller Künste, der Lebenskunst« und auf die in seinem grandiosen Gedicht »An die Nachgeborenen« beklagten »finsteren Zeiten«. Brecht ein Lebenskünstler? Im herkömmlichen Sinne wohl kaum oder allenfalls in den »wilden« Jugendjahren. Professor Knopf bewundert seinen genialen Helden durchaus, er spart aber auch nicht mit Kritik an Brechts häufig rücksichtslosen Umgang mit Frauen und der Instrumentalisierung zahlreicher HelferInnen für sein Werk. Das aber stellt Knopf ins Zentrum seiner Darstellung. Hier profitieren die LeserInnen am meisten vom Wissen und der Analysefähigkeit des Biografen, der allzu platte Deutungen in Frage stellt. Auch Brechts Beiträge zum politischen Kampf im engeren Sinne beschreibt er differenzierter als vielfach üblich. Im Westdeutschland der Adenauer-Jahre galt Brecht als ergebener Parteisoldat der SED. Deren Kulturfunktionäre aber hatten mehr als einmal Probleme mit dem prominentesten Künstler der DDR. Auch dort blieb Brecht ein unangepasster Revolutionär, im Künstlerischen wie im Politischen.
Jens Renner
Jan Knopf: Bertolt Brecht. Lebenskunst in finsteren Zeiten. Biografie. Carl Hanser Verlag, München 2012. 559 Seiten, 27,90 EUR.
Philippinen
Facettenreich, vielschichtig, informativ. So könnte man das »Handbuch Philippinen« charakterisieren. Kein Wunder, dass es im vergangenen Jahr in einer vierten, aktualisierten und erweiterten Ausgabe erschienen ist. Wer sich für Land und Leute, Geschichte und Gegenwart des Inselstaats in Südostasien interessiert, ist hier an der richtigen Adresse. Kritisch, reflektierend und teilweise auch vergnüglich präsentiert das Buch ein Potpourri von Themen: Globalisierung, Migration, Armut, Korruption, ökologischer Raubbau. Zur Sprache kommt aber auch die Rolle von gesellschaftlichen Institutionen wie NGO, Kirche und Familie, linke Organisationen und bewaffnete Gruppen. Es sind Informationen aus erster Hand, wie die Herausgeber im Vorwort betonen: »Alle AutorInnen haben sich intensiv mit den Philippinen befasst, auf ihren Reisen Land und Leute kennengelernt und sich mit bestimmten Aspekten des Lebens dort vertraut gemacht. Sie sind in unterschiedlichem Maße Teil des Philippinen-Solidaritätsnetzwerks und stehen im Dialog mit ihren MitstreiterInnen, Freunden sowie Genossinnen und Genossen aus der philippinischen Zivilgesellschaft.« Entstanden ist so ein gesellschaftspolitisches Nachschlagewerk, das für sonnenhungrige Reisende genauso empfehlenswert ist wie für den politisch Interessierten. Weitere Beiträge, die auf den rund 500 Seiten keinen Platz mehr gefunden haben, sind unter www.asienhaus.de nachzulesen.
Martin Beck
Niklas Reese/Rainer Werning (Hg.): Handbuch Philippinen. Gesellschaft - Politik - Wissenschaft - Kultur. Horlemann Verlag, Berlin 2012. 495 Seiten, 19,90 EUR.
Phoolan Devi
Die 2001 ermordete »Königin der Banditen« und »Rachegöttin« Phoolan Devi hat in Indien Debatten ausgelöst zu der Frage, wie Frauen zu Opfern gemacht werden, wie weibliche Körper/Sexualität (re-)präsentiert werden und wie Frauen Handlungsfähigkeit gewinnen. Dabei wurde das Bild einer von Hass und Rachegedanken getriebenen ausgebeuteten Frau, der nur übrig bleibt, zu maskulinen Formen von Machtausübung und Gewalt zu greifen, als einzige Form sozialer Handlungsfähigkeit gleich mit dekonstruiert. Die Beiträge in dem Band »Phoolan Devi - Die Rebellin«, heben hervor, welche Bedeutung ihren lebensgeschichtlichen Entscheidungen für Indien zukam. Als Angehörige einer »niederen« Kaste wehrte sie sich gegen Gewalt ausübende »höhere« Kastengruppen und das diese schützende Strukturgefüge aus Patriarchat, Klasse und Kaste - sie schlug zurück. Das zu Beginn des Bandes eingeführte Phänomen »Sozialrebellin Phoolan Devi« mit »ausgeprägtem Sinn für Gerechtigkeit« - ihre »markanteste Charaktereigenschaft« - beschreibt das widerständige Leben von Phoolan Devi jedoch nur unzureichend. Kritisch zu hinterfragen ist auch die gelegentlich aufscheinende Einordnung der indischen Gesellschaft als »archaisch« und »traditionell«. Am Ende des Bandes stehen zwei Beiträge zur Naxalitenbewegung und zur Frauenorganisation »Gulabi Gang«. In der Biografie von Phoolan Devi finden sich keine Hinweise auf eine Verbindung zur Bewegung der Naxaliten.
Jürgen Weber
Willi Baer, Karl-Heinz Dellwo (Hg.): Phoolan Devi - Die Rebellin. LAIKA-Verlag, Bibliothek des Widerstands, Hamburg 2012. 176 Seiten, 2012, 24,90 EUR.