Tod durch Vergilben
Kultur Das Zeitungssterben hört nicht auf. Wie reagieren linke Medien?
Seit der Pleite der Frankfurter Rundschau (FR), der Financial Times Deutschland und der Nachrichtenagentur dapd ist das Zeitungssterben ein Dauerthema. Dutzende Diagnosen ergründen die Ursachen: Lesen wir bald nur noch im Internet? Und wer verdient dann noch Geld mit Text und Schrift?
Wolfgang Michal präsentierte im November letzten Jahres auf carta.info ein paar Thesen, weshalb sich gerade linke Zeitungen schwer tun: 1. Die Zeitungen links der Mitte konzentrierten sich allesamt auf das städtische Bildungsbürgertum und vernachlässigten andere soziale Milieus. 2. Da die vergleichsweise kleinen linke(re)n Zeitungen mangels Ressourcen mit der Berichterstattung der großen (konservativen) Medienflaggschiffe nicht konkurrieren könnten, kämen sie allenfalls als Zweitzeitung in Betracht. 3. Linke Zeitungen böten ihren LeserInnen zu wenig überraschende Erkenntnisse und zu viel Selbstvergewisserung. 4. Linke Zeitungen suchten die Konkurrenz mit den Konservativen vor allem dort, wo jene besser sind - im Feuilleton, im Magazin, im Porträt - und vernachlässigten die Wirtschaft und das Lokale.
Wir haben ein paar linke Medienschaffende gebeten, uns ihre Meinung zu diesen Thesen zu schreiben. Zwei haben (bisher) geantwortet.
Leben und leben lassen
Von Hannah Wettig
Zeitungen sterben. Linke Zeitungen trifft es dabei allerdings nicht besonders häufig. Das liegt auch daran, dass unter den linken Strömungen einige schon lange erkannt haben, dass man politischen Journalismus subventionieren muss. Aber gerade in der linken Mitte hält sich das Gerücht, dass Qualitätsjournalismus ein Geschäftsmodell sei.
Seit Jahren kämpft der Printjournalismus mit Auflagenrückgängen. Der trifft alle: Das Hochglanz-People's-Magazin Vanity Fair ging 2009 ein. Im Oktober vergangenen Jahres meldete die Presseagentur dapd Insolvenz an. Sie bediente alle. Zugleich standen mit der Financial Times Deutschland und der Frankfurter Rundschau eine wirtschaftsliberale und eine linksliberale Zeitung vor der Pleite. Sogar die Boulevardpresse fährt nicht mehr die einstmals satten Gewinne ein. Aber immerhin: Sie macht noch Gewinn.
Kaum eine Qualitätszeitung schreibt schwarze Zahlen, jedenfalls nicht mit ihrem Kerngeschäft, dem Verkauf von Zeitungen. Viele Lokalzeitungen haben daher ihr Produkt zur Marke ausgebaut: Journalismus wird querfinanziert durch Events und Reisen. Sogar PR-Beratung durch RedakteurInnen bieten einige an.
Unter den Überregionalen ist allein die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) noch rentabel. Aber auch dort sinkt die Auflage und bröckelt das Anzeigengeschäft. Auch die FAZ setzt langfristig auf Querfinanzierung: Gute Gewinne erwirtschaftet heute schon das FAZ-Beratungsinstitut, künftig will man ins Weiterbildungsgeschäft einsteigen. Alle anderen werden längst querfinanziert: Der Springerverlag leistet sich Die Welt, die, gäbe es nicht die Bild, dicht machen könnte. Die Südwest-Holding buttert Gewinne aus ihren Lokalzeitungen in die Süddeutsche.
Weit prekärer sieht es bei den linken überregionalen Zeitungen aus. Davon gibt es ungewöhnlich viele: taz, Frankfurter Rundschau, Neues Deutschland, junge Welt, Freitag, Jungle World machen sich zumindest in Teilen auf einem engen Markt Konkurrenz. Sie alle erreichen nicht oder nur knapp die entscheidende Auflagenmarke von 100.000 und können daher selbst bei drastischen Sparmaßnahmen nicht wirtschaftlich sein.
Mit Ausnahme der FR versuchen sie das aber auch gar nicht erst. Die Linkspartei leistet sich das Neue Deutschland (und die junge Welt). Die Grünen subventionieren über Genossenschaft und Soliabos die taz. Die RedakteurInnen legen durch Selbstausbeutung noch oben drauf. Das gleiche Modell fährt die Jungle World. Der Freitag ist ein Projekt des Millionenerben Jakob Augstein. Sie alle haben genau wie der Springer-Verlag erkannt, dass politische Qualitätszeitungen kein Geschäftsmodell sind, ob links oder konservativ. Man muss sie sich leisten.
Daran ist nichts auszusetzen. Kunst- und Kultur werden subventioniert, ob staatlich oder durch private Stiftungen. Kaum jemand käme auf die Idee, sie müssten in der kapitalistischen Verwertungslogik bestehen können. Zeitungen gehören zur politischen Kultur. Politische Parteien und Interessengruppen brauchen sie, wenn sie politische Zusammenhänge über Talkshowniveau erläutert sehen wollen. Der Onlinejournalismus ist keine Alternative, denn auch er ist bisher kaum gewinnträchtig.
Die Pleite der Frankfurter Rundschau stellt insofern eine Kuriosität dar. Sie ist der Tatsache geschuldet, dass ausgerechnet die größte und finanzstärkste »linke« Partei diesen simplen Zusammenhang nicht begriffen hat. Zwar rettete die SPD mit ihrer Zeitungs-Holding DDVG die FR vor neun Jahren vor der Schließung und hält auch heute noch 40 Prozent der Unternehmensanteile. Doch der Erhalt eines Kulturguts, das immerhin hauptsächlich sozialdemokratische LeserInnen erreicht, scheint in den Erwägungen der Partei keine Rolle zu spielen. Die Schatzmeisterin Barbara Hendriks argumentiert wie ein Wirtschaftsunternehmen: »Wir können nicht wegen eines Titels, der absehbar niemals eine schwarze Null bringen wird, die anderen Titel in Gefahr bringen.« Die SPD beweist damit mal wieder, dass sie weder von politischer Kultur noch von Marketing etwas versteht.
Hannah Wettig ist freie Journalistin.
Wo ist die linke Netzzeitung?
Von Anne Roth
Brauchen wir linke Zeitungen? Klar brauchen wir die, würde ich gern antworten. Allerdings stecken in der Frage eigentlich zwei: brauchen wir linke Zeitungen, oder brauchen wir linke Zeitungen?
Linke, meinetwegen kritische, progressive, antiautoritäre Medien sind in den Zeiten des Neoliberalismus nötig, weil wir Orte brauchen, an denen wir ein intellektuelles Zuhause haben. Bei denen wir wissen, dass das Beschriebene durch eine kritische Brille betrachtet wird. Deren Sichtweise wir deswegen nicht teilen müssen, bei der wir aber zumindest davon ausgehen können, dass uns nicht wieder der hegemoniale Bär aufgebunden wird. Und diese kritische Perspektive ist in allen Bereichen der Medien nötig: bei den tagesaktuellen Berichten, bei Kommentaren, Analysen. Bei der Auswahl der Themen, der InterviewpartnerInnen, der KommentatorInnen, der Bilder.
Dazu brauche ich eine, gern zwei linke Tageszeitungen. Ohne Parteibindung, denn daran krankt aktuell die zersplitterte linke Presse: Die Frankfurter Rundschau wurde aus Gründen, die andere besser verstehen, von der SPD zugrunde gerichtet. Die taz ist grün, das Neue Deutschland (ND) ist LINKS. Klug wäre eine Zeitung mit den Kapazitäten, so umfangreich tagesaktuell zu berichten, dass keine zweite Zeitung nebenher nötig wäre. Das schaffen derzeit weder taz noch ND noch junge Welt. Solange aber jede davon so deutlich eine (parteipolitische) Richtung bedient, erklärt sich eigentlich von selbst, warum sie keine Aussichten hat, jemals übergreifend attraktiv zu sein.
Daneben ist eine Zeitung nötig, die aus den linken Nischen berichtet: über Arbeitskämpfe, Demonstrationen, Initiativen, Bewegungen. Die Bescheid weiß über das, was sich in Deutschland und anderswo jenseits des Horizonts der dpa tut. Und die auch den Mainstream beschreibt, erklärt und kritisiert. Täglich, wöchentlich, monatlich: eigentlich egal.
Auf meine Frage per Twitter schrieb Teresa Bücker (@fraeulein_tessa): »*wir* brauchen Medien, von denen Impulse für Weiterdenken, Veränderungen, Utopien ausgehen. Die den Status quo zu wenig finden.«
Von dieser Idealvorstellung entfernen wir uns immer weiter, Stichwort: Krise der Printmedien. Je weniger Redaktionen, je weniger (kritische) JournalistInnen, je weniger Geld für Recherche und Berichte, die keine umgeschriebenen Agenturmeldungen sind, desto mehr verblasst dieses Ideal, und damit komme ich zur Frage: brauchen wir linke Zeitungen?
Immer mehr Menschen beziehen einen großen Teil ihrer Informationen aus dem Netz. Das Netz ist schneller, vielfältiger, interaktiver, während zugleich immer mehr Printmedien aufgeben. Zudem haben viele Menschen weniger Geld für Zeitungen und über das Netz die Möglichkeit, günstiger an Informationen zu kommen. Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich an dieser Entwicklung etwas ändern wird.
Es stimmt, dass wir vieles, was am nächsten Tag in der Zeitung steht, schon am Tag zuvor im Netz erfahren. Vieles aber auch nicht: Im Netz finde ich vor allem meine Filterbubble, also Informationen, die den Themen ähnlich sind, für die ich mich ohnehin interessiere. (Siehe das Video von Eli Pariser auf www.ted.com.) Soziale Netzwerke sind häufig so programmiert, dass wir zuerst genau diese Dinge sehen. Das ist angesichts der Überforderung durch die schiere Masse online verfügbarer Informationen praktisch, verhindert aber, dass wir erfahren, was sich sonst noch tut. Es fehlt derzeit ein Ort im Netz, der die Funktion der Zeitung übernimmt, einen Überblick über Themen, relevante Diskussionen und Entwicklungen zu verschaffen. Gut geschrieben und gut recherchiert, von Leuten, die etwas von ihrem Thema verstehen.
Anne Roth betreibt das Blog annalist.noblogs.org
Linke Presselandschaft in Zahlen
Zahlen über die Entwicklung der Zeitungsauflagen veröffentlicht die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW). Laut IVW verkaufte die Frankfurter Rundschau Ende 2012 knapp 110.ooo Exemplare inklusive ePaper (davon gut 67.000 Abos). Zwei Jahre zuvor waren es noch 20.000 mehr. Die taz liegt bei 56.000 Exemplaren (46.000 Abos), das Neue Deutschland bei 35.000 (32.000 Abos). Die junge Welt rief im Oktober 2012 eine Kampagne zur Rettung der Zeitung aus und konnte die verkaufte Auflage bis Mitte Januar 2013 von 17.000 auf 18.000 steigern. Die Auflage der Wochenzeitung Freitag lag laut IVW Ende 2012 bei 14.500 (knapp 11.000 Abos), nach eigenen Angaben höher. Die Jungle World verkaufte Ende 2011 laut Selbstauskunft ca. 11.500 Zeitungen pro Woche (6.300 Abos). Bei den Monatszeitungen führt Le Monde diplomatique (allerdings liegt sie der taz bei, wie viele Exemplare sonst noch über den Ladentisch gehen, ist schwer zu sagen). Die konkret gab Ende 2011 an, monatlich 42.000 Hefte zu verkaufen (15.000 Abos). Die Blätter für deutsche und internationale Politik bringen es auf 7.600 verkaufte Hefte jeden Monat. Alles, was deutlich unter 5.000 liegt (wie ak; Auflage: 3.500, Abos: 2.500), lassen wir beiseite.