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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 580 / 15.2.2013

Im Zweifel gegen den Angeklagten

Deutschland Auch nach drei Jahren Verfolgungswut treibt der sächsische Ermittlungseifer weiter seltsame Blüten

Von Maike Zimmermann

Man könnte meinen, im Freistaat Sachsen ticken die Uhren ein wenig anders. Da werden massenhaft Plakate beschlagnahmt, die Immunität von Landtagsabgeordneten aufgehoben, mit Funkzellenabfragen über eine Millonen Handydaten erfasst, die Landesgeschäftstelle der Linkspartei gestürmt, IMSI-Catcher zur Standortbestimmung eingesetzt, weit über 300 Verfahren wegen des Protests gegen Neonazis angestrengt. Das Ausmaß staatlicher Verfolgung ist seit 2009 kaum noch zu überschauen. Damals regte sich erstmals breiter Widerstand gegen einen Naziaufmarsch, der sich in Dresden bis dahin zu einem der größten regelmäßigen Events dieser Art entwickeln konnte.

Im Herbst 2009 gründete sich das Bündnis Dresden Nazifrei und rief zu Massenblockaden am 13. Februar 2010 auf. Staatsanwaltschaft und LKA reagierten prompt und beschlagnahmten Mobilisierungsmaterial und Rechentechnik. »Das war so ziemlich die beste Promotionaktion für Dresden Nazifrei«, sagt Hans von der Anti-Rep-AG des Bündnisses heute.

Massenblockaden, sowas kannte man vorher nicht. Und dann kamen auch noch haufenweise Menschen nach Dresden, die sich von der Landesregierung nicht vorschreiben lassen wollten, was sie zu tun oder zu lassen haben. »Sächsische Politiker, gerade aus dem CDU-Umfeld, haben ein starkes Kontrollbedürfnis und ein unheimlich großes Misstrauen gegenüber jeglicher Art politischer Betätigung«, erklärt Frank von der Initiative Sachsens Demokratie. »Man hat Angst, die Macht zu verlieren.«

Mit dem Resultat müssen sich Hunderte von Menschen seit etwa drei Jahren rumärgern. So wurden zum Beispiel Verfahren gegen 351 BlockiererInnen angestrengt, Verurteilungen gab es hingegen kaum. Im Gegenteil: Die meisten Verfahren wurden im Laufe des Jahres 2012 eingestellt. »Die Staatsanwaltschaft hat gemerkt, dass es nicht so einfach ist, die Leute zu verurteilen«, sagt Hans. »Man hätte also riskiert, dass es Freisprüche gibt - und das wäre natürlich das falsche Zeichen.« Einen Haufen Geld und Nerven kostet sowas selbstredend trotzdem. Ein anderes Beispiel ist die Aufhebung der Immunität von André Hahn, bis Juli 2012 Fraktionsvorsitzender der Linkspartei. Auch sein Verfahren wurde eineinhalb Jahre später, am 16. Januar 2013, ohne Auflagen eingestellt. »Offenbar ist der Staatsanwaltschaft klar: Mit diesen Blockadeverfahren haben sie sich eindeutig verrannt«, resümiert Hans.

Aber der sächsische Ermittlungseifer treibt noch weitere Blüten . Die bekannteste ist momentan vermutlich das Urteil gegen Tim. Mit einem Megafon soll der 36-Jährige während der Proteste im Jahr 2011 nicht nur Durchsagen gemacht, sondern mehrere Hundert Menschen koordiniert, ja, sie quasi dazu angeleitet haben, eine Polizeikette zu durchbrechen. Beweise gibt es dafür keine. Stattdessen aber gleich mehrere Entlastungszeugen: So sagte ein Anwohner zunächst bei der Polizei aus, er habe in der Mitte der Menschenmenge eine Person mit einem Megafon gesehen. Vor Gericht sagte er jedoch, Tim sei diese Person nicht gewesen. Und selbst die vorgeladenen Polizisten konnten nicht sagen, dass sie die Person gesehen hätten, die Durchsagen gemacht hat bzw. ob es sich überhaupt nur um eine einzelne Person gehandelt habe.

Macht alles nichts, befand das Schöffengericht. Weil Tim später am Tag auf Aufnahmen ein Megafon zugerechnet wird, wird er auch vorher der Mensch am Megafon gewesen sein. Im Zweifel für den Angeklagten, in dubio pro reo? Kennen wir nicht. »Das zog sich in diesem Prozess durch die unterschiedlichen Ebenen«, sagt Tims Anwalt Sven Richwin. »Immer wenn es Unklarheiten gab oder wenn man sagen konnte, kann man glauben oder auch nicht, wurde es zu seinen Ungunsten interpretiert.«

Am Ende der Verhandlung stehen 22 Monate Haft ohne Bewährung. Wegen besonders schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung. Beide Seiten haben Berufung eingelegt, Richwin rechnet damit, dass es einige Monate dauern kann, bis es in die nächste Runde geht.

Es ist offensichtlich: Das Urteil soll »generalpräventiv« sein, wie es im Fachjargon heißt. Das denkt auch Richwin. »Es geht gar nicht wirklich um den konkreten Fall, sondern darum, ein Zeichen zu setzen.« Will man eine abschreckende Wirkung erzielen, muss die Nachricht von dem Urteil natürlich auch den Gerichtssaal verlassen. Man baut also in gewissem Maße auf die öffentliche Empörung. »Wenn es sich rumspricht, dass man in Dresden eventuell zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird, wenn man eine Durchsage mit einem Megafon macht«, so Richwin, »dann wäre die nächste Überlegung: Was kann ich eigentlich noch mitnehmen, wenn ich zu einer Demonstration fahre?«

Megafone, haben wir jetzt gelernt, sind heikel. Lautsprecherwagen und Fahnen allerdings auch. Zumindest wenn es nach der Dresdner Staatsanwaltschaft geht. Im März beginnt der Prozess gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König - er war während der Proteste mit einem Lauti in Dresden unterwegs. Und dann steht noch ein Prozess gegen Markus Tervooren an, Geschäftsführer des Berliner VVN-BdA - er hatte eine Fahne dabei, die ihm bei einem schweren Landfriedensbruch geholfen haben soll. Drei Prozesse - drei Demoklassiker.

Staatsüberzeugung in Sachsen

Seit 22 Jahren regiert in Sachsen die CDU. In dieser Zeit hat sie es geschafft, alle wichtigen Instanzen, Ämter und Posten mit Parteimitgliedern zu besetzen. »Und die glauben fest daran«, sagt Frank, »dass es eine hufeisenförmige Demokratie gibt, mit einer nicht weiter definierten Mitte und zwei Rändern - das linke und das rechte Extrem. Das ist tatsächlich Staatsüberzeugung hier in Sachsen«. Das äußert sich zum Beispiel in Bezug auf die sogenannte Extremismusklausel, die vom Bund verfasst und von Sachsen als erstem Bundesland unterzeichnet wurde.

Und obwohl man vom Hufeisen faselt, bei dem ja bekanntlich Links gleich Rechts ist, geht man hauptsächlich gegen Links vor. Und das, obwohl spätestens seit dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds bekannt ist, wie stark die neonazistischen Strukturen im Freistaat sind. »Real gesehen haben wir eher eine Demokratiesimulation hier«, sagt Frank. »Alles, was rechts von der CDU steht, darf eigentlich nicht existieren oder muss vereinnahmt werden.« Dass man mit zweierlei Maß misst, wurde auch am Tag der Urteilsverkündung gegen Tim deutlich: Da nämlich wurde auch bekannt, dass die extrem rechte Kameradschaft Sturm 34 wegen »Bildung einer kriminellen Vereinigung« zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt wurde. Die Nazigruppierung aus dem Leipziger Land agiert offen mit Gewalt und psychischen Einschüchterungsmethoden.

Auch wenn es in Bezug auf Blockaden keine neuen Verfahren gegen NazigegnerInnen gibt, gehen die Ermittlungen aus dem Jahr 2011 weiter. Das mussten am 31. Januar auch die Abgeordneten der Partei Die Linke, Caren Lay und Michael Leutert, feststellen: Ihnen soll nun die Immunität aberkannt werden.

Der staatliche Druck der letzten Jahre hinterlässt seine Spuren. Diejenigen, die sich politisch engagieren, lassen sich davon zwar nicht einschüchtern. »Aber viele Leute sind hier in der Tat zögerlich geworden«, berichtet Frank. Die Extremismusdoktrin wirkt: In der Öffentlichkeit wird nach wie vor weniger von der überzogenen Repression gesprochen als von »Gewalttätern und Extremisten«.

Trotzdem hat die Spaltung in »gute« und »böse« AntifaschistInnen nicht wirklich funktioniert. »Wenn man sich unser Bündnis ansieht«, findet Hans, »muss man klar sagen, dass der Verfolgungsdruck nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt hat. Es gibt eine große Solidarität im Bündnis zwischen den einzelnen Gruppen.«

Frank und Hans sind der Meinung, dass sich gerade bei der Zivilgesellschaft in den letzten Jahren einiges getan hat. »Das Unrechtsbewusstsein ist schon da«, denkt Frank. »Aber man kann nicht behaupten, dass die Leute aufstehen und sagen: Liebe sächsische Landesregierung, wir haben euch satt, und wir wählen euch jetzt ab.« Schade eigentlich.