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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 581 / 15.3.2013

Aufgeblättert

Frauenarbeitsleben

Gabriele Goettle hat in ihrem Buch »Der Augenblick« 26 Frauen über ihr Arbeitsleben befragt. Herausgekommen ist eine Sammlung packender Porträts, in denen die Frauen die Geschichte ihrer Berufstätigkeit erzählen und Einblicke in vielfältige Arbeitsfelder geben. Stück für Stück entsteht so ein vielschichtiges Mosaik weiblicher (Erwerbs-)Lebensentwürfe in der Bundesrepublik. Da ist die Kioskfrau, die ihren KundInnen eine Sicherheit bietet, die es in ihrem eigenen Leben nicht gibt - und während des Gesprächs Gummischlangen und Zeitungen herausreicht. Da ist die »Körperhistorikerin«, die berichtet, wie sich über die Jahrhunderte die Krankheitsbeschreibungen der PatientInnen den Ärzten gegenüber verändern und wie sich darin eine völlig gewandelte Körperwahrnehmung ausdrückt. Und da ist die Mitarbeiterin der Arbeitsagentur, die darüber klagt, wie sie durch das Hartz-System gezwungen ist, ihren »KundInnen« die Würde zu nehmen. Gabriele Goettle ist für ihre Reportagen in der taz bekannt. In dem Sammelband stellt sie jedem Porträt Angaben über die befragte Person voran. Nach einer kurzen Einführung in den Ort des Gesprächs überlässt sie den Protagonistinnen das Wort. Die erzählen, von knappen Zwischenfragen unterbrochen, fesselnd und in eigener Sprache ihre Geschichte. Einziges Manko: Junge Frauen sind nicht vertreten, Frauen mit niedriger formaler Bildung die Ausnahme.

Jan Ole Arps

Gabriele Goettle: Der Augenblick. Reisen durch den unbekannten Alltag. Verlag Antje Kunstmann, München 2012. 400 Seiten, 22,95 EUR.

Rumänien nach 1989

Der Band beschreibt aus der Sicht unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen den Wandel der rumänischen Gesellschaft nach der Revolution von 1989 - welche eine Veränderung nahezu aller Lebensgrundlagen mit sich brachte. Der Buchtitel spielt auf einen Kilometerstein in Bukarest an, der gerne als Ausgangspunkt von Freiheit und Demokratie ausgegeben wird. Er erinnert an die Besetzung des Universitätsplatzes im ersten Halbjahr 1990 durch verspätete »Antikommunisten«, die dort vorgeblich eine »vom Neokommunismus befreite Zone« errichten wollten. Deren Wirken, finanziert und instrumentalisiert durch die US-amerikanische National Endowment for Democracy, war auf das Bekämpfen der revolutionären Front zur Nationalen Rettung mit allen Mitteln gerichtet. Aus diesem Umfeld speisten sich die Gewaltexzesse, die Bukarest 1990 mehrmals erschütterten. Auf dem Weg in die neue Zeit zog man das Nachahmen dem Experimentieren vor. Das politisch-ideologische Projekt einer »Konsensgesellschaft«, das eine partizipative, »originelle Demokratie« jenseits der Parteienherrschaft formulierte, sowie ein anfänglich erwogener »dritter Weg« in der Wirtschaft mussten schnell aufgegeben werden. Die Kreditgeber Rumäniens für eine lange Zeit nach 1989, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank, forcierten das neokonservative Modell in der Politik und das neoliberale in der Wirtschaft.

Uwe Detemple

Thede Kahl, Larisa Schippel (Hg.): Kilometer Null. Politische Transformation und gesellschaftliche Entwicklungen in Rumänien seit 1989 (Forum: Rumänien, Band 10). Frank & Timme, Berlin 2011. 485 Seiten, 49,80 EUR

Intersektionaliät

Intersektionaliät, das Konzept der Überschneidung multipler Diskriminierungsformen, entstammt dem Feminismus in den USA, wo afroamerikanische Frauen sich als Frauen und Schwarze zugleich ausgegrenzt fühlen mussten. In einer Erweiterung lässt sich die Intersektionalität jedoch auch auf Behinderung, Armut oder Bildungsstand beziehen. Die Redaktion der Widersprüche bemerkt einleitend, dass in ihrer Zeitschrift lange verschiedenste Benachteiligungsformen als simpler Nebenwiderspruch innerhalb einer orthodox-marxistischen Analyse des Hauptwiderspruchs von Kapital und Arbeit behandelt wurden. Nun dient ihr das Modell Intersektionalität als weiteres Instrument der Kapitalismuskritik. Dies ist möglich, da einer frühen Definition der Intersektionalität neben race und gender auch class als Bezugspunkt gilt. Gabriele Winkler bezieht in ihrem Beitrag »Intersektionalität als Gesellschaftskritik« deutlich Position, wie auch insgesamt eine politisch Stellung beziehende Sozialarbeit propagiert wird: »Wird der gesellschaftliche Stellenwert von Differenzierungen und Hierarchisierungen in der intersektionalen Praxis zu Ende gedacht, steht auch die Frage nach der Überwindung des kapitalistischen Systems zur Diskussion.« Einen Praxisbezug stellen die Beiträge von Kathrin Schrader und Nicole von Langsdorff her, indem sie Intersektionalität in der Arbeit mit Drogen konsumierenden Sexarbeiterinnen und in der ambulanten Jugendhilfe untersuchen.

Christoph Horst

Widersprüche 126. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich: »Gekreuzt?!«. Münster, Dezember 2012, 132 Seiten, 15 EUR

Moshe Zuckermann

Moshe Zuckermann, Gesprächspartner und Kritiker der deutschen Linken, hat eine Auswahl seiner politischen Interventionen der vergangenen Jahre zusammengestellt. Es sind, so der Untertitel des Buches, »Aufsätze und Gespräche über Juden, Deutsche, den Nahostkonflikt und Antisemitismus«, Themen also, bei denen Streit programmiert ist. Die Gemeinde der kritiklosen Israel-Bewunderer dürfte allein schon die Frage in Rage versetzen, ob »der Zionismus eine Form des Rassismus« sei. Die UNO-Vollversammlung hatte das 1975 beschlossen - Zuckermann ist anderer Ansicht und begründet das auch. Zugleich sieht er durchaus Rassismus in Israels »Staats- und Gesellschaftsrealität«, wo »die historische Angst vor dem Verfolgtsein in eine brachiale Ideologie der Verfolgung ... umgeschlagen ist.« Nicht immer ist Zuckermanns Argumentation so differenziert wie hier. Wenn es um die Antideutschen geht, wird er regelrecht bösartig. Kostprobe: »Durch die neurotische Identifikation mit Juden wird das Bedürfnis, auch mal Opfer sein zu dürfen, projektiv befriedigt. Durch die nicht minder neurotische Identifikation mit jüdischen Soldaten und der israelischen Armee wird dem perversen Bedürfnis, auch wieder ballern zu dürfen, Genüge getan.« Leider verzichtet Zuckermanns Gesprächspartnerin nicht nur hier auf kritische Nachfragen. Auch seine These, der Islamhass habe die Funktion des Antisemitismus eingenommen, bleibt unwidersprochen.

Daniel Ernst

Moshe Zuckermann: Wider den Zeitgeist I. Aufsätze und Gespräche über Juden, Deutsche, den Nahostkonflikt und Antisemitismus. Laika-Verlag, Hamburg 2012. 206 Seiten, 21 EUR.