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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 581 / 15.3.2013

FAQ. Noch Fragen?

Und jetzt alle: Mindestlohn

Was ist da los? Im Jahr 2001 wollte ihn nur die Partei DIE LINKE. Seit 2007 fordert ihn auch die SPD. Inzwischen ist selbst die CDU dafür, und die FDP stimmt ihm zähneknirschend zu: dem Mindestlohn. Mit einem Mal, so scheint es, haben die PolitikerInnen ihr Herz für die GeringverdienerInnen entdeckt. Die schwarz-gelbe Koalition bastelt an einem Mindestlohnprojekt. Und im Bundesrat haben sieben SPD-mitregierte Bundesländer nun einen Gesetzesantrag für einen Mindestlohn eingebracht.

Die Regierungsparteien - und insbesondere die rot-grünen Agenda-2010-Parteien - sehen sich konfrontiert mit den Folgen ihrer Politik. Diese Politik zielte auf eine Senkung des Lohnniveaus, um die deutsche Wirtschaft international wettbewerbsfähiger zu machen und gleichzeitig auf die Schaffung eines Niedriglohnsektors.

Dafür wurde unter anderem Hartz IV eingeführt. Seitdem für HartzlerInnen jede Arbeit zumutbar ist, ist die Lohnuntergrenze quasi verschwunden. Die Leiharbeit wurde ausgeweitet, um den Unternehmen eine flexible Manövriermasse zu bieten, und mit Minijobs wurde dem Kapital noch ein extra günstiges Angebot gemacht. All dies sollte auch bei den Stammbelegschaften für Lohnmäßigung sorgen.

Die Strategie ist aufgegangen. 2011 lag der durchschnittliche Reallohn je Beschäftigtem fünf Prozent niedriger als noch im Jahr 2000 - und das bei einer um 13 Prozent gestiegenen Produktivität. Zudem wächst der wächst der Niedriglohnsektor (siehe nebenstehenden Artikel).

Die Politik könnte zufrieden sein. Ist sie aber nicht. Warum? Der Lohn, so ist im SPD-Gesetzesantrag zu lesen, erfüllt »seine ökonomische Funktion« nicht mehr. Der Lohn erhält nicht mehr die Arbeitskraft, oder populärer: Er reicht nicht mehr zum Leben. Folge sind die 1,4 Millionen sogenannten AufstockerInnen, denen der Staat zum Lohn etwas dazugeben muss, um sie über Wasser zu halten. Diese Lohnsubvention kostet den Staat etwa elf Milliarden Euro pro Jahr. Zudem droht ein Anstieg der Altersarmut. Mit Niedriglöhnen verdient man nicht mehr genug, um eine auskömmliche Rente zu erwirtschaften. Auch hier wird der Staat die Rente aufbessern müssen.

Das kostet die Unterstützten ihre Würde, so SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel, und den Staat Geld. Daher soll nun ein Mindestlohn her. Gleichzeitig ist die Politik mit dem Problem konfrontiert, dass sie weder den Niedriglohnsektor abschaffen noch den Menschen ein gutes Leben ermöglichen will. Denn den Unternehmen des Landes soll jederzeit ausreichend billige Arbeitskraft zur Verfügung stehen.

Daher ließ die Politik die Tarifparteien für verschiedene Branchen wie Pflege, Zeitarbeit oder Gebäudereinigung magere Mindestlöhne von sieben bis neun Euro einrichten. Für andere Branchen wollen CDU, CSU und FDP nun eine »Lohnuntergrenze« einziehen. Allerdings nur für jene Bereiche, in denen es keinen Tarifvertrag gibt. Dort sollen ArbeitgeberInnen und Gewerkschaften die Lohnuntergrenze gemeinsam aushandeln. So will Schwarz-Gelb für einen Mindestlohn sorgen, den auch das Kapital mag.

Das ist natürlich ein Witz. Denn Ausgangspunkt des ganzen Problems ist die schwache Verhandlungsposition der Gewerkschaften. Deswegen liegen die Löhne so niedrig, deswegen gibt es vielfach keine Tarifverträge. Wie sollen diese Gewerkschaften nun einen halbwegs anständigen Mindestlohn erkämpfen?

Die SPD-Bundesländer setzen dagegen auf einen allgemein verbindlichen Mindestlohn. Laut Gesetzesantrag soll er von einer Expertenkommission aus drei GewerkschafterInnen, drei VertreterInnen der Unternehmen und drei »sachverständigen Personen aus der Wissenschaft« festgelegt werden und mindestens 8,50 Euro betragen - das wäre ein Euro weniger als in Frankreich.

Die Unternehmen müssten dann fünf Millionen Menschen - vor allem Frauen - mehr Lohn zahlen. Profiteur wäre der Staat: Durch geringere Leistungen an AufstockerInnen sowie höhere Sozialabgaben und Steuereinnahmen würde er 7,1 Milliarden Euro sparen, errechnet das Beratungsunternehmen Prognos im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Als Zugabe gibt es die »Wiederherstellung der Ordnung am Arbeitsmarkt und des Vertrauens in die soziale Marktwirtschaft«.

Was haben die Lohnabhängigen davon? 8,50 Euro sind immerhin mehr, als vielfach bezahlt wird. Aber eben auch ziemlich wenig. Die SPD findet das aber offensichtlich ausreichend: »Die gerechte und angemessene Entlohnung«, so ihr Gesetzesantrag, »ermöglicht es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erst, ... sich durch Arbeit in ihrer Persönlichkeit zu entfalten und darüber gesellschaftliche Achtung und Selbstachtung zu erfahren.« Und das für 1.350 Euro brutto im Monat.

Nick Sinakusch