Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de
ak bei facebook

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 581 / 15.3.2013

Was mit Mediensterben

Kultur Die Debatte braucht mehr Lust an politisch grundierter Science Fiction

Von Tom Strohschneider

Zeitungssterben, Printkrise, kritischer Journalismus sind in Gefahr. Wer »was mit Medien« macht, hatte in den vergangenen Jahren viel Gelegenheit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Es geht um eine ganze Menge. Um demokratische Öffentlichkeit, um Modelle von Gegeninformation und die Möglichkeiten von Bewegungen, sich selbst zu verständigen. Es geht aber auch um Jobs in den Redaktionen, um LeserInnen, für die eine »linke Zeitung« am Morgen zum Kräutertee dazugehört, die täglich über die »Beschissenheit der Dinge« aufgeklärt werden und trotzdem Spaß bei der Lektüre haben wollen. Es geht um ökonomische Alphabetisierung, darum, gemeinsam »fragend voranzuschreiten«, um eine Praxis, welche die alte Trennung von Sender und Empfänger aufhebt. Und das alles in Zeiten der wunderbaren Möglichkeiten des Internets.

Wenn wir ehrlich sind, fehlt es uns nicht an einem Bewusstsein dafür, dass hier auch neue Wege gegangen werden können und müssen. Aber es fehlt noch an den Ideen, die möglichst so einfach und erfolgreich sein sollen, um als große Problemlöser zu wirken. Und es fehlt an Geld, weil auch linke Medien unter kapitalistischen Bedingungen produziert werden müssen.

Hannah Wettig hat in ak 580 eine wichtige Frage angesprochen: die der Subventionierung. Ihre Antwort bedarf aber einiger Ergänzungen. Erstens »leistet sich« die Linkspartei das neue deutschland nicht. Die Zeitung gehört zwar zur Hälfte einer Gesellschaft, die sich in Besitz der Partei befindet. Aber es fließt kein Geld. Auch Jakob Augstein »leistet sich« die Wochenzeitung der freitag eben nicht mehr ganz - vor wenigen Wochen ist fast ein Viertel der dort arbeitenden Kollegen entlassen worden. Bei der tageszeitung (taz) wird zurzeit über die Zukunft diskutiert, und darüber, wie unlängst ein Kollege aus der Dutschke-Straße twitterte, wie viel Wochentagsausgabe man sich noch leisten will.

Zweitens sollte man die Frage der Subventionierung vielleicht etwas gründlicher diskutieren. Ich schreibe das aus dem Blickwinkel einer Zeitung, die mit ihrer einstigen Staatsnähe immer noch ziemlich große Schmerzen hat. Was uns als öffentlich-rechtlicher Rundfunk gegenübertritt, ist auch nicht gerade Anlass zu größerem Optimismus. Das in diesem Zusammenhang gern benutzte Argument, staatliche oder die Einflussnahme von Parteien könnten über Stiftungsmodelle verhindert werden, überzeugt nicht, wo doch jeder weiß, wie solche Staatskohlegremien am Ende besetzt werden. Und was die private Finanzierung durch großzügige Geldgeber angeht: Kritische Öffentlichkeit sollte sich nie vom guten Willen einiger Leute abhängig machen. Verminderte Umsatzsteuer auf Vertriebs- und Druckdienstleistungen? Warum nicht? Aber ganz ehrlich: Das löst unsere Probleme nicht.

Die liegen zwar auch - aber eben nicht nur beim Geld. Und damit wären wir bei den Thesen von Wolfgang Michal, die in ak 580 zur Diskussion gestellt wurden. Es stimmt, dass wir zwar viel über das Leben in Prekarität, die kleinen Kämpfe gegen die Sozialbürokratie und die Veränderungen in sozialen Randlagen schreiben - aber eben so richtig ist, dass dies die Leute, um die es dabei geht, kaum lesen. Weil die Zeitung zu teuer ist, weil das Lesen von Zeitungen nicht zu ihrer Alltagskultur gehört oder weil etwa das politische Image des neuen deutschland für sie eine Hürde darstellt. Da hilft auch nicht der 74. Aufguss der Diskussion über eine »linke Boulevard-Zeitung« heraus. Und auch nicht das Internet.

Natürlich wird eine Tageszeitung vor allem laufende Ereignisse und Debatte in ihren Fokus nehmen. Aber schon bei der Frage, was wir aus dem großen gesellschaftlichen Dauergeräusch herausfiltern, geht es los: Auf der einen Seite zerrt der Anspruch, Erstzeitung mit Vollprogramm zu sein, ins Räderweg von systemrelevanter Erregungsökonomie und kapitalistischer Neuigkeitenproduktion. Auf der anderen, alternativen Seite besteht die Gefahr, nur noch Teilausschnitte der sozialen Realität wahrzunehmen.

Wir schreiben und kommentieren zu oft der real existierenden Wirklichkeit hinterher, als dass wir Perspektiven eröffnen, die diese bereits gedanklich überwinden. Das ist auch ein Formatproblem, weil in einem 30-Zeilen-Kommentar zum Niedergang der Reallöhne nicht auch noch das Korporatismusproblem der deutschen Gewerkschaften und das Wachstumsdilemma von bestimmten Umverteilungspolitiken mitbehandelt werden kann. Aber eine gute Entschuldigung dafür, dass die wirklich spannenden Debatten überall aber eher selten in »linken Medien« stattfinden, ist das nicht.

Wir sollten uns mehr Gedanken darüber machen, wie sich Expertendiskurse und wissenschaftliche Weltveränderung für ein größeres Publikum »übersetzen« lassen; wir sollten skeptischer gegenüber den linken Selbstgewissheiten und Erklärungsmustern sein. Und wir brauchen ein bisschen mehr Lust an der Utopie, an politisch grundierter Science Fiction. Wir könnten mehr tun, um das viele gedruckte Wissen der Vergangenheit aufzuarbeiten, im Netz zugänglich zu machen. Und wir sollten uns anstrengen, die Kompetenz der Vielen, ihre Erfahrungen und Diskussionen besser als Teil einer linken Gegenöffentlichkeit wahrzunehmen, also auch journalistisch zu berücksichtigen, ohne zu vereinnahmen.

Zeitungssterben, Printkrise, kritischer Journalismus in Gefahr: Eine Lösung kann hier nicht präsentiert werden. Den Weg werden wir erst beim Gehen finden. Es wäre allerdings keine schlechte Idee, wenn politische Blogger, linke Zeitungsleute und kritische Magazinmacher dabei etwas voneinander lernen könnten. Das heißt nicht, dass irgendwelche Blätter zusammengelegt werden sollen. Und natürlich geht es nicht darum, Gemeinsamkeiten zu behaupten, wo Kontroversen und Polemik nötig sind.

Aber linke Medien werden erstens nicht vom Fleische anderer linker Medien fetter, also nicht durch Konkurrenz. Und zweitens ist die Frage einer kritischen Öffentlichkeit, die ja auch mehr sein müsste als die Summe der gegenwärtig existierenden Einzelteile, nicht bloß eine Frage der verkauften Exemplare. Titelübergreifende Onlineangebote? Eine gemeinsame Bezahlplattform im Netz? Mehr Kooperation bei technischen Dienstleistungen, beim Marketing und bei der Berichterstattung? Clubs von linken LeserInnen? Koordiniertes politisches Auftreten im Fall staatlicher Gängelung von linker Presse? Mag sein, dass all dies dann doch nicht geht oder überhaupt Quatsch ist. Aber mal ehrlich: Wann haben wir das letzte Mal gemeinsam darüber geredet?

Tom Strohschneider ist Chefredakteur beim neuen deutschland.