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Diskussion Eine Replik auf »Wie wir leben wollen« von Martin Birkner und Ingo Stützle
Von Elisabeth Voß
Schön, dass ak einen Schwerpunkt zum Kongress »Solidarische Ökonomie« herausgegeben hat. Getrübt wird meine Freude dadurch, dass ausschließlich Männer den Schwerpunkt gestaltet haben. Sicher ist auch alternatives, solidarisches oder wie auch immer sich bezeichnendes anderes Wirtschaften männlich dominiert, ebenso wie die herrschende Ökonomie. Aber von einer linken Zeitung wünsche ich mir natürlich Sensibilität im Umgang damit. Nicht zuletzt zeigt das Veranstaltungsverzeichnis des Kongresses, dass es durchaus auch Frauen gibt, die etwas zum Thema zu sagen hätten.
Und warum müssen es gleich »die zentralen Konfliktfelder« sein? Geht es nicht eine Nummer bescheidener? Warum machen Martin Birkner und Ingo Stützle nicht einfach ein paar Diskussionsvorschläge? Mir klingt das sehr nach patriarchalem Abstecken von Definitionsmacht. Solcherart irritiert lese ich natürlich besonders kritisch weiter. Meine Kritik verstehe ich als solidarisch. Vielleicht kann daraus ja ein produktiver Gedankenaustausch werden.
Verschiedene Perspektiven auf anderes Wirtschaften
Ob ökonomische Alternativen wirklich »in Theorie und Praxis« boomen, bezweifle ich. Mein Eindruck ist, dass das Sprechen über anderes Wirtschaften deutlich verbreiteter ist als das Tun. Auch in der Abschlussrunde beim Kongress wurde die Theorielastigkeit vieler Veranstaltungen bemängelt.
Zur Frage, wie sich unterschiedliche Ansätze aufeinander beziehen, habe ich eine etwas andere Wahrnehmung als die beiden Autoren. Einerseits stehen sie nebeneinander, verbreiten aber andererseits mitunter eine unglaubliche Selbstgewissheit, dass gerade der je eigene Ansatz die wahre Alternative sei. Jedenfalls nehme ich zum Beispiel etliche VertreterInnen von Zinskritik, Gemeinwohlökonomie, Demonetarisierung oder VerfechterInnen eines bedingungslosen Grundeinkommens oft so wahr. Ich habe nichts gegen diese Ansätze, solange sie sich solidarisch in einen Kreis vielfältiger Versuche anderen Wirtschaftens einreihen. Allerdings scheint mir der Weg zu »einer solidarischen Diskussion und Kooperation« noch ziemlich weit.
Diese Selbstgewissheit korrespondiert damit, dass viele solidarökonomisch Interessierte ein großes Bedürfnis nach endgültigen Antworten und Heilslehren zu haben scheinen. Da wird schnell idealisiert und in den Himmel gelobt, Widersprüche und Ambivalenzen fallen unter den Tisch, die der Tanz mit dem Monster (damit meine ich die notwendigen Kompromisse, die alle eingehen, die real etwas bewegen wollen) meines Erachtens immer mit sich bringt.
Wirtschaftsdemokratie, Solidarische Ökonomie, Genossenschaften, Commons - aus meiner Sicht handelt es sich bei diesen vier Begriffen um unterschiedliche Perspektiven auf gemeinschaftliches Wirtschaften (industriell, immateriell etc.). Genossenschaftliche Unternehmungen (in unterschiedlichen Rechtsformen) bewirtschaften gemeinschaftliche Ressourcen, die auch als Commons bezeichnet werden können, ebenso wie öffentlich bewirtschaftete Infrastrukturen der Grundversorgung.
Commons im Sinne von Elinor Ostrom sind Ressourcen, die von den NutzerInnen auf Basis eigener, gemeinsam entwickelter Regeln bewirtschaftet werden. Daher verstehe ich »die Debatte um Commons« keineswegs nur als »Ausdruck von Abwehrkämpfen«, sondern ebenso als Austausch über Konzepte und weltweit gelebte Praxis anderen Wirtschaftens, der auch die Demokratiefrage aufwirft.
Wirtschaftsdemokratie wird ja heute viel breiter diskutiert als nur im Rahmen betrieblicher Mitbestimmung. Auch Genossenschaften oder öffentliche Unternehmen mit bürgerschaftlicher Steuerung und Kontrolle fallen darunter, ebenso wie Fragen zum Verhältnis von Markt- und Planwirtschaft.
Solidarische Ökonomie ist vielleicht der schillerndste unter diesen Begriffen. Geprägt wurde er von Luis Razeto, der damit kleine Selbsthilfeunternehmen in den chilenischen Krisenzeiten der 1970/80er Jahre beschrieb. Heute steht Solidarische Ökonomie einerseits für genossenschaftliche Unternehmungen in Lateinamerika und anderswo, wird aber auch für ein breiteres Konzept einer demokratischen Wirtschaftsweise verwendet, die gemäß dem Sozialforumsslogan »people before profits« nicht der Erzielung von Gewinnen, sondern der Bedürfnisbefriedigung dient. Letztlich liegt aus meiner Sicht die Definitionsmacht bei den jeweils miteinander Wirtschaftenden, die selbst am besten sagen können, wie sie das, was sie miteinander tun, verstehen.
Sicher ist es eine von vielen Fragen, wie gleichberechtigte ökonomische Beziehungen zwischen Nord und Süd gestaltet werden können. Hier empfiehlt es sich, praktische Beispiele anzusehen, die es bisher vor allem im Kaffeehandel gibt, aber zum Beispiel auch im Bereich regenerativer Energien - mit allen Widersprüchlichkeiten, die Alternativen unter den Bedingungen der herrschenden Marktökonomie anhaften.
Und natürlich ist es ein Unterschied, ob zum Beispiel MüllsammlerInnen sich zu einer Kooperativen zusammenschließen, weil sie keine anderen Einkommensmöglichkeiten haben, während andere ihre überschüssigen Gelder in Energiegenossenschaften investieren. Nach meiner Auffassung liegt jedoch jedem Versuch anderen Wirtschaftens ein Aufbegehren gegen das Bestehende zugrunde, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Motiven und Situationen heraus, und mir ist es wichtiger, das genau anzuschauen und zu beschreiben, als es zu bewerten. Für eine politische Einschätzung kommt es dann in jedem Einzelfall darauf an, wer eigentlich mit wem solidarisch ist, und in wessen Interesse gewirtschaftet wird.
Waren »kleine Einheiten« aus der »Alternativ- und Umweltbewegung« Ursache der »Ablösung der fordistischen Massenproduktion«, wie Martin Birkner und Ingo Stützle behaupten? Ich würde eher davon ausgehen, dass große gesellschaftliche Umwälzungen eine Vielfalt von Ursachen haben, die aus Widersprüchen innerhalb des Bestehenden resultieren. Allerdings werden kreative Impulse aus alternativen Bewegungen vom System vereinnahmt, das auf alle Commons zugreift und sie der Verwertung zu unterwerfen versucht.
Wie ambivalent und ausbeutbar Alternativen sind, zeigt sich zum Beispiel an den Umsonstökonomien, die höchstens in Randbereichen antikapitalistisch sind. Die meisten EntwicklerInnen freier Software arbeiten im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit daran, die Creative-Commons-Lizenz wurde zur besseren Vermarktung der Produkte von KünstlerInnen entwickelt, und Shareconomy gilt längst als Erfolg versprechendes Geschäftsmodell. Was aus meiner Sicht nicht gegen Umsonstprojekte spricht, denn vermutlich gibt es nichts, was auf immer und ausschließlich antikapitalistisch ist.
Zwischen Selbsthilfe und sozialer Verantwortung
Für mich gehören wirtschaftliche Selbsthilfe und Kämpfe gegen Privatisierungen zusammen. Unter den derzeitigen Bedingungen wäre es deshalb unlogisch, den Staat pauschal abzulehnen. Wer sollte sonst die öffentlichen Güter und Infrastrukturen der Grundversorgung bewirtschaften? Und wer, wenn nicht staatliche Einrichtungen, könnte als koordinierende Instanz die Verantwortung dafür tragen, dass alle Menschen - unabhängig von ihrer Leistungs- und Selbsthilfefähigkeit - an all dem teilhaben können, was sie für ein würdiges Leben in der Gesellschaft benötigen? Denn die Fähigkeit zur Selbsthilfe ist ein Privileg und das gebetsmühlenartige Belobigen von Selbstverantwortung und bürgerschaftlichem Engagement (Bertelsmann und Co.) angesichts von Krise und Sparpolitiken einfach nur zynisch.
Darüber hinaus wird es auch in einer weitgehend dezentral organisierten Wirtschaft und Gesellschaft Bereiche geben, die für größere Einheiten - bis hin zu weltweiten Belangen - geregelt werden müssen. Eine koordinierende Instanz, die diese Aufgaben wahrnimmt, müsste deutlich anders funktionieren, als der territorial abgeschottete Ausbeutungsassistenz- und Repressionsstaat, wie wir ihn kennen, aber bis auf Weiteres sehe ich keine Alternative dazu, die Machtfrage zu stellen: Wem gehört der Staat?
Dies war nur ein kleiner Ausschnitt aus einer vermutlich endlosen Reihe von Fragen um eine Neugestaltung des Wirtschaftens. Hinweisen möchte ich an dieser Stelle noch auf die Impulse, die seit Jahrzehnten aus den verschiedenen Diskussionszusammenhängen feministischer Ökonomien beigetragen werden, und sich unter anderem mit Aspekten vorsorgenden Wirtschaftens (Care) und der damit verbundenen unsichtbaren Arbeit befassen.
Nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Geschlechterfrage stellt sich auch die Frage nach einer Kultur der Kooperation. Denn alternative Projekte scheitern in aller Regel weniger an der schlechten Welt, als an sich selbst, an ihren inneren Widersprüchen und der oft begrenzten Fähigkeit, mit gesellschaftlich bedingten Dominanzen solidarisch umzugehen. Vielleicht ist aus meinem Beitrag deutlich geworden, dass mir auch in einer Diskussion wie dieser hier wichtig ist, über den Austausch von Inhaltlichem nicht die Art und Weise des Umgangs damit aus dem Blick zu verlieren.
Elisabeth Voß ist Betriebswirtin und Publizistin in Berlin zu den Themen solidarische Ökonomien und Selbstorganisation in Wirtschaft und Gesellschaft.
Der Kongress »Solidarische Ökonomie«
fand vom 22. bis 24. Februar 2013 in Wien statt. (Siehe Bericht auf Seite 22) Aus diesem Anlass diskutierten unter der Überschrift »Wie wir leben wollen« in unserem letzten Schwerpunkt Martin Birkner und Ingo Stützle »Die zentralen Konfliktfelder des alternativen Wirtschaftens«, wie es in der Unterzeile hieß.