Bye bye Selbstverwirklichung
Kultur Schlechter Sex, langweiliger Job, kein Geld. War Jungsein eigentlich schon immer so schwierig? Die Serie »Girls« ist ein Abgesang auf die Situation einer Generation
Von Stina Hoffmann
Wer über Serien schreibt, die in Deutschland nur auf Englisch und nur im Internet zu finden sind, hat das Problem nicht zu wissen, wie viele LeserInnen die Sendung kennen. Wenn Sie zu denen gehören, die noch nichts über »Girls« gehört haben, nehmen Sie sich also Ihren Rechner und suchen Sie im Internet nach einem Stream der Serie, deren zweite Staffel in den USA gerade beim Sender HBO läuft. Wenn Sie dagegen schon genervt sind vom Hype um die Sendung, von den Vergleichen mit »Sex and the City«, vom Wunderkind-Gerede über die 26-jährige Lena Dunham, die Hauptdarstellerin, Regisseurin, Drehbuchautorin und Producerin in Personalunion ist, lassen Sie sich nicht abschrecken. Diese Serie ist großartig. Und vergessen Sie den Titel. »Girls« richtet sich nicht nur an Frauen, die sich als Mädchen bezeichnen.
Wie werde ich die Person, die ich sein will?
»Girls« beginnt mit einem Tiefschlag für Hauptfigur Hannah Horvath (Lena Dunham). Ihre Eltern teilen ihr mit, dass sie nicht mehr länger ihren »groovy lifestyle« in New York finanzieren werden. Hannahs Einwände, dass ihr Praktikum nicht bezahlt und sie nur noch wenige Zentimeter von dem Leben entfernt sei, das sie immer führen wollte, ziehen nicht. Es bleibt beim Beschluss der Eltern: »No more money!« Bereits in den ersten fünf Minuten von »Girls« ist damit das ganze Drama einer (unserer?) Generation ausgerollt: Wie werde ich die Person, die ich sein will? Wie schaffe ich es, meine kreativen Ambitionen zu verwirklichen und damit auch Geld zu verdienen? Und was ist, wenn Mama und Papa den Geldhahn zudrehen und plötzlich die materielle Grundlage für die Selbsterfüllung fehlt?
In »Girls« sind die Straßen New Yorks nicht gepflastert mit Gold, sondern mit Fehlschlägen, Misserfolgen und Peinlichkeiten für die vier Hauptpersonen Hannah, Marnie, Jessa und Shoshanna. Sie alle wollen etwas aus ihrem Leben machen, und das geht natürlich nur an einem Ort wie New York. Was sie allerdings genau machen wollen, ist ihnen selbst auch nicht so klar.
Hannah zumindest weiß, dass sie schreiben möchte und hat immerhin schon vier Kapitel ihres autobiografischen Essaybandes zusammen, von dem sie glaubt, er könne die Stimme ihrer Generation werden (oder zumindest eine Stimme einer Generation). Den Rest muss sie, wie sie sagt, noch erleben. Genug Stoff sollte ihr Leben und das ihrer FreundInnen, die ebenso chaotisch und notorisch pleite sind wie sie selbst, hergeben.
Denn mit der Umsetzung der Ambitionen klappt es weder bei Hannah noch bei der perfekt scheinenden Marnie, der willensstarken Jessa oder der leicht naiven Shoshanna. Statt der großen Selbstverwirklichung schlagen sie sich mit Jobs im Café oder als Babysitterin durch. Wer etwas Spannenderes arbeiten will, macht das unbezahlt als Praktikantin und lässt sich von den Eltern unterstützen. »Es ist, als wären wir alle Sklaven dieses Ortes, der uns gar nicht will«, bilanziert Hannah ihr Verhältnis zu New York.
Ein besonderer Fall ist Marnie, die am Anfang der ersten Staffel ihr Leben noch am besten im Griff zu haben scheint. Mit ihrem All-American-Girl-Aussehen, ihrer effizient-durchorganisierten Art und ihrer Langzeitbeziehung ist sie außerdem die einzige, die einen bezahlten Job hat, der ihrem Uniabschluss entspricht. Im Verlauf der Sendung wird sie zunächst ihren überaufmerksamen Freund, dann ihren Job und schließlich auch ihre Freundschaft mit Hannah verlieren. Kontrollfreak Marnie geht parallel ihr Selbstbewusstsein flöten. Und obwohl viele ihrer FreundInnen arbeitslos sind und durchs Leben driften, trifft sie diese Situation besonders hart. Schließlich war sie immer perfekt vorbereitet, hatte immer geputzte Zähne und nie Löcher in den Socken. Nun weiß sie genauso wenig wie all die anderen VerpeilerInnen, wo es langgeht.
Was »Girls« von anderen Serien unterscheidet, ist, dass diese Coming-of-Age-Geschichten keine sind, bei denen die Charaktere durch eine Krise reifen. Im Gegenteil könnte man die Erzählung als eine des Zerfalls beschreiben, in der zwar glückliche Momente vorkommen, in der es aber nicht bergauf geht. Hier gibt es keinen rechten Weg, von dem man abkommen und den man wieder finden kann. Plan- und Ziellosigkeit sind Teil des Lebens aller Figuren und beschränken sich nicht auf die Phase nach der Uni. Jessas Babysitter-Boss ist mit Mitte Vierzig, Ehefrau und zwei Kindern ähnlich verloren wie Jessa selbst.
Obwohl es leicht fällt, sich mit den Charakteren der Sendung zu identifizieren, sind sie nicht unbedingt sympathisch. Selbst Underdog Hannah schließt man mit ihrer nervigen Art nicht wirklich ins Herz, eher verfolgt man gebannt, wie sie sich wieder und wieder in die Nesseln setzt. Zum Beispiel mit der Beziehung zu ihrem »Fuckbuddy« Adam. Die Szenen mit ihm und Hannah sind für die ZuschauerInnen schon fast körperlich schmerzhaft. Der Sex sieht aus wie aus einem Porno nachgespielt, und bei der ersten Unterhaltung ist der Satz »Du bist gar nicht so fett« tatsächlich noch das netteste, was Adam zu ihr sagt. Man würde Hannah gerne durch die Mattscheibe packen und durchschütteln, doch sie hat sich in den Kopf gesetzt, mit diesem - in ihren Augen - coolen, interessanten, gut aussehenden Typen zusammenzukommen. Als sie es dann endlich ist, weiß sie mit dem gestörten Hipsterbürschchen allerdings wenig anzufangen.
Endlich echte Antiheldinnen
Und nun muss er doch noch einmal kommen, der Vergleich zu der anderen HBO-Serie, in der es um vier New Yorker Freundinnen geht. Der Sender wollte den Zuschauerinnen »Girls« so gern als neues »Sex and the City« verkaufen. Doch »Girls« hat mit »Sex and the City« ungefähr soviel zu tun wie Barbie mit weiblicher Beinbehaarung. Hier findet nicht jedes Töpfchen sein Deckelchen, und niemand fühlt sich in seinem Leben wohl wie ein Fisch im Wasser.
Statt eines »Mr. Big« hat Hannah eine Reihe von Liebhabern, die genau das sind: Liebhaber und nicht »the one and only«. Auf die Liebe setzt keine der Figuren. Auch die Beziehungen der Mädchen untereinander sind nicht so harmonisch wie bei »Sex and the City«. Freundschaften sind zwar wichtig in »Girls«, aber die FreundInnen reden auch Klartext, enttäuschen einander und lassen einander im Stich. »Girls« ist damit endlich eine Serie, deren Charaktere - allen voran Hannah - als echte Antiheldinnen gelten dürfen. Wer sich schon immer gefragt hat, warum es in der Fernsehgeschichte so wenige weibliche Heldenfiguren à la Holden Caulfield (»Der Fänger im Roggen«) oder Harold (aus »Harold und Maude«) gibt, dürfte erfreut sein. Hannah, Marnie, Jessa und Shoshanna fallen zwar ziemlich oft auf die Fresse, aber sie stehen immer wieder auf.
Die erste Staffel endet denn auch in einem für die Serie typischen Ton: Hannah, die gerade ihre Beziehung verbockt hat und der ihre Handtasche gestohlen wurde, erwacht ziemlich orientierungslos irgendwo in der New Yorker U-Bahn. So verloren wie auf der sprichwörtlichen einsamen Insel landet sie frühmorgens am Strand von Coney Island. Aber auch in hoffnungslosen Situationen gibt es Trost: in diesem Fall in Form eines Stücks Hochzeitstorte in Alufolie. Kein Happy End, aber immerhin.
Stina Hoffmann ist Kulturwissenschaftlerin und lebt in Berlin.